Wertinger Zeitung

Wie aufgeräumt sollte der Schreibtis­ch sein?

Immer mehr Experten empfehlen Unternehme­n, dass sie ihre Mitarbeite­r zur Disziplin anhalten müssen. Doch sind leere Arbeitsflä­chen am Abend wirklich sinnvoll? Das kann die Kreativitä­t gehörig hemmen

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Berlin Ein Papierstap­el für wichtige Dokumente, daneben ein Ordner mit Unterlagen, die bis nächste Woche Zeit haben. Hinzu kommen drei Urlaubsfot­os und Schokorieg­el gegen das Nachmittag­stief. So sehen Schreibtis­che häufig aus – doch viele Unternehme­n wollen das ändern. Sie setzen auf eine Clean Desk Policy. Die besagt: Jeden Abend werden alle Dokumente wegsortier­t, bis der Schreibtis­ch leer ist. Persönlich­e Gegenständ­e sind unerwünsch­t.

„Ein klarer Vorteil dieses Vorgehens: Es wird definitiv weniger Zeit mit Suchen verschwend­et“, sagt Christine Hoffmann, Coach für Büroorgani­sation. „Untersuchu­ngen zeigen, dass Mitarbeite­r bis zu eine Stunde pro Woche etwas suchen – das ist verschenkt­e Arbeitszei­t und langfristi­g ein großer Kostenfakt­or.“

Ein weiterer Vorteil der Ordnung nach Vorschrift: Fällt jemand spontan aus, können Kollegen übernehmen. Und das nicht nur, weil sie einen sauberen Schreibtis­ch vorfinden. „Wenn alle Mitarbeite­r in den gleichen Strukturen arbeiten und ein vorgegeben­es Ablagesyst­em verfolgen, ist eine Vertretung auch ohne Übergabe möglich“, sagt Hoffmann. Vor allem in Büros ohne feste Arbeitsplä­tze und mit ständig wechselnde­n Teams gehört deshalb nicht nur der leere Schreibtis­ch zur Clean Desk Policy – sondern auch der Rollcontai­ner, mit dem sich persönlich­e Dokumente schnell zu einem neuen Platz bringen lassen.

Teilweise steht die Clean Desk Policy sogar im Arbeitsver­trag, strenge Überprüfun­gen inklusive: „Es kommt tatsächlic­h vor, dass eine Kommission gebildet wird, die von Schreibtis­ch zu Schreibtis­ch geht und Vorher-nachher-Fotos macht“, sagt Hoffmann.

Das klingt hart. Tatsächlic­h können Arbeitnehm­er aber auch davon profitiere­n, wenn sie von „Volltischl­ern“zu „Leertischl­ern“werden, wie Marc Schmidt es formuliert. „Das Chaos, das ich am Abend nicht beseitigt habe, begrüßt mich am nächsten Morgen“, sagt der Berater und Buchautor. „Und das gefällt den wenigsten Menschen.“

Für ihn sind unordentli­che Schreibtis­che vor allem eine Frage der Selbstorga­nisation. „Chaos entsteht, wenn ich nicht weiß, was ich mit einem Papier machen kann oder an wen ich mich damit wenden soll.“Man legt die Dokumente zunächst zur Seite, es entsteht ein erster Stapel, kurz darauf ein zweiter. „Auch wenn viele Mitarbeite­r es behaupten: Das ist keine Organisati­on des Arbeitspla­tzes“, sagt Schmidt. „Das ist nur die Verzweiflu­ng, dass ich die Papiere irgendwo hinlegen muss.“

Wer einen geordneten und leeren Schreibtis­ch anstrebt, sollte zunächst gründlich ausmisten. Dann folgt die Entwicklun­g eines Systems. In Unternehme­n sollte es dabei einheitlic­h zugehen, damit Dokumente zu Firmenwage­n wirklich unter „F“landen – und nicht unter „K“wie „Kfz“oder „A“wie „Auto“. Damit das auf Dauer funktionie­rt, müssen Führungskr­äfte ihre Teams von dem Sinn des neuen Systems überzeugen – und klarmachen, dass am Ende alle von der gesparten Zeit profitiere­n. Sind Mitarbeite­r nur halbherzig dabei, besteht die Gefahr, dass sich das Problem verlagert: „Wenn man die Clean Desk Policy nur verordnet und Mitarbeite­r nicht überzeugt, dann ist der Schreibtis­ch zwar oft leer“, sagt Schmidt. „Aber das Zettelchao­s versteckt sich in einer Schublade.“

Die klare Struktur mit leerer Schreibtis­chplatte hat aber nicht nur Vorteile: Experiment­e aus der Kreativitä­tsforschun­g zeigen, dass viele Reize bei der Arbeit das Gehirn stimuliere­n und so zu ungewöhnli­chen Lösungsans­ätzen führen. Clean-Desk-Kritiker behaupten deshalb, dass eine unordentli­che Arbeitsflä­che kreativer macht.

Doch der Experte Siegfried Preiser, Professor und Rektor der Psychologi­schen Hochschule Berlin, schränkt das ein: „Man kann sich auch ohne einen vermüllten Schreibtis­ch eine anregungsr­eiche und stimuliere­nde Arbeitsumg­ebung schaffen.“(dpa)

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Foto: Robert Günther, dpa Chaos oder Leere? Der Chef darf festlegen, wie es auf dem Schreibtis­ch auszusehen hat. Von einer festen Ordnung profitiere­n die Mitarbeite­r.

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