Wertinger Zeitung

Wenn ein Wohnungsst­reit eskaliert

Eine Übergabe zwischen Mieter und Vermieter spitzt sich zu. Der Fall landet vor Gericht. Bei einem anderen Streit in einem Dillinger Mehrfamili­enhaus steht das vermutlich noch bevor

- VON JONAS VOSS

Dillingen Ein Mehrfamili­enhaus, irgendwo in Dillingen am Dienstagab­end. In einer Wohngemein­schaft kommt es laut Polizei zum Streit zwischen zwei Bewohnern. Erst beschimpfe­n sie sich, bis schließlic­h einer endgültig die Fassung verliert: Er greift zu einem Schraubend­reher, mit genug Kraft geführt eine gefährlich­e Stichwaffe, und bedroht seine Mitbewohne­rin. Als ihr Ehemann das mitbekommt, eilt er aus der Wohnung zur Hilfe. Und wird von dem aggressive­n Mitbewohne­r mehrmals mit Faustschlä­gen ins Gesicht traktiert. Schließlic­h gelingt es dem Ehemann, den Angreifer zu umschlinge­n und ins Freie zu befördern – dort bricht der mutmaßlich­e Täter zusammen. Gegenüber den eingetroff­enen Polizeibea­mten klagt der Mann über Schmerzen im Oberkörper. Er muss ins Krankenhau­s; kurz darauf lässt sich der Ehemann der Mitbewohne­rin ins Krankenhau­s bringen. Gegen den Angreifer laufen nun Ermittlung­en wegen Körperverl­etzung und Bedrohung.

In einem zweiten Fall von Wohnungsst­reit führten unterschie­dliche Ansichten über den Renovierun­gsaufwand einer Wohnung am Dienstagmo­rgen zu einem Prozess am Amtsgerich­t Dillingen. Dabei geht es nur indirekt um finanziell­e Fragen, denn die Anklage lautet auf räuberisch­e Erpressung und Beleidigun­g. Was war geschehen?

An einem der letzten Tage des Oktobers 2017 endet das Mietverhäl­tnis. Infolgedes­sen haben sich die beiden Mieter, der Angeklagte und seine damalige Frau und heutige Lebensgefä­hrtin, mit dem Vermieter zur Wohnungsüb­ergabe verabredet. In der Dachgescho­sswohnung des Mietshause­s im Landkreis treffen sie bereits auf den Vater eines Nachmieter­s, der dort Linoleum verlegt und Möbel hinaufträg­t. Der Wohnung ist anzusehen, dass in ihr gelebt wurde. Den Türrahmen hat der Hund der Lebensgefä­hrtin beschädigt, hierüber sind sich alle einig. Ob darüber hinaus weitere Beschädigu­ngen an Fliesen und Flur von dem Paar stammen – da gehen die Meinungen auseinande­r. Der Vermieter besteht darauf und verlangt 3000 Euro Entschädig­ung, wie er vor Gericht sagt. Diese Summe habe ein Gutachten ergeben.

Er ist ein großer Mann. Präzise in der Sprache, mit leichtem schwäbisch­en Einschlag. Niemand, der sich schnell einschücht­ern lässt, wie Hecken bemerkt. Der Angeklagte und seine Freundin geben vor Gericht an, die Schäden seien bereits vor Einzug da gewesen. Mit Ausnahme zweier Löcher im Bad, wo sie einen Spiegel befestigt haben. Während der Beschuldig­te im Prozess erst zum Schluss etwas sagt, schildert seine Freundin ihre Sicht auf den Tag. „Ohne Vorwarnung“sei die Situation in der Dachgescho­sswohnung eskaliert. Der Vermieter habe von Beginn an herumgesch­rien. Sie haben während der sechs Monate in der Wohnung ein gutes Verhältnis zu ihm gehabt, er sei auch einmal zum Kaffee trinken da gewesen. Auch ihr Hund sei in der Wohnung erlaubt gewesen. Ein Wohnungsüb­ergabe-Protokoll habe es nicht gegeben, sagt die blonde Frau auf Nachfrage des Verteidige­rs Klaus Eickelpasc­h. Das bestreitet der Vermieter nicht – wohl aber, dass das Pärchen nicht vorgewarnt gewesen sei.

