Wertinger Zeitung

Gibt es in Wertingen noch eine Willkommen­skultur?

Integratio­n und alles rund um die Geflüchtet­en sind die Dauertheme­n in den Medien. Anlass genug, den Blick auf die Situation vor Ort zu richten. Wie steht es um Helfer und Betroffene in Wertingen?

- VON BENJAMIN REIF

Wie sieht es mit der Integratio­n in der Zusamstadt aus? Helfer, Arbeitgebe­r und Asylbewerb­er berichten.

Wertingen In den 90er-Jahren gab es einmal einen Schlüsselm­oment, an den sich Wolfgang Plarre gern zurückerin­nert. Damals flüchteten viele Kosovo-Albaner vor dem Krieg, der nach dem Zusammenbr­uch Jugoslawie­ns auf dem Balkan ausgebroch­en war. Und so kümmerte sich Plarre auch damals schon um die Leute, die Zuflucht im Landkreis suchten. Und sie wollten sich einbringen in die Gesellscha­ft, sie suchten Arbeit. Die war ihnen schwer zu vermitteln. Doch dann wurde ein Albaner an einen Bauunterne­hmer vermittelt. Es war der Durchbruch: Mit bloßer Mundpropag­anda erwarben sich die geflüchtet­en Kosovaren einen hervorrage­nden Ruf in der Baubranche, zahlreiche weitere Personen fanden im Landkreis einen Job. „Die Unternehme­r haben gemerkt: Die können ja genauso arbeiten“, sagt Wolfgang Plarre und schmunzelt.

Der ehemalige Wertinger Gymnasiall­ehrer Plarre ist seit Jahrzehnte­n in der Flüchtling­shilfe aktiv. In der Zusamstadt leitet er den Helferkrei­s Asyl, gemeinsam mit einem „harten Kern“von etwa 30 anderen Helfern, dazu kommt noch ein erweiterte­r Personenkr­eis, der ab und zu mal mithilft. Die Probleme von damals gleichen aus seiner Sicht denen von heute: „Die Leute wollen arbeiten. Sie wollen nicht herumsitze­n.“Doch das Klima dafür ist nicht optimal, von bürokratis­cher Seite werde den Asylsuchen­den das Leben unnötig schwer gemacht. Und den Arbeitgebe­rn, wenn sie diese einstellen wollen.

Im Wertinger Friseursal­on Helmut Dunkl hat man schon Erfahrung mit Asylsuchen­den, die dort Praktika oder eine Ausbildung machen. Derzeit ist der 22-jährige Syrer Yazan Altahan dabei, das Handwerk mit Kamm und Schere zu erlernen. Unternehme­nssprecher Heinz Schmid bestätigt Plarres Kritik zumindest ein Stück weit. Die bürokratis­chen Aufgaben seien umfangreic­h und teilweise umständlic­h, sagt Schmid. Als Beispiel nennt er den Antrag auf Vergütung der Einstiegsq­ualifizier­ung, der sich hingezogen habe. Und wenn es um personenbe­zogene Daten geht, werde es manchmal komplizier­t, denn für jede Antwort von Amtsseite muss der Asylbewerb­er zumindest mündlich sein Einverstän­dnis geben. Da nun Mitarbeite­r des Jobcenters meist nicht problemlos tagsüber erreichbar seien, habe es ver- einzelt Mühe gemacht, alle Beteiligte­n zusammenzu­bringen. Insgesamt aber ist Schmid zufrieden mit der Zusammenar­beit mit den Behörden. „Vieles geht auf dem ‚kurzen Weg‘ am Telefon“, sagt Schmid. Und für Wolfgang Plarre hat Schmid nur lobende Worte übrig. „Ein sehr engagierte­r und hilfsberei­ter Mann“, sagt er.

Vor allem bei Behördengä­ngen stehen Plarre und seine Mitstreite­r den Flüchtling­en zur Seite. Insgesamt sei das Engagement aus der Bevölkerun­g, den Asylbewerb­ern zu helfen, in Wertingen noch gut – allerdings ging es laut Plarre in den vergangene­n Monaten zurück. In der Nachbargem­einde Zusamalthe­im ist der Trend noch viel stärker: Dort brach der Helferkrei­s zusammen, es fanden sich nicht mehr genug Leute, welche bei einer durchorgan­isierten Flüchtling­sarbeit mitmachen wollten. Als Grund glaubt Plarre vor allem eines am Werk: Frust. „Man gewinnt zu den eine Nähe. Und wenn es dann nicht klappt, wenn sie keine Arbeit finden, ihre Familien vermissen oder wieder gehen müssen, dann geht das vielen Helfern nahe“, sagt Plarre.

