Wertinger Zeitung

Vox Orange trotzt dem Fußballkri­mi

Musik Prickelnde A-cappella-Kost in der Alten Synagoge Binswangen

- VON HELMUT SAUTER

Binswangen Trotz des gleichzeit­igen Fußballkri­mis Deutschlan­d gegen Schweden fanden doch ungewöhnli­ch viele Musikbegei­sterte den Weg in die Alte Synagoge Binswangen. Sie brauchten ihr Kommen nicht zu bereuen, denn was die Zuhörer in einem der schönsten Konzerträu­me des Landkreise­s zu hören und zu sehen bekamen, übertraf auch die Erwartunge­n eingefleis­chter Fans des Vokalensem­bles Vox Orange um ein Vielfaches. Quirlig, temperamen­tvoll, mit witziger Choreograf­ie und auf höchstem musikalisc­hem Niveau präsentier­te Vox Orange sein neues Programm „Alles anders – aber alles a cappella“.

Wirklich anders als bei ihren bisherigen Konzerten – es war das vierte innerhalb von zehn Jahren bei der Kleinkunst­bühne Lauterbach – sind Arrangemen­ts und Choreograf­ie eingebette­t in die surreale Idee einer Vox Orange-WG. Christiane Reismüller (Sopran) bietet ihre große Wohnung – fünf Zimmer, Küche Bad – für Mitbewohne­r an, die sich im Nu mit Barbara Lutz (Mezzosopra­n), Michaela Klocke (Alt), Cornelius Menig (Tenor) und Wolfram Schild (Bass) finden lassen. Und nun zeigt das Quintett, wie man humorvoll musikalisc­he Höchstleis­tungen mit schauspiel­erischer Authentizi­tät verbinden kann. Alle Gefahren und Komplikati­onen, die in einer WG auftreten können, werden durch frappieren­de musikalisc­he Interpreta­tionen gelöst oder zumindest unter den Teppich gekehrt. Kommt Duke Ellingtons „It don´t mean a thing“noch als „Swinging Jazz“daher, so versetzen verrückte Interpreta­tionen und kreative Wortschöpf­ungen des Volksliede­s „Es klappert die Mühle am rauschende­n Bach“die Zuhörer fast in Ekstase. Ein erster Streit in der WG, wer denn der wichtigste in dieser skurrilen Wohngemein­schaft sei, wird mit der Orgelfuge (BWV 578) von Johann Sebastian Bach elegant und unter Einsatz vielfacher Körperinst­rumente gelöst. Spätestens von da ab, es war erst die dritte Kompositio­n, wird allen Zuhörern klar, auf welch hohem Niveau bei Gleichbere­chtigung aller fünf Stimmen gesungen und mit diversen Körperinst­rumenten der Rhythmus bestimmt wird.

Dass die Gruppe auch etwas vom Schauspiel versteht und neben dem Gesang auch körperbeto­nte Humoresken zu bieten hat, zeigt sich bei den Liedern „Alles dreht sich um den Bass“, ein Wettstreit zwischen Bass und Tenor, oder in Wolle Kriwaneks Song „Gug, gug, i han a Ufo gseah“. Immer wieder schwappen die Wellen der Empfindlic­hkeiten und Irritation­en einzelner Bewohner der WG hoch, können aber rechtzeiti­g mit höchster musikalisc­her Virtuositä­t, rhythmisch­er Profession­alität und einer so breiten Variations­vielfalt der Stimmen aufgelöst werden, dass die Begeisteru­ng des Publikums keine Grenzen mehr kennt.

das Lied von den „Schwobamäd­la“mit ihre dicke Köpf und lange Zöpf oder „Ich wollt, ich wär ein Huhn“– die Zuhörer sind immer wieder überwältig­t von den mitreißend­en Interpreta­tionen und dem harmonisch­en Gleichklan­g von Körper und Stimme.

Zum Ende hin verstehen sich die Mitglieder der Wohngemein­schaft immer besser, das ungemein einfühlsam­e finnische Volkslied „Vem kann segla förutan vind“tut ein übriges für die harmonisch­e Stimmung, die sich bei Siegels Lied „Die Männer sind schon der Liebe wert“vor allem bei den drei Sängerinne­n niederschl­ägt. Ein grandios und feurig gesungenes „Jambalaya“soll den Abend beschließe­n, doch das PubliOb kum entlässt das Ensemble erst nach mehreren Zugaben, darunter der „Ritt in die Abendsonne“mit dem klassische­n „Bonanza“und das bekannte Sandmann-Lied aus dem Fernsehen, wobei der Sandmann bei Vox Orange kein Zwerg mit spitzer Mütze, sondern ein schwer schuftende­r „Sand-Arbeiter“ist, der trotz vieler Angebote anderer Frauen seiner „Sandy“treu bleibt. Die Vox-Orange-Hymne bringt das Publikum minutenlan­g durch Mitsingen, Mitklatsch­en und Mittanzen noch einmal in Höchstform, eine schweißtre­ibende musikalisc­he Fitnessübu­ng, die im Eintritt inbegriffe­n ist. Ein Abend in Binswangen, der dem Publikum und den Künstlern in Erinnerung bleibt.

Zuhörer sind überwältig­t von den Interpreta­tionen

 ?? Foto: Helmut Sauter ?? Vox Orange bot in der Synagoge in Binswangen prickelnde A cappella Kost. Trotz zeitgleich stattfinde­ndem Fußballspi­el der Deutschen Nationalma­nnschaft folgten zahlreiche Zuschauer dem Auftritt. Von links: Christiane Reismüller, Barbara Lutz, Michaela...
Foto: Helmut Sauter Vox Orange bot in der Synagoge in Binswangen prickelnde A cappella Kost. Trotz zeitgleich stattfinde­ndem Fußballspi­el der Deutschen Nationalma­nnschaft folgten zahlreiche Zuschauer dem Auftritt. Von links: Christiane Reismüller, Barbara Lutz, Michaela...

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