Wenn ein Wohnungsstreit eskaliert
Eine Übergabe zwischen Mieter und Vermieter spitzt sich zu. Der Fall landet vor Gericht. Bei einem anderen Streit in einem Dillinger Mehrfamilienhaus steht das vermutlich noch bevor
Dillingen Ein Mehrfamilienhaus, irgendwo in Dillingen am Dienstagabend. In einer Wohngemeinschaft kommt es laut Polizei zum Streit zwischen zwei Bewohnern. Erst beschimpfen sie sich, bis schließlich einer endgültig die Fassung verliert: Er greift zu einem Schraubendreher, mit genug Kraft geführt eine gefährliche Stichwaffe, und bedroht seine Mitbewohnerin. Als ihr Ehemann das mitbekommt, eilt er aus der Wohnung zur Hilfe. Und wird von dem aggressiven Mitbewohner mehrmals mit Faustschlägen ins Gesicht traktiert. Schließlich gelingt es dem Ehemann, den Angreifer zu umschlingen und ins Freie zu befördern – dort bricht der mutmaßliche Täter zusammen. Gegenüber den eingetroffenen Polizeibeamten klagt der Mann über Schmerzen im Oberkörper. Er muss ins Krankenhaus; kurz darauf lässt sich der Ehemann der Mitbewohnerin ins Krankenhaus bringen. Gegen den Angreifer laufen nun Ermittlungen wegen Körperverletzung und Bedrohung.
In einem zweiten Fall von Wohnungsstreit führten unterschiedliche Ansichten über den Renovierungsaufwand einer Wohnung am Dienstagmorgen zu einem Prozess am Amtsgericht Dillingen. Dabei geht es nur indirekt um finanzielle Fragen, denn die Anklage lautet auf räuberische Erpressung und Beleidigung. Was war geschehen?
An einem der letzten Tage des Oktobers 2017 endet das Mietverhältnis. Infolgedessen haben sich die beiden Mieter, der Angeklagte und seine damalige Frau und heutige Lebensgefährtin, mit dem Vermieter zur Wohnungsübergabe verabredet. In der Dachgeschosswohnung des Mietshauses im Landkreis treffen sie bereits auf den Vater eines Nachmieters, der dort Linoleum verlegt und Möbel hinaufträgt. Der Wohnung ist anzusehen, dass in ihr gelebt wurde. Den Türrahmen hat der Hund der Lebensgefährtin beschädigt, hierüber sind sich alle einig. Ob darüber hinaus weitere Beschädigungen an Fliesen und Flur von dem Paar stammen – da gehen die Meinungen auseinander. Der Vermieter besteht darauf und verlangt 3000 Euro Entschädigung, wie er vor Gericht sagt. Diese Summe habe ein Gutachten ergeben.
Er ist ein großer Mann. Präzise in der Sprache, mit leichtem schwäbischen Einschlag. Niemand, der sich schnell einschüchtern lässt, wie Hecken bemerkt. Der Angeklagte und seine Freundin geben vor Gericht an, die Schäden seien bereits vor Einzug da gewesen. Mit Ausnahme zweier Löcher im Bad, wo sie einen Spiegel befestigt haben. Während der Beschuldigte im Prozess erst zum Schluss etwas sagt, schildert seine Freundin ihre Sicht auf den Tag. „Ohne Vorwarnung“sei die Situation in der Dachgeschosswohnung eskaliert. Der Vermieter habe von Beginn an herumgeschrien. Sie haben während der sechs Monate in der Wohnung ein gutes Verhältnis zu ihm gehabt, er sei auch einmal zum Kaffee trinken da gewesen. Auch ihr Hund sei in der Wohnung erlaubt gewesen. Ein Wohnungsübergabe-Protokoll habe es nicht gegeben, sagt die blonde Frau auf Nachfrage des Verteidigers Klaus Eickelpasch. Das bestreitet der Vermieter nicht – wohl aber, dass das Pärchen nicht vorgewarnt gewesen sei.