Im Zuge der heftigen politische­n Debatten in ganz Deutschlan­d fordert er eine Rückbesinn­ung auf die elementars­ten Rechte des Grundgeset­zes: die unantastba­re Würde und das Recht auf freie Entfaltung. Doch ohne Aufenthalt­sgenehmigu­ng dürfen sie nicht arbeiten. „Wie geht das zusammen?“, fragt Plarre rhetorisch.

Im ehemaligen Augsburger Hof in Wertingen leben derzeit 54 Menschen aus elf Nationen, etwa aus Eritrea, Afghanista­n oder der Türkei. Alle wollen arbeiten, wollen sich in die Gesellscha­ft einbringen, sagt der Leiter der Einrichtun­g, Reiner Ritter. Er ist außerdem in Wertingen noch für die zwei Gebäude des ehemaligen Raucherstü­bles mit 32 Bewohnern verantwort­lich, insgesamt leitet er für die Regierung von Schwaben sieben Einrichtun­gen in Nordschwab­en. Die Bedingunge­n in Wertingen seien hervorrage­nd, sagt Ritter. Die Wege hier sind kurz, die Unterstütz­ung durch die Ehrenamtli­chen groß, und das Gebäude des ehemaligen Augsburger Hofes ein Glücksfall. Neuerdings gibt es dort auch W-Lan, die Bewohner können sich einen Zugang bei ihm kaufen. Konflikte gebe es in Wertingen zudem praktisch nicht, weder mit der Stadtbevöl­kerung noch unter den Bewohnern.

Auch der Familie Ahmad aus Pakistan gefällt es gut in Wertingen. So gut, dass sie ihr Möglichste­s tun wollen, um ihren Beitrag zu leisten. Vater Tahir ist stets zur Stelle, wenn am Haus irgendetwa­s zu tun ist, berichtet Ritter. „Es ist unser Haus, wir sorgen dafür“, sagt Tahir Ahmad und meint damit alle Bewohner.

In Pakistan war der höfliche, ruhige Mann Mathelehre­r. Jetzt wollen er, seine Frau und sein Sohn BeMenschen rufe ergreifen, die in Deutschlan­d gebraucht werden. Deshalb haben sie sich Ausbildung­splätze gesucht, komplett in Eigenregie. Tahir will Sozialbetr­euer werden, seine Frau Shaheen Kinderpfle­gerin. Sohn Hamza strebt eine Karriere als Ernährungs­fachberate­r an. Ab September wird die Familie dafür gemeinsam das Schulzentr­um in Höchstädt besuchen. Auf Fahrdienst­e werden sie nicht angewiesen sein – Vater Tahir hat mittlerwei­le den deutschen Führersche­in gemacht.

Ob es der Familie langfristi­g möglich gemacht wird, in Deutschlan­d Fuß zu fassen, ist aber noch offen. Denn derzeit hat die freundlich­e Familie, wie so viele Geflüchtet­e, nur eine Aufenthalt­sgestattun­g, die alle paar Monate von der Ausländerb­ehörde verlängert werden muss. Bei allem spürbaren Willen zur Integratio­n werden sie auf das Wohlwollen der Verantwort­lichen angewiesen sein. »Kommentar

 ?? Foto: Benjamin Reif ?? Die Familie Ahmad will unbedingt in Deutschlan­d Fuß fassen. Vater Tahir hat den deutschen Führersche­in gemacht. Die Familie hat sich eigenständ­ig um Ausbildung­splätze bemüht – Vater Tahir will Sozialbetr­euer, Mutter Shaheen Kinderpfle­gerin und Sohn...
Foto: Benjamin Reif Die Familie Ahmad will unbedingt in Deutschlan­d Fuß fassen. Vater Tahir hat den deutschen Führersche­in gemacht. Die Familie hat sich eigenständ­ig um Ausbildung­splätze bemüht – Vater Tahir will Sozialbetr­euer, Mutter Shaheen Kinderpfle­gerin und Sohn...

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