Vettels Traum hängt am Haken
Alles deutet in Hockenheim auf einen Heimsieg des Heppenheimers hin – bis er in der 52. Runde in den Reifenstapel fährt. Jetzt führt Sieger Hamilton wieder die Gesamtwertung an
Hockenheimring Das Bild bleibt im Gedächtnis hängen: Der Sieger des Großen Preises von Deutschland steht im Regen und kostet es in vollen Zügen aus. Lewis Hamilton gewinnt ein turbulentes Rennen auf dem Hockenheimring, und zwar von einem schier aussichtslosen 14. Startplatz. „Das ist natürlich höchst ungewöhnlich, von so weit hinten zu gewinnen. Ich habe viel gebetet vor dem Rennen.“Der 33-Jährige genießt in dem Wolkenbruch kurz nach seiner Zieldurchfahrt die Siegerehrung mit Daimler -Chef Dieter Zetsche auf dem Podest. Der Finne Valtteri Bottas mit Platz zwei macht den Doppelerfolg der Silberpfeile perfekt. Mit seinem 66. GrandPrix-Sieg rückt der Brite immer näher heran an den Rekordsieger Michael Schumacher (91).
Ins Trockene ist längst Sebastian Vettel geflüchtet, der bis zur 52. von 67. Rennrunden perfekt unterwegs gewesen war. Alles lief bis dahin reibungslos an diesem Wochenende, an dem sich der Ferrari-Star zusammen mit seinem Vater Norbert in einen Wohnwagen am Ring zurückgezogen hatte, um abseits vom Rummel zu entspannen. Die perfekte Vorbereitung schien sich auszuzahlen. Nach der Pole-Position vom Samstag erwischt der Heppenheimer einen Raketenstart am Sonntag und führt das Feld an, bis in der Parabolika-Kurve der Regen einsetzt. In der Sachs-Kurve verliert Vettel in der 52. Runde zuerst die Kontrolle über seinen Wagen und damit auch die WM-Führung. „Ich habe ein kleines bisschen zu spät gebremst, die Hinterräder haben blockiert. Ich ärgere mich sehr über mich selbst. Das war ein kleiner Fehler mit großer Auswirkung.“
Nach dem Einschlag in die Reifenstapel trommelt Vettel mit beiden Fäusten auf sein