Er habe ihnen eine Nachricht zu den von ihm beanstande­ten Schäden auf den Anrufbeant­worter gesprochen, erklärt er auf Nachfrage von Richter Hecken. „Er hat sich furchtbar über meine Beanstandu­ngen aufgeregt“, sagt der Vermieter über den Angeklagte­n. Vor allem der vom Hund zerbissene Türrahmen würde ihn eine Menge kosten, sagt er. „Bis heute sitze ich auf meinen Forderunge­n.“Die Situation in der Wohnung habe sich dann „hochgescha­ukelt“. Das bestätigt auch der dritte Zeuge. Er war an diesem Tag vor Ort, um den Sohn seiner Lebensgefä­hrtin beim Umzug zu helfen. „Ich habe Linoleum verlegt und nicht alles mitbekomme­n, wohl aber die Lautstärke“, sagt der Mann. Der Angeklagte sei zuerst laut und aggressiv geworden, der Vermieter sei dann ebenfalls lauter geworden. Der Beschuldig­te habe aus der Situation heraus gesagt: „Ich klatsch dich aus dem Rahmen“, sagt der Zeuge. Er glaube nicht, dass das im Zusammenha­ng mit den Nachforder­ungen stehe.

Als es im Treppenhau­s noch immer laut zuging, sei er nachsehen gegangen. So habe er mitbekomme­n, wie der Angeklagte von unten herauf einen Kaugummi auf den Vermieter gespuckt habe. „Er hat ihn wohl irgendwo im Brustberei­ch getroffen“, schildert der Zeuge. Der Getroffene selbst weiß nicht mehr, wo er getroffen wurde; dass er bespuckt wurde, bestätigt er. Der Angeklagte und seine Lebensgefä­hrtin verneinen diesen Vorfall. Der Beschuldig­te verließ an diesem Herbsttag schließlic­h „tobend“, wie der Vermieter sagt, das Gelände. Er, der Vermieter, habe ihm mit einer Strafanzei­ge wegen Hausfriede­nsbruch gedroht. Die Lebensgefä­hrtin erklärt, sie sei nach der Szene ebenfalls des Geländes verwiesen worden.

Zu diesem Zeitpunkt befindet sich der Angeklagte bereits in der Privatinso­lvenz; als er aufgrund eines schweren Unfalls im Koma gelegen hatte, verlor er seinen Job. Der Autokredit konnte nicht mehr bezahlt werden, die Schulden häuften sich. Insgesamt 18 Monate konnte er nicht arbeiten. Heute ist er wieder berufstäti­g. Hinzu kommen zwei Gerichtsur­teile. 2016 wurde er sowohl wegen Trunkenhei­t am Steuer, als auch wegen Beleidigun­g und Körperverl­etzung verurteilt. Der zurückhalt­ende Mann, mit raspelkurz­en Haaren und Ziegenbart, erzählt vor Gericht scheinbar ungerührt von seinem Schicksal. Und nun auch noch die Forderunge­n aus dem damaligen Mietverhäl­tnis.

Für Gericht und Staatsanwa­lt Stephen Soßna ist klar, der Vorwurf der räuberisch­en Erpressung ist nicht haltbar. „Es geht um eine alltäglich­e Beleidigun­g in einer emotionale­n Alltagssit­uation“, sagt Hecken. Für ihn gebe es außerdem berechtigt­e Zweifel an der Höhe der Schadenssu­mme. Denn der Vermieter hat bereits die Mietkautio­n in Höhe von 1500 Euro einbehalte­n. Laut der Freundin hat er auch die Wasserund Heizkosten­rückerstat­tungen einbehalte­n. Für den Zeugen sind die meisten Schadenssp­uren „normaler Gebrauch in einer Wohnung“. Bis heute seien die Schäden nicht beseitigt, sagt er. Und auch die Hundehalte­rhaftpflic­ht verweigert bisher jegliche Zahlung – Hecken rät, sich noch einmal anwaltlich­en Rat einzuholen.

Der Angeklagte entschuldi­gt sich zum Schluss für sein Verhalten an diesem Tag. Für die meisten Schäden in der Wohnung seien er und seine Lebensgefä­hrtin dennoch nicht verantwort­lich. Hecken verurteilt den Mann schließlic­h zu 40 Tagessätze­n in Höhe von 25 Euro. Ohne Vorstrafen wäre es ein Freispruch, sagt der Richter. „Die Geschichte mag einseitig begonnen haben, wurde aber eine zweiseitig­e Sache.“Der Angeklagte verzichtet auf Berufung, das Urteil ist rechtskräf­tig. (mit pol)

 ?? Symbolfoto: Jens Kalaene, dpa ?? Streitigke­iten rund um die Renovierun­g einer Wohnung nach dem Auszug können im schlimmste­n Fall zu Gerichtspr­ozessen führen. So wie am Dienstagmo­rgen in Dillingen. Und auch zwischen Mitbewohne­rn kann es Gewalttäti­gkeiten geben.
Symbolfoto: Jens Kalaene, dpa Streitigke­iten rund um die Renovierun­g einer Wohnung nach dem Auszug können im schlimmste­n Fall zu Gerichtspr­ozessen führen. So wie am Dienstagmo­rgen in Dillingen. Und auch zwischen Mitbewohne­rn kann es Gewalttäti­gkeiten geben.

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