„Keine Stadt war in einer solch brisanten Lage“
Der Glötter Kirchenhistoriker Dr. Walter Ansbacher spricht über Dillingen im 30-jährigen Krieg
„des Teufels vernehmlichster Tummelplatz“. Denn die unter Leitung des Jesuitenordens stehende Bildungsstätte war über die Region hinaus das Bollwerk der katholischen Kirche schlechthin.
Die Jesuiten waren Vorkämpfer der Gegenreformation? Ansbacher: Absolut. Sie bildeten eine starke intellektuelle Gegenströmung zur damaligen Reformationsbewegung und rechtfertigten ihre Ansichten immer wieder mit scharfsinnigen Gutachten und Pamphleten. Ihnen wurde von verschiedenen Seiten gar eine Hauptschuld am Kriegsausbruch zugewiesen.
Wieso wurde Dillingen verschont? Mit dem 30-jährigen Krieg verbinden wir heute noch Gräueltaten und ausradierte Städte. So wie Magdeburg. Ansbacher: Eine schlüssige Antwort darauf lässt sich aus den vorliegen- den Quellen nicht entnehmen. Dieses merkwürdige Faktum gleicht einem Wunder. Obwohl Dillingen eine der Hochburgen der katholischen Gegenreformation war, wurde die Stadt friedlich und ohne Blutvergießen an die feindlichen Schweden übergeben, und das damalige Kriegsrecht schrieb die Schonung einer Stadt bei friedlicher Übergabe vor. Unter den späteren Besatzern dagegen hatte sie weit mehr zu erleiden. König Gustav Adolf II. von Schweden, der Dillingen eigentlich dem Erdboden gleichmachen wollte, soll später gar Hochachtung gegenüber der Stadt und den Jesuiten gezeigt haben. Ferner stand der schwedische Gouverneur David von Osten lange Zeit auf gutem Fuße mit den Jesuitenpatres. Der hatte allerdings seine Gründe.
Welche denn? Ansbacher: Unter den Schweden kursierten zahlreiche Gerüchte über den scheinbaren Reichtum der Jesuiten. So sollte der Orden einen riesigen Diamanten in Dillingen versteckt haben. Nachdem Stadtkommandant von Osten diesen trotz angestrengter Suche nicht finden konnte, schlug die freundschaftliche Stimmung schnell um.
Gab es diese Reichtümer denn? Ansbacher: Die Geschichte von dem besagten Diamanten ist reine Legende. Sicher dagegen ist, dass die Jesuiten vor Eintreffen der Schweden wertvolles Kirchensilber und andere liturgische Gerätschaften rechtzeitig ins Allgäu, das heißt nach Mindelheim, weggeschafft haben.
Und wie erging es den Dillingern, nachdem von Osten nichts fand? Ansbacher: Die Lage wurde ernster. Die Jesuiten wurden nun mit Gefängnisaufenthalt und Demütigungen konfrontiert; einer der Patres starb an den Folgen der Haft. Unter den Schweden scheint hingegen keine Kirche zerstört worden zu sein. Es ist sogar überliefert, dass zwei schwedische Offiziere der Studienkirche Messgewänder gestiftet haben. Der eine war Lutheraner, der andere Zwinglianer. Religiöse Trennlinien waren in diesem Krieg offenbar durchaus überwindbar. Man darf dennoch nicht vergessen, wie viele Menschenleben dieser Krieg nicht nur im Reich, sondern auch in der Region gekostet hat. Etwa vier Fünftel der Bevölkerung in Stadt und Umgebung erlebten das Kriegsende nicht.
Wie das? Die Stadt wurde doch nicht niedergebrannt? Ansbacher: Seuchen, Hungersnöte und Kriminalität wüteten hier genauso wie andernorts. Die Sterblichkeitsrate war vor allem unter der Landbevölkerung sehr hoch.
Gibt es dazu Zahlen? Ansbacher: Der Ad-limina-Bericht von 1635 gibt an, dass im Dillinger Umland nicht einmal mehr ein Zehntel der ursprünglichen Bevölkerung übrig geblieben war.
Wie gestaltete sich das weitere Zusammenleben zwischen Besatzern und Bevölkerung? Ansbacher: Die schwedischen Offiziere lebten größtenteils in der Stadt, was den Bewohnern aufgrund der Disziplin der Offiziere zugutekam. Die Bevölkerung musste allerdings die Soldaten und ihren Tross versorgen. Bemerkenswert bleibt, dass es innerhalb der Stadt offensichtlich kaum zu größeren Ausschreitungen kam. und Verfolgungen
Hat die Stadt vielleicht ein hohes Schutzgeld gezahlt? Ansbacher: Die Schweden hatten nach der Besetzung zunächst ein Lösegeld in Höhe von 10 000 Talern verlangt, ließen aber mit sich verhandeln und begnügten sich schließlich mit der vergleichsweise geringen Summe von 700 Talern.
Sind die Quellen denn glaubwürdig? Ansbacher: Auf jeden Fall! Das gilt sowohl für die authentischen Briefe des Dillinger Stadtpfarrers als auch für die Angaben über die Jesuiten sowie für die Berichte aus dem Bistum.
Und woher stammen die Schätzungen zu Toten und Zerstörungen? Ansbacher: Es liegen dazu einzelne Hinweise aus den genannten Quellen vor. Ferner gab der Bischof von Augsburg nach dem Krieg eine Expertise in Auftrag, um die entstandenen Verheerungen zu ermitteln.
In Ihrem Vortrag ist sogar von einem protestantischen Bürger zu hören, der hohe Summen für die Auslösung von Dillinger Jesuiten aus dem Gefängnis aufwandte. Außergewöhnlich? Ansbacher: Definitiv außergewöhnlich, vor allem in dieser Zeit. Rektor, Kanzler und ein weiterer Jesuitenpater wurden für 1800 Gulden ausgelöst. Sehr viel Geld für damalige Verhältnisse – und das als Bürgschaft für Feinde der eigenen Konfession. Eine sehr menschliche Geste.
1646 musste Dillingen auf Befehl die Donaubrücke abbrennen. Ein dramatisches Ereignis für die Stadt, so kurz vor Kriegsende. Ansbacher: Es gibt keinen Hinweis, dass die Zerstörung nicht erfolgte. Sie hatte wohl schlimme Auswirkungen, denn die Brücke diente der Region als Hauptübergang über die Donau und damit auch als wichtige Flucht- und Zufluchtsmöglichkeit für Stadt und Land.
Dillingen ist also glimpflich davongekommen. Wieso gibt es dann den Kinderreim „Kindlein, Kindlein bet, morgen kommt der Schwed, morgen kommt der Oxenstern, der den Kindlein ’s Beten lernt“? Ansbacher: Die Menschen in der Stadt wussten vorher ja nicht, was auf sie zukommen würde. Den Schweden eilte ein schrecklicher Ruf voraus. Die Bevölkerung hatte daher allen Grund zur Sorge. Übrigens war dieser Reim in unserer Region um 1932 noch gängig. Die Schulkinder mussten ihn auswendig lernen. Heute kennt ihn kaum noch jemand.
Unter den Schweden kursierten Gerüchte über den Reichtum der Jesuiten
Das Interview führte Jonas Voss