Helfen Sie anderen, ihre Talente zu entdecken
Ratgeber In vielen Menschen schlummern unentdeckte Fähigkeiten. Das ist schade – und muss sich ändern
Fast hätte ich es nicht entdeckt. Beim Auschecken aus einem Brüsseler Hotel fragte ich den Mann an der Rezeption, ob er noch ein Erinnerungsfoto von mir und meinem Mann machen könne. Das Hotel war wunderschön eingerichtet und wir wollten davon gern ein Bild haben. Und dann legte dieser Mann vom Nachtdienst los wie ein Profifotograf: „Stellen Sie sich dahin, gucken Sie weiter nach rechts, hier ist das Licht schön, da haben Sie einen Schatten im Gesicht…“
Wir waren verblüfft vom exzellenten fotografischen Ergebnis und lobten ihn entsprechend. Und dann erzählte er uns, dass das Fotografieren seine große Leidenschaft sei. Er zeigte uns eine Auswahl seiner Bilder: sensationell.
Ich fragte ihn, ob er denn auch Fotos für das Hotel machen würde – bei dem Talent wäre das doch eine super Sache. „Ach, nein“, sagte er, „die wissen das gar nicht. Für die bin ich halt der Typ vom Nachtdienst.“Sein Talent wurde einfach übersehen. Wie schade. Für das Hotel.
Als ich vom Brüsseler Hotel zum Flughafen unterwegs war, habe ich mir die Frage gestellt: Wie viele unentdeckte Talente schlummern eigentlich in den Menschen, mit denen wir Tag für Tag zu tun haben? Welche Rohdiamanten von Menschen kennen Sie, ohne zu wissen, was in ihnen steckt? Welche Fähigkeiten verbergen sich vor Ihnen in den Menschen in Ihrem Team?
Wir wissen zu wenig von den Ta- lenten anderer und oftmals wissen die es selbst auch nicht. Der von mir sehr geschätzte Managementprofessor und Autor Warren Bennis sagte einmal einen Satz, der mich schon seit vielen Jahren nachhaltig inspiriert: Das Beste, was eine Führungskraft für ein großartiges Team tun kann, ist, die Teammitglieder ihre eigene Größe entdecken zu lassen.
Dazu füge ich noch hinzu: Das Beste, was wir alle, ob als Führungskraft, als Teamleiter, als Coach, als Lehrer, als Vater oder Mutter tun können: Wir können Menschen helfen, ihre eigene Größe und ihre Talente zu entdecken.
Eines der schönsten Beispiele dafür, das wir kennen, ist das W-Hotel in Barcelona. Vielleicht erinnern Sie sich, wir haben schon einmal darüber geschrieben. Das Ergebnis der permanenten Talentsuche im W-Hotel sind Geschichten wie diese, die uns immer wieder die pure Freude ins Gesicht zaubern: Norma aus Peru, die elf Jahre in Japan gelebt hat, begrüßt japanische Gäste und hilft ihnen beim Check-in. Neben ihrer Kernaufgabe. Sie ist Reinigungskraft. Jamal aus Marokko ist gläubiger Muslim und erklärt beispielsweise allen Mitarbeitern, was der Fastenmonat Ramadan für muslimische Gäste bedeutet. Neben seiner Kernaufgabe. Er ist Fensterputzer. Jordi ist begabt im Bauen von originellen Dingen. Und er liest für sein Leben gern. Deshalb baut er die Requisiten im Hotel und macht Literaturempfehlungen: Natürlich neben seiner Kernaufgabe. Er ist Müllmann.
Was dem W-Hotel gelingt, sollte uns allen Ansporn und Verpflichtung sein: Machen Sie sich heute ein großartiges Geschenk und unterstützen Sie jemanden darin, ein Stück weit seine eigene Größe und seine Talente zu entdecken!