Sie trotzen dem Gasthaus Sterben
Sie sind urig, der Mittelpunkt des Dorfes und typisch bayerisch: 100 Wirte dürfen sich nun mit dem Titel „Heimatwirtschaft“schmücken. Was den Gästen wichtig ist
München Die Gäste schauen verdutzt in die Speisekarte: „Ein Kalbsnierenbraten? Das haben wir ja seit 40 Jahren nicht mehr in einer Wirtschaft serviert bekommen.“Georg Osterlehner beobachtet solche Reaktionen regelmäßig. Der Herr des Hauses im „Gasthof zur Sonne“in Röfingen (Landkreis Günzburg) schmunzelt und sagt über seine Frau, die Kreisvorsitzende des Hotel- und Gaststättenverbandes (Dehoga) ist: „Ingrid kocht typisch bayerische Essen, die es fast nirgends mehr gibt. Das ist unsere Stärke.“
Für den ehemaligen Heimatminister und jetzigen Ministerpräsidenten Markus Söder (CSU) sind es solche Details, die die Auszeichnung als eine der „100 besten Heimatwirtschaften“rechtfertigen. Das Heimatministerium hatte die Wirte gemeinsam mit Dehoga erstmals aufgerufen, sich für den Wettstreit zu bewerben. Die Sieger kürte Söder mit seinem Nachfolger Albert Füracker im Münchner Hofbräuhaus. „Die Wirtshäuser und Gaststätten sind ein lebendiges Symbol bayerischer Lebensart“, sagt Söder. Sie prägen mit ihrer Geschichte, Tradition und sozialen Bedeutung den ländlichen Raum und seien zentraler Bestandteil des Heimatgefühls. Füracker ergänzt: „Sie sind Motor der regionalen Wirtschaft, Begegnungsstätte für Jung und Alt und Plattform für aktives Gemeinwesen.“
Doch Dorfwirtschaften in Bayern haben es schwer. Immer mehr müssen schließen – in den vergangenen zehn Jahren verlor der Freistaat fast ein Viertel aller Gasthäuser auf dem Land. Die Gründe sind immer die gleichen: nicht mehr rentabel, zu wenig Gäste oder fehlende Nachwuchs-Wirte. Viele trauen sich den stressigen Berufsalltag nicht zu. Familie Osterlehner ist in dieser Hinsicht gut aufgestellt. Seit fast zwei Jahren führen die beiden Kinder Bettina und Dominik die Geschäfte, zusammen mit ihrem Vater Georg. Seit 1880 ist der Betrieb in Familienbesitz.
In Röfingen gibt es sogar ein weiteres prämiertes Wirtshaus, den „Gasthof Zahler“. Ihn gibt es noch 33 Jahre länger als den Konkurrenten „Sonne“. Wieso die Zahlers ausgezeichnet worden sind? „Ich glaube, bei uns ist es so, wie man sich eine Dorfwirtschaft vorstellt“, sagt Inhaber Balthasar Zahler. Zusammen mit Frau Marlene und Tochter Christine ist er Wirt in fünfter Ge- neration. Der Familienbetrieb legt ebenfalls großen Wert auf eine regionale deutsche Küche. „Die Leute sehnen sich danach“, erklärt der 65-Jährige. Viele Touristen seien unter seinen Gästen, „selbst aus Südkorea hatten wir erst neulich welche da“.
Neben den erfreulichen Seiten des Gastronomie-Gewerbes möchte Zahler eines nicht verschweigen: „Wir kommen oft an die Grenzen der Belastung.“Das bestätigt auch Inge Blum, Wirtin der „Alten Roggenschenke“in Roggenburg (Kreis Neu-Ulm). „Ein Zwölf- bis 14-Stunden-Tag ist ganz normal“, sagt sie. Auch deshalb wird sie von Sohn Michael und dessen Frau Ramona tatkräftig unterstützt. „Wegen des Geldes macht man den Job nicht, man muss vollständig überzeugt sein und den Beruf leben.“
Seit 20 Jahren leitet Blum die „Roggenschenke“. „Man darf nicht stehen bleiben, muss aber nicht alles mitmachen“, erklärt sie. Reservieren etwa könne man nur telefonisch, nicht aber über das Internet. „So kommt man mit den Menschen ins Gespräch.“Die Gäste im über 300 Jahre alten Gebäude mit altem Holzboden erwartet Uriges: Es gibt Eckbänke, der Stammtisch steht in der Mitte des Raumes und „hier trifft sich die Gesellschaft, hier reden die Leute auch noch miteinander“. Auch für Franz Nosalski von der „Alten Brauerei Mertingen“im Landkreis Donau-Ries ist das ein wichtiges Indiz einer gesunden Wirtschaft auf dem Land: „Bei uns kommt das Dorf zusammen.“Schafkopf-Runden der „lebendigen Landjugend“gehören in seinem Lokal genauso dazu wie zahlreiche Veranstaltungen. „Wir machen Irish-Folk-Abende, Barbecue-Grillen oder im Winter auch Musicals. Ich achte auf Abwechslung“, sagt Nosalski. Man müsse heutzutage eben mehr sein als eine reine Schankwirtschaft. Sein Erfolgsgeheimnis? Eine Mischung aus Regionalität, Tradition und modernen Ansätzen.
Erfreulich für die ausgezeichneten Wirte: Das Ministerium investiert 30 Millionen Euro Fördergelder, um insbesondere gastronomische Kleinbetriebe zu unterstützen.