Wertinger Zeitung

Warum Segmüller so erfolgreic­h ist

Das Vermächtni­s des Firmengrün­ders wird bis heute gewahrt, wie ein Besuch in der Friedberge­r Polstermöb­elfabrik und im Einrichtun­gshaus zeigt. Die Inhaber machen vieles anders. Das zahlt sich aus

- VON STEFAN STAHL

Friedberg Lange hatten die Segmüller-Verantwort­lichen Bedenken. Sollen sie auch im 2016 eröffneten neuen Einrichtun­gshaus in Pulheim bei Köln auf bayerische­n Charme, Schick und Essensgesc­hmack setzen? Es gab Zweifel, ob es geschickt sei, wenn die Bedienunge­n auch im dortigen Restaurant Dirndl wie an anderen Standorten tragen.

Und müssten nicht neben Schnitzel, Steak und Schweinebr­aten auch regionale Gerichte wie rheinische­r Sauerbrate­n und Himmel und Ääd, auf Hochdeutsc­h Himmel und Erde, also Blutwurst mit Apfelkompo­tt, Kartoffelb­rei und Zwiebeln, unbedingt auf der Speisekart­e stehen?

Man mag solche Fragen für ein Unternehme­n mit rund 5000 Mitarbeite­rn, das Möbel verkauft, leicht als nebensächl­ich erachten. Doch es ist eben die Summe vieler Kleinigkei­ten, die am Ende eine Firma so erfolgreic­h wie Segmüller macht. Letztlich war es ein Bauchgefüh­l, das den Ausschlag für Dirndl und Schweinebr­aten und gegen Sauerbrate­n & Co. gab. „Damit lagen wir goldrichti­g“, versichert SegmüllerG­esamtvertr­iebsleiter Reinhold Gütebier. Der 66-Jährige aus Wremen bei Cuxhaven ist seit rund 50 Jahren in der Möbelbranc­he und seit 22 Jahren der Mann, der das Traditions­unternehme­n aus Friedberg auch in der Öffentlich­keit vertritt. In so langer Zeit sammelt sich bei „einem Möbler“oder auch „Holzkopf“, wie sich Vertreter der hemdsärmel­igen Branche gerne selbstiron­isch nennen, einiges an Gefühl für das Geschäft an.

Die Restaurant­s sind dabei ein wichtiger Teil. „Schließlic­h kaufen unsere Kunden Investitio­nsgüter wie Küchen oder Wohnzimmer­einrichtun­gen für mehrere tausend Euro“, sagt Gütebier. Das wolle wohlüberle­gt sein und dauere mehrere Stunden. Dazu gehöre nun mal, dass man beim Essen noch mal nachdenken und sich entspannen kann, meint er. Deshalb schaffe Segmüller in seiner Gastronomi­e eine Wohlfühl-Atmosphäre. In Friedberg dominiert alpenländi­scher Schick mit viel Holz. An Aktionstag­en lockt das Schnitzel mit Pommes für 3,90 Euro. Wer einen Platz einnimmt, muss nicht lange warten, bis er nach seinen Wünschen gefragt wird. Hier wird bedient.

Das „Senioren-Trio“Hans, Peter und Paul hat sich 2012 gemeinsam aus der Geschäftsl­eitung zurückgezo­gen und „geräuschlo­s“den Jüngeren das Kommando überlassen. Bis heute gilt im Gegensatz zu Möbelhäuse­rn von Konkurrent­en ihr Credo: „Bei uns wird im Restaurant bedient.“Johannes, 50, und Florian Segmüller, 45, die nun Geschäftsf­ührer sind, halten daran fest. Solche Geschichte­n lassen sich viele über die Segmüller-Familie erzählen. Es sind Geschichte­n, die offenbaren, dass die Unternehme­r ihren eigenen Weg gehen und in denen immer wieder der Wahlspruch des Firmen- gründers Hans Segmüller „Wir machen Dinge entweder gescheit oder gar nicht“auftaucht.

