Gibt es in Wertingen noch eine Willkommenskultur?
Integration und alles rund um die Geflüchteten sind die Dauerthemen in den Medien. Anlass genug, den Blick auf die Situation vor Ort zu richten. Wie steht es um Helfer und Betroffene in Wertingen?
Wie sieht es mit der Integration in der Zusamstadt aus? Helfer, Arbeitgeber und Asylbewerber berichten.
Wertingen In den 90er-Jahren gab es einmal einen Schlüsselmoment, an den sich Wolfgang Plarre gern zurückerinnert. Damals flüchteten viele Kosovo-Albaner vor dem Krieg, der nach dem Zusammenbruch Jugoslawiens auf dem Balkan ausgebrochen war. Und so kümmerte sich Plarre auch damals schon um die Leute, die Zuflucht im Landkreis suchten. Und sie wollten sich einbringen in die Gesellschaft, sie suchten Arbeit. Die war ihnen schwer zu vermitteln. Doch dann wurde ein Albaner an einen Bauunternehmer vermittelt. Es war der Durchbruch: Mit bloßer Mundpropaganda erwarben sich die geflüchteten Kosovaren einen hervorragenden Ruf in der Baubranche, zahlreiche weitere Personen fanden im Landkreis einen Job. „Die Unternehmer haben gemerkt: Die können ja genauso arbeiten“, sagt Wolfgang Plarre und schmunzelt.
Der ehemalige Wertinger Gymnasiallehrer Plarre ist seit Jahrzehnten in der Flüchtlingshilfe aktiv. In der Zusamstadt leitet er den Helferkreis Asyl, gemeinsam mit einem „harten Kern“von etwa 30 anderen Helfern, dazu kommt noch ein erweiterter Personenkreis, der ab und zu mal mithilft. Die Probleme von damals gleichen aus seiner Sicht denen von heute: „Die Leute wollen arbeiten. Sie wollen nicht herumsitzen.“Doch das Klima dafür ist nicht optimal, von bürokratischer Seite werde den Asylsuchenden das Leben unnötig schwer gemacht. Und den Arbeitgebern, wenn sie diese einstellen wollen.
Im Wertinger Friseursalon Helmut Dunkl hat man schon Erfahrung mit Asylsuchenden, die dort Praktika oder eine Ausbildung machen. Derzeit ist der 22-jährige Syrer Yazan Altahan dabei, das Handwerk mit Kamm und Schere zu erlernen. Unternehmenssprecher Heinz Schmid bestätigt Plarres Kritik zumindest ein Stück weit. Die bürokratischen Aufgaben seien umfangreich und teilweise umständlich, sagt Schmid. Als Beispiel nennt er den Antrag auf Vergütung der Einstiegsqualifizierung, der sich hingezogen habe. Und wenn es um personenbezogene Daten geht, werde es manchmal kompliziert, denn für jede Antwort von Amtsseite muss der Asylbewerber zumindest mündlich sein Einverständnis geben. Da nun Mitarbeiter des Jobcenters meist nicht problemlos tagsüber erreichbar seien, habe es ver- einzelt Mühe gemacht, alle Beteiligten zusammenzubringen. Insgesamt aber ist Schmid zufrieden mit der Zusammenarbeit mit den Behörden. „Vieles geht auf dem ‚kurzen Weg‘ am Telefon“, sagt Schmid. Und für Wolfgang Plarre hat Schmid nur lobende Worte übrig. „Ein sehr engagierter und hilfsbereiter Mann“, sagt er.
Vor allem bei Behördengängen stehen Plarre und seine Mitstreiter den Flüchtlingen zur Seite. Insgesamt sei das Engagement aus der Bevölkerung, den Asylbewerbern zu helfen, in Wertingen noch gut – allerdings ging es laut Plarre in den vergangenen Monaten zurück. In der Nachbargemeinde Zusamaltheim ist der Trend noch viel stärker: Dort brach der Helferkreis zusammen, es fanden sich nicht mehr genug Leute, welche bei einer durchorganisierten Flüchtlingsarbeit mitmachen wollten. Als Grund glaubt Plarre vor allem eines am Werk: Frust. „Man gewinnt zu den eine Nähe. Und wenn es dann nicht klappt, wenn sie keine Arbeit finden, ihre Familien vermissen oder wieder gehen müssen, dann geht das vielen Helfern nahe“, sagt Plarre.
Im Zuge der heftigen politischen Debatten in ganz Deutschland fordert er eine Rückbesinnung auf die elementarsten Rechte des Grundgesetzes: die unantastbare Würde und das Recht auf freie Entfaltung. Doch ohne Aufenthaltsgenehmigung dürfen sie nicht arbeiten. „Wie geht das zusammen?“, fragt Plarre rhetorisch.
Im ehemaligen Augsburger Hof in Wertingen leben derzeit 54 Menschen aus elf Nationen, etwa aus Eritrea, Afghanistan oder der Türkei. Alle wollen arbeiten, wollen sich in die Gesellschaft einbringen, sagt der Leiter der Einrichtung, Reiner Ritter. Er ist außerdem in Wertingen noch für die zwei Gebäude des ehemaligen Raucherstübles mit 32 Bewohnern verantwortlich, insgesamt leitet er für die Regierung von Schwaben sieben Einrichtungen in Nordschwaben. Die Bedingungen in Wertingen seien hervorragend, sagt Ritter. Die Wege hier sind kurz, die Unterstützung durch die Ehrenamtlichen groß, und das Gebäude des ehemaligen Augsburger Hofes ein Glücksfall. Neuerdings gibt es dort auch W-Lan, die Bewohner können sich einen Zugang bei ihm kaufen. Konflikte gebe es in Wertingen zudem praktisch nicht, weder mit der Stadtbevölkerung noch unter den Bewohnern.
Auch der Familie Ahmad aus Pakistan gefällt es gut in Wertingen. So gut, dass sie ihr Möglichstes tun wollen, um ihren Beitrag zu leisten. Vater Tahir ist stets zur Stelle, wenn am Haus irgendetwas zu tun ist, berichtet Ritter. „Es ist unser Haus, wir sorgen dafür“, sagt Tahir Ahmad und meint damit alle Bewohner.
In Pakistan war der höfliche, ruhige Mann Mathelehrer. Jetzt wollen er, seine Frau und sein Sohn BeMenschen rufe ergreifen, die in Deutschland gebraucht werden. Deshalb haben sie sich Ausbildungsplätze gesucht, komplett in Eigenregie. Tahir will Sozialbetreuer werden, seine Frau Shaheen Kinderpflegerin. Sohn Hamza strebt eine Karriere als Ernährungsfachberater an. Ab September wird die Familie dafür gemeinsam das Schulzentrum in Höchstädt besuchen. Auf Fahrdienste werden sie nicht angewiesen sein – Vater Tahir hat mittlerweile den deutschen Führerschein gemacht.
Ob es der Familie langfristig möglich gemacht wird, in Deutschland Fuß zu fassen, ist aber noch offen. Denn derzeit hat die freundliche Familie, wie so viele Geflüchtete, nur eine Aufenthaltsgestattung, die alle paar Monate von der Ausländerbehörde verlängert werden muss. Bei allem spürbaren Willen zur Integration werden sie auf das Wohlwollen der Verantwortlichen angewiesen sein. »Kommentar