Er habe ihnen eine Nachricht zu den von ihm beanstandeten Schäden auf den Anrufbeantworter gesprochen, erklärt er auf Nachfrage von Richter Hecken. „Er hat sich furchtbar über meine Beanstandungen aufgeregt“, sagt der Vermieter über den Angeklagten. Vor allem der vom Hund zerbissene Türrahmen würde ihn eine Menge kosten, sagt er. „Bis heute sitze ich auf meinen Forderungen.“Die Situation in der Wohnung habe sich dann „hochgeschaukelt“. Das bestätigt auch der dritte Zeuge. Er war an diesem Tag vor Ort, um den Sohn seiner Lebensgefährtin beim Umzug zu helfen. „Ich habe Linoleum verlegt und nicht alles mitbekommen, wohl aber die Lautstärke“, sagt der Mann. Der Angeklagte sei zuerst laut und aggressiv geworden, der Vermieter sei dann ebenfalls lauter geworden. Der Beschuldigte habe aus der Situation heraus gesagt: „Ich klatsch dich aus dem Rahmen“, sagt der Zeuge. Er glaube nicht, dass das im Zusammenhang mit den Nachforderungen stehe.
Als es im Treppenhaus noch immer laut zuging, sei er nachsehen gegangen. So habe er mitbekommen, wie der Angeklagte von unten herauf einen Kaugummi auf den Vermieter gespuckt habe. „Er hat ihn wohl irgendwo im Brustbereich getroffen“, schildert der Zeuge. Der Getroffene selbst weiß nicht mehr, wo er getroffen wurde; dass er bespuckt wurde, bestätigt er. Der Angeklagte und seine Lebensgefährtin verneinen diesen Vorfall. Der Beschuldigte verließ an diesem Herbsttag schließlich „tobend“, wie der Vermieter sagt, das Gelände. Er, der Vermieter, habe ihm mit einer Strafanzeige wegen Hausfriedensbruch gedroht. Die Lebensgefährtin erklärt, sie sei nach der Szene ebenfalls des Geländes verwiesen worden.
Zu diesem Zeitpunkt befindet sich der Angeklagte bereits in der Privatinsolvenz; als er aufgrund eines schweren Unfalls im Koma gelegen hatte, verlor er seinen Job. Der Autokredit konnte nicht mehr bezahlt werden, die Schulden häuften sich. Insgesamt 18 Monate konnte er nicht arbeiten. Heute ist er wieder berufstätig. Hinzu kommen zwei Gerichtsurteile. 2016 wurde er sowohl wegen Trunkenheit am Steuer, als auch wegen Beleidigung und Körperverletzung verurteilt. Der zurückhaltende Mann, mit raspelkurzen Haaren und Ziegenbart, erzählt vor Gericht scheinbar ungerührt von seinem Schicksal. Und nun auch noch die Forderungen aus dem damaligen Mietverhältnis.
Für Gericht und Staatsanwalt Stephen Soßna ist klar, der Vorwurf der räuberischen Erpressung ist nicht haltbar. „Es geht um eine alltägliche Beleidigung in einer emotionalen Alltagssituation“, sagt Hecken. Für ihn gebe es außerdem berechtigte Zweifel an der Höhe der Schadenssumme. Denn der Vermieter hat bereits die Mietkaution in Höhe von 1500 Euro einbehalten. Laut der Freundin hat er auch die Wasserund Heizkostenrückerstattungen einbehalten. Für den Zeugen sind die meisten Schadensspuren „normaler Gebrauch in einer Wohnung“. Bis heute seien die Schäden nicht beseitigt, sagt er. Und auch die Hundehalterhaftpflicht verweigert bisher jegliche Zahlung – Hecken rät, sich noch einmal anwaltlichen Rat einzuholen.
Der Angeklagte entschuldigt sich zum Schluss für sein Verhalten an diesem Tag. Für die meisten Schäden in der Wohnung seien er und seine Lebensgefährtin dennoch nicht verantwortlich. Hecken verurteilt den Mann schließlich zu 40 Tagessätzen in Höhe von 25 Euro. Ohne Vorstrafen wäre es ein Freispruch, sagt der Richter. „Die Geschichte mag einseitig begonnen haben, wurde aber eine zweiseitige Sache.“Der Angeklagte verzichtet auf Berufung, das Urteil ist rechtskräftig. (mit pol)