Sommer, Sonne, arbeitslos
Jedes Jahr stehen hunderte bayerische Lehrer in den großen Ferien ohne Job da, weil ihr Vertrag ausläuft. Trotz scharfer Kritik ändert sich nichts. Ein junger Pädagoge erzählt, wie belastend diese dauernde Unsicherheit ist
Augsburg Spätestens im Juni waren sie da, die quälenden Gedanken, die Sorgen und die vielen Fragenzeichen. „Ab Pfingsten schläft man nicht mehr wirklich gut“, sagt Philipp Schmidt. Das, was ihm oft die Nachtruhe raubte, war eine ständige, zermürbende Ungewissheit. Eigentlich hat Schmidt, der in Wirklichkeit anders heißt, seinen Namen aber nicht nennen möchte, einen Job, der als relativ sichere Bank gilt: Er ist Lehrer. Mit Sicherheit hat der Beruf heute aber zuweilen nicht wirklich viel zu tun.
Schmidts Problem war, dass er eine Zeit lang nur befristete Verträge hatte. Viereinhalb Jahre ging das so. Und bei Lehrern wie ihm sieht die Praxis folgendermaßen aus: Wer bis zum 1. Oktober eingestellt wird, bekommt einen Jahresvertrag, der auch den August abdeckt. Wer allerdings erst nach diesem Stichtag anfängt, dessen Vertrag läuft zum Schuljahresende aus – in den Sommerferien ist er arbeitslos. Auch Schmidt ist es einmal so ergangen, als er erst zum Halbjahr im Februar an einer Schule anfing. „Von den Lehrern wird erwartet, dass sie den Schülern Werte vermitteln und Sicherheit geben. Aber das soll jemand machen, dem all das nicht zugestanden wird“, klagt er. Eine richtige Lebensplanung, etwa, was die Familie angeht oder wo man künftig wohnt, sei so nicht möglich.
Das Thema wurde am Donnerstag auch im Landtag behandelt. Die SPD hatte die Staatsregierung in einem Dringlichkeitsantrag aufgefordert, befristete Lehrkräfte nicht mehr mit Beginn der Sommerferien in die Arbeitslosigkeit zu entlassen. Es dürfe, so der Wunsch der SPD, keine „sachgrundlosen Befristungen“mehr geben. Natascha Kohnen, Chefin der Bayern-SPD, kritisierte das Vorgehen als „zutiefst unanständig“. Denn alle, die im August gekündigt würden, würden im September wieder eingestellt – weil sie sonst nämlich fehlten. „Und damit es keine Kettenverträge werden, ersetzen sie einfach den einen Befristeten durch den nächsten.“An Grund- und Mittelschulen sei die Zahl der befristeten Verträge von 2012 bis 2016 um knapp 50 Prozent gestiegen. An den Realschulen habe es sogar eine Steigerung um 69 Prozent gegeben, sagte Kohnen.
Kritik kommt nicht nur von ihr. Auch der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) macht deutlich, was er vom Umgang mit befristet angestellten Lehrern hält. „Da klagt das Kultusministerium, dass es nicht genügend Personal findet, greift gar auf Pensionäre und Quereinsteiger zurück. Und gleichzeitig entlässt es Jahr für Jahr gut ausgebildete und gut arbeitenden Lehrer, statt sie zu behalten“, sagte der bayerische DGB-Vorsitzende Matthias Jena. Der Lehrerberuf müsse attraktiver werden, fordert er. „Das funktioniert nur, wenn der Freistaat den Lehrerinnen und Lehrern gute Perspektiven bietet, mehr Lehrpersonal fest anstellt und die Löhne schulartübergreifend angleicht.“
Ganz so dramatisch sieht Gerd Nitschke, Vizepräsident des Bayerischen Lehrer-und Lehrerinnenverbandes, die Sache nicht. Im Vergleich zu anderen Ländern stehe der Freistaat noch ganz gut da, sagte er im Gespräch mit unserer Zeitung. Nitschke spielt damit auf die Probleme im benachbarten BadenWürttemberg an. In keinem anderen Bundesland gibt es so viele Lehrer, die sich in den Sommerferien arbeitslos melden. Deutschlandweit waren es im vergangenen Jahr 4900. Davon allein 1680 in Baden-Württemberg. In Bayern waren es 860.
Das bayerische Kultusministerium reagiert auf die scharfe Kritik der SPD mit aktuellen Zahlen. „In Bayern sind derzeit – anders als in anderen Bundesländern – rund 92 Prozent aller Lehrerinnen und Lehrer verbeamtet, drei Prozent sind unbefristet angestellt und weniger als fünf Prozent befristet angestellt“, heißt es in einer Stellungnahme auf Anfrage unserer Zeitung.
Philipp Schmidt gehörte einst zu diesen fünf Prozent. Eigentlich wollte er Gymnasiallehrer werden. Weil aber die Chance auf eine Planstelle mit seinen Fächern sehr gering war, sattelte er um. Seit drei Jahren arbeitet er nun an einer Mittelschule im Landkreis Augsburg – als Beamter auf Probe. Er hofft, bald auf Lebenszeit verbeamtet zu werden. Mit seiner Festanstellung sind für ihn die Zeiten der Ungewissheit und der schlaflosen Nächte vorbei. Für viele andere bleiben sie. Denn ändern wird sich vorerst nichts. Die SPD scheiterte mit ihrem Vorstoß, die Befristungspraxis zu ändern, an der CSU-Mehrheit im Landtag.
Zehn Jahre sind in der Politik eine halbe Ewigkeit. Trotzdem kann es ausgesprochen erhellend und auch ziemlich lustig sein, zwischendurch mal zurückzublicken. Vor gut zehn Jahren hat der aktuelle bayerische Ministerpräsident Markus Söder sich in den höchsten Tönen über seinen Vor-vor-vorgänger Edmund Stoiber geäußert und sich gar als den „letzten Stoiberianer“bezeichnet. Jetzt hat ausgerechnet Söder gleich zu Beginn seiner Amtszeit den letzten von Stoibers einst höchst umstrittenen Sparbeschlüssen zurückgenommen: Das traditionsreiche Bayerische Oberste Landesgericht wird neu gegründet. Die Justiz freut sich und die Mehrkosten von rund einer Million Euro fallen bei einem Gesamthaushalt von rund 61 Milliarden Euro nicht ins Gewicht – genauso wenig übrigens, wie die Abschaffung des Gerichts damals eine nennenswerte Entlastung des Staatshaushalts gebracht hat.
Andere Summen knallen da ganz anders rein. Seit den Jahren des Stoiberschen Sparkurses (2005/2006) stiegen die Staatsausgaben in Bayern von rund 35 auf rund 61 Milliarden Euro (2018). Stoiber war voll auf die Bremse getreten. Seine Nachfolger haben wieder Vollgas gegeben. Möglich war das durch eine ungewöhnlich lange Phase ungewöhnlich starken Wirtschaftswachstums. Der Haushalt konnte ausgeglichen gehalten werden. Sogar alte Schulden konnten getilgt werden. Das sollte allerdings niemandem glauben machen, dass es auf Dauer so weitergehen wird.
860 bayerische Lehrer meldeten sich arbeitslos