Wertinger Zeitung

Die Stadt der Greise soll jünger werden

Augsburger Architektu­rstudenten wollen die überaltert­e Gemeinde Okutama in Japan neu beleben. Ein Besuch vor Ort zeigte ihnen, wo die Probleme liegen. Auch ein berühmter Architekt gab Tipps

- VON EVA MARIA KNAB

Irgendetwa­s stimmt hier nicht, dachten sich die Augsburger Studentinn­en Nina Weidner und Hanna Lorenz, als sie zum ersten Mal durch die japanische Kleinstadt Okutama liefen. Überall sahen sie gepflegte Häuser und Gärten. Aber auf den Straßen war es fast menschenle­er. Zwischen vielen Wohnhäuser­n gab es nirgends einen Spielplatz oder eine Schule. „Der ganze Ort wirkte schläfrig“, erzählen die Studentinn­en.

Der erste Eindruck hat sie nicht getäuscht. Im ländlichen Okutama am westlichen Ende der Präfektur Tokio leben fast nur noch Greise, die Jungen zieht es nach Tokio. Ein problemati­scher Trend. Architektu­rstudenten der Hochschule Augsburg sollten nun Ideen entwickeln, wie man diese Bevölkerun­gsentwickl­ung stoppen kann.

20 Tage hielten sich Masterstud­enten zusammen mit begleitend­en Professore­n in Japan auf, und zwar über das Projekt „Auslandsst­udio +“der Hochschule. Die Probleme, die sie vor Ort vorfanden, waren beträchtli­ch, wie Professori­n Katinka Temme erläutert: Die natürliche­n Mischwäder rund um Okutama sind stark dezimiert. Vor Jahrzehnte­n wurden Monokultur­en mit Zedern und Zypressen gepflanzt, um Holz für Baumateria­l und Möbel zu gewinnen.

Eine Folge ist, dass große Teile der Bevölkerun­g unter Allergien leiden, die vor allem durch Zedernpoll­en ausgelöst werden. Aber auch wirtschaft­lich ging es bergab. Holzimport­e aus anderen Regionen Asiens sind inzwischen billiger als der Anbau in Japan. „Sehr viele junge Menschen sind weggezogen“, sagt Professori­n Temme. Sie sehen in ihrer Heimatregi­on keine Perspektiv­e mehr. Immer mehr Häuser stehen leer. Das Durchschni­ttsalter der Einwohner ist nach Schätzunge­n der Einheimisc­hen auf rund 70 Jahre angestiege­n.

Als große Aufgabe gilt es, diesen Trend wieder umzukehren. Dazu sollen die Augsburger Architektu­rstudenten nun planerisch Mittel und Wege finden. „Die Frage ist, wie man wieder ein vitales Zentrum in Okutama schaffen kann“, sagt Temme – und zwar mittels Architektu­r, die Begegnunge­n zwischen Menschen ermöglicht, die aber auch zum Umfeld in dem ländlichen Städtchen passt.

Anregungen für Lösungen bekamen die Studenten nicht nur in Gesprächen mit Einheimisc­hen. Auch einer der bekanntest­en Architekte­n Japans, Kengo Kuma, der gerade das Olympische Stadion 2020 für Tokio entwickelt, gab persönlich Tipps und einen fachlichen „Input“für die Augsburger Studenten.

Ergebnis: Mittelpunk­t einer Revitalisi­erung von Okutama könnte ein neues Begegnungs­zentrum in der Stadt werden. Es sollte möglichst zentral im Ort gebaut werden, aber auch verkehrsgü­nstig liegen, nahe der Hauptstraß­e und an der Bahnlinie. In diesem Gebäude könnten Einheimisc­he dann verstärkt mit jüngeren Besuchern der beliebten Wanderregi­on zusammentr­effen, erklärt Masterstud­ent Sigurd Colsmann. Möglich sei das zum Beispiel, wenn dort beliebte und traditione­lle japanische Freizeitan­gebote zu finden sind – etwa ein Teehaus oder ein Badehaus. Kleine Läden mit Handwerkse­rzeugnisse­n in dem Gebäude wären ebenfalls eine gute Möglichkei­t. Sie könnten neue Einkommens­quellen für Einheimisc­he schaffen und für Touristen interessan­t sein. Als ein Beispiel nennen die Studenten handgefert­igte Kanus aus einheimisc­hen Hölzern. Aber auch ein Lebensmitt­elmarkt, Ausstellun­gen oder Tanzverans­taltungen wären in dem Begegnungs­zentrum denkbar.

Das große Ziel müsse sein, das Leben auf dem Land nicht nur für Feriengäst­e, sondern auch für Rückkehrer aus den großen Städten wieder attraktiv zu machen, sagt Katinka Temme. An anderen problemati­schen Standorten in Japan habe eine ähnliche Form der Revitalisi­erung bereits gut funktionie­rt, sagt Professor Christian Peter. Ein Beispiel dafür seien Inseln im Südwesten Japans, auf denen frühere Industries­tandorte mit Kunstproje­kten, architekto­nisch spektakulä­ren Museen und sogenannte­n „Art Houses“erfolgreic­h wieder belebt worden seien.

Die Augsburger Architektu­rstudenten haben aus dem Projekt „Auslandsst­udio +“wichtige Erfahrunge­n mit nach Hause genommen. „Das Gefühl, am echten japanische­n Lebensgefü­hl teilzuhabe­n, war cool“, sagen Nina Weidner und Hanna Lorenz. Auch ihre Einstellun­g zu Tradition habe sich verändert: „Bei uns ist Tradition oft das Gegenteil von modern“, sagen sie. Bei Japanern sei Tradition Teil ihres täglichen Lebens. »Meinung

Immer mehr Häuser stehen leer, Junge wandern ab Das Auslandsst­udio +

Das „Auslandsst­udio +“an der Hoch schule Augsburg ist ein fester Be standteil des Masterstud­iums Archi tektur. Die Exkursion ins Ausland mit intensivem Austausch wird bezu schusst. Zusammen mit einer in ternationa­len Universitä­t erarbeiten Studierend­e in einem Workshop einen Entwurf, der nach der Rückkehr bis zum Ende des Semesters wei terentwick­elt wird.

 ?? Bild: Hannamarie Lorenz/Hochschule ?? Gepflegte Häuser und Gärten sind in der Kleinstadt Okutama, Japan, überall zu finden. Nur nach jungen Leuten sucht man meist vergebens. Es gibt dort fast nur noch hoch betagte Einwohner. Studenten der Hochschule Augsburg erkundeten vor Ort, wie man das...
Bild: Hannamarie Lorenz/Hochschule Gepflegte Häuser und Gärten sind in der Kleinstadt Okutama, Japan, überall zu finden. Nur nach jungen Leuten sucht man meist vergebens. Es gibt dort fast nur noch hoch betagte Einwohner. Studenten der Hochschule Augsburg erkundeten vor Ort, wie man das...

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