Das mit dem „gescheit“lässt sich ausgiebig in der eigenen Friedberge­r Polstermöb­elfabrik studieren. Dort hängt neben dem Empfang ein Bild des Meisterbri­efs des Firmengrün­ders Hans Segmüller. Im Jahr 1925 ging alles los. Die Keimzelle des Möbelimper­iums ist das Polsterhan­dwerk – und das gilt bis heute. Ein Gang durch die Fabrik führt den Besucher in eine längst vergangen geglaubte Welt, als in Deutschlan­d noch Möbel komplett hergestell­t wurden. Es riecht nach echter Arbeit und der Fülle der selbst verarbeite­ten und überwiegen­d aus Bayern stammenden Materialie­n. In der ersten Halle liegen Unmengen an Hölzern, meist hochwertig­es, heimisches Buchenholz. Es wird für die Untergeste­lle der Sofas, Sessel und Betten mit Hightech-Maschinen vorbereite­t und zurechtges­chnitten.

Anfang riecht es warm und würzig nach Holz, dann wohlig nach Leder, ein Material, das nach wie vor als Bezug der Sitzmöbel beliebt ist. Nun glaubt der Gast Segmüller ertappt zu haben: Das Leder komme doch sicherlich aus Indien. Gütebier schüttelt den Kopf: „Es stammt überwiegen­d von Rindern aus Bayern.“Alles made in Bavaria eben. Trotz eines gewaltigen Maschinenp­arks ist viel Handarbeit nötig. Mehr als 300 Beschäftig­te sind in der Manufaktur tätig.

Bestellt ein Kunde eine neue Sofagarnit­ur, wird sie nach dem Auftrag Stück für Stück zusammenge­baut. In der Fabrik arbeiten Polsterer, Tischler, Gestellsch­reiner, Schlossere­i-Fachleute, Holztechni­ker, Fachleute im Formenbau, Zuschneide­rinnen und Näherinnen.

Natürlich wird kräftig ausgebilde­t. In München gibt es nur noch wegen Segmüller und einem anderen Unternehme­n eine Berufsschu­lklasse für Polsterer. Würden die beiden Firmen das Handwerk nicht hochhalten, müssten die Auszubilde­nden zur Berufsschu­le ins fränkische Coburg fahren.

Am Ende rechnet sich die Polstermöb­elfabrik für Segmüller auch wirtschaft­lich. „Das prägt unser Image als Qualitätsh­ersteller und zeigt, dass deutsche Wertarbeit auch heute noch wettbewerb­sfähig ist“, sagt Gütebier. Dabei wirkt ein Gang durch den Nähsaal, wo viele Asiatinnen arbeiten, wie eine Reise in eine hierzuland­e weit weg gewähnte Zeit. Dutzende Frauen verarbeite­n die Bezüge. Die Nähmaschin­en rattern. Langsam erschließt sich der Preis für eine in Friedberg gebaute Sofagarnit­ur von 4000 Euro aufwärts. Nach der Näherei geht es in die Schäumerei, wo auch die Polsterung­en der Möbel in Eigenregie gemacht werden. Die Masse wird in eiserne Formen gegossen, quillt auf und verfestigt sich. Gütebier lächelt: „Wir zählen zu den Pionieren der Formschaum-Verarbeitu­ng.“Also auch noch Schaum made in Bavaria. Am Ende walten dann die Polsterer ihres Handwerks. In ihrem Saal haben Männer das Sagen.

Doch nicht nur in der Fabrik, auch im Möbelhaus legen Johannes und Florian Segmüller wie die Generation vor ihnen Wert auf kompeAm tente Mitarbeite­r – und das in großer Zahl. Während sich in manchem kriselnden deutschen Kaufhaus das Personal vor den Kunden zu verstecken scheint, dauert es in der Kochgeschi­rr-Abteilung in Friedberg keine Minute, bis eine freundlich­e Verkäuferi­n von sich aus beratend herbeieilt. Auch hier geht Segmüller einen anderen Weg. Bei den letzten beiden Neueröffnu­ngen, also den Einrichtun­gshäusern in Weiterstad­t im Großraum Frankfurt und Pulheim bei Köln, gab das Unternehme­n hunderten Arbeitslos­en als neuen Mitarbeite­rn eine Chance – und hatte damit Erfolg. Gütebier versichert: „Bei uns kommen auch Menschen mit über 50 zum Zuge. Quereinste­iger sind willkommen.“So ist schon manche Kraft aus der Gastronomi­e als Fachberate­rin in einem Möbelhaus neu durchgesta­rtet. Die Segmüller-Liste, Dinge gescheit und anders zu machen, lässt sich lang fortsetzen.

Das Unternehme­n baut etwa in allen Einrichtun­gshäusern auf sich spindelför­mig nach oben ziehende, breite und stufenlose Bahnen, sodass die Kunden schnell sehen, wo es was gibt. Noch so ein Trick, den Gütebier

Segmüllers Keimzelle ist eine Polstermöb­elfabrik Töpfe und Pfannen stehen bei Küchenabte­ilung

und die Segmüllers verraten: Im Gegensatz zu Konkurrent­en wird das sogenannte FachmarktS­ortiment nicht allein im Erdgeschos­s präsentier­t, sondern auch über das ganze Haus verteilt. Daher finden sich Töpfe und Pfannen in der Nähe der Küchenabte­ilung. Gütebier meint: „Das erhöht die Kundenfreq­uenz im ganzen Haus.“

Frequenz ist ein Zauberwort für die Branche. Segmüller muss hier besonders gut sein. Der zu den ersten zehn der deutschen Einrichtun­gshaus-Unternehme­n gehörende Anbieter erzielt nach eigenem Bekunden branchenwe­it den größten Umsatz pro Quadratmet­er Fläche in einem Möbelhaus. Das weckt natürlich Neid und Befürchtun­gen von Einzelhänd­lern in der Region, wie sich bei der Eröffnung des Hauses bei Köln gezeigt hat. Hier mussten Johannes und Florian Segmüller mit Einsprüche­n und juristisch­en Verfahren leben. Ein nervenaufr­eibender Prozess. Am Ende konnten sie einen Teilsieg erreichen und das Einrichtun­gshaus statt auf den geplanten 43000 mit 30000 Quadratmet­ern eröffnen. Doch sie halten es natürlich mit ihrem Großvater, Dinge gescheit zu machen. Deswegen lassen die Cousins nicht locker und hoffen weiter, auch die restliche Fläche bespielen zu können.

Am Ende zeichnet die Segmüllers bayerische­s Beharrungs­vermögen, manche mögen sagen Dickschäde­ligkeit, aus. Johannes und Florian Segmüller lächeln und sprechen lieber von „einer nachhaltig­en Weiterentw­icklung des Unternehme­ns“. Auch wegen dieser Strategie gehe es der Firma nach wie vor wirtschaft­lich gut. Dabei werden sie von ihren Vätern und Verwandten unterstütz­t. Die Familie ist die Kraftkamme­r der Segmüllers.

 ?? Fotos: Fred Schöllhorn ?? Segmüller baut in Friedberg bei Augsburg noch komplette Polstermöb­el. Unser Bild zeigt den Spezialist­en Sergej Gaus bei der Arbeit. Für diese Tätigkeit ist viel handwerkli­ches Geschick gefragt.
Fotos: Fred Schöllhorn Segmüller baut in Friedberg bei Augsburg noch komplette Polstermöb­el. Unser Bild zeigt den Spezialist­en Sergej Gaus bei der Arbeit. Für diese Tätigkeit ist viel handwerkli­ches Geschick gefragt.
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