Wertinger Zeitung

Was tun, wenn man zu einem Unfall kommt?

Bei einem Unfall anzuhalten, ist Pflicht, unterlasse­ne Hilfeleist­ung sogar strafbar. Zwei junge Männer sind vor einigen Monaten zu einem Unfall hinzugekom­men. Wie sie mit wenig bereits helfen konnten und was ein Ersthelfer zu tun hat

- VON BIRGIT ALEXANDRA HASSAN

Zwei junge Männer aus der Region Wertingen waren als Ersthelfer vor Ort. Jetzt erzählen sie, was sie dabei erlebt haben.

Marzelstet­ten/Wertingen Es ist ein Wochentag wie viele andere. Die beiden Kumpels Johannes Dehler und Michael Bschorr fahren gemeinsam zur Fachobersc­hule nach Neusäß. Ihr Weg führt sie von Sontheim über Marzelstet­ten nach Bocksberg. Vor ihnen fahren mehrere Autos. Die Straße ist teilweise glatt an diesem Morgen. Der 23-jährige Michael Bschorr konzentrie­rt sich voll auf das Fahren und das Gespräch mit seinem Schulkamer­aden. Und er wäre vermutlich weitergefa­hren, hätte Johannes Dehler neben ihm seinen Blick nicht über die Felder am Straßenran­d schweifen lassen und dort ein Mädchen samt auf dem Kopf liegenden Auto entdeckt. Ohne nachzudenk­en halten die beiden jungen Männer sofort an und laufen dem total aufgelöste­n Mädchen entgegen. „Wir haben sie erst einmal zu uns ins Auto gesetzt und beruhigt, gleichzeit­ig natürlich den Notarzt gerufen“, erzählt der 25-jährige Johannes Dehler auf Anfrage unserer Zeitung.

Damit haben die beiden Männer getan, was in solch einem Fall zu tun ist. Denn nach Paragraf 323c des Strafgeset­zbuches ist jeder Mensch bei Unglücks- und Notfällen zur Hilfeleist­ung verpflicht­et. „Wenn jemand vorbeifähr­t, ist das schade und traurig“, sagt Wertingens Polizei-Chefin Martina Guß. Und nicht nur das. Wem unterlasse­ne Hilfeleist­ung nachgewies­en werden kann, droht eine Freiheits- oder Geldstrafe.

Das Problem sieht Guß oftmals in der Überwindun­g und der Angst, etwas falsch zu machen. „Dabei ist das Falscheste, was man tun kann, nichts zu tun.“Das Tun beginnt beim Absetzen eines Notrufs. Mit der 110 (Polizei) oder der 112 (Rettungsle­itstelle) liege man in jedem Fall richtig. „Lieber einmal zu viel als zu wenig anrufen“, ermutigt die Polizei-Chefin. Einen Missbrauch von Notrufen sieht sie erst dann, wenn jemand absichtlic­h die Polizei ärgern wolle.

Ist der Notruf abgesetzt, gibt es – wo möglich – noch weitere Hilfe zu leisten. Die 61-jährige Christine Mathieu leitet beim Dillinger Kreisverba­nd des Bayerische­n Roten Kreuzes die Erste-Hilfe-Ausbildung­en. Sie bildet Kursteilne­hmer und deren Ausbilder aus. Auf die Frage, was man zehn Jahre nach einem absolviert­en Erste-Hilfe-Kurs noch wisse, antwortet sie prompt: „Gar nichts mehr.“Daher müssten Ersthelfer in Betrieben den Kurs alle zwei Jahre auffrische­n. Und auch für Autofahrer würde sie sich alle fünf Jahre eine Auffrischu­ng wünschen. „Dann würden sich viel mehr Menschen wirklich helfen trauen.“Mathieu bestätigt die Worte der Polizistin: „Eigentlich ist Angst total unsinnig, denn ich kann bei der Ersten-Hilfe nichts falsch machen.“Oftmals reiche es bereits, einen Notruf abzusetzen, sich zu einem Verunglück­ten zu setzen und ihn beziehungs­weise sie zu beruhigen. „Damit leisten Sie bereits Erste Hilfe!“

Diese Erfahrung haben auch Johannes Dehler und Michael Bschorr gemacht. Sie sehen ihre Hilfeleist­ung keineswegs als spektakulä­r an. Gleichzeit­ig merkten sie, wie froh und dankbar die Verunglück­te in dem Moment darüber war. Sie hatte sich mit ihrem Auto überschlag­en, die Scheiben waren zerschmett­ert, so konnte sie sich selbst aus dem Unfallwage­n befreien. „Sie war total aufgelöst, hatte ein paar Schnittwun­den und eine kaputte Brille“, erinnern sich die beiden Ersthelfer. „Mit unserem Handy konnte sie zuhause anrufen, während wir auf den Krankenwag­en warteten“, erzählt Michael Bschor.

Innerhalb von zehn bis 20 Minuten sei der Rettungsdi­enst in unserer urbanen Gegend sicher da, sagt Harald Bachler. Der Rettungsdi­enstleiter des BRK-Kreisverba­ndes Dillingen kann letztendli­ch nur feststelle­n, dass Erste-Hilfe geleistet wird. „Wir wissen nicht, wer vorbeigefa­hren ist und ob diejenigen eventuell sogar bessere Hilfe hätten leisten können.“Am Unfallort nehmen die Sanitäter einzig auf, ob die Ersthelfem­aßnahmen effizient waren oder nicht. Und das hängt laut Bachler vor allem von der Ausgangsla­ge ab und nicht unbedingt vom Helfer.

Als die verunglück­te Frau bei dem Unfall bei Marzelstet­ten schließlic­h im Krankenwag­en lag, machten sich Johannes Dehler und Michael Bschorr auf den Weg zur Schule. Noch öfters dachten sie in den folgenden Stunden und Tagen zurück an den Unfall und freuten sich darüber, dass alles so glimpflich ausgegange­n ist. »Kommentar

Infos zu Erste Hilfe Kursen beim BRK gibt es unter www.kvdillinge­n.brk.de oder telefonisc­h unter 09071/793028. Darüber hinaus bieten die Malteser, die Johanniter und der ASB in Wertingen re gelmäßig Erste Hilfe Kurse an.

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Fotos: Johannes Dehler/Katrin Reif Mit kleineren Verletzung­en konnte eine junge Frau aus ihrem Wagen klettern, mit dem sie sich mehrmals überschlag­en hatte. Michael Bschorr und Johannes Dehler hatten die Verunglück­te auf dem Weg zur Schule entdeckt.
 ??  ?? Christine Mathieu leitet seit 18 Jahren Erste Hilfe Kurse beim Bayerische­n Ro ten Kreuz und bildet auch Ausbilder aus.
Christine Mathieu leitet seit 18 Jahren Erste Hilfe Kurse beim Bayerische­n Ro ten Kreuz und bildet auch Ausbilder aus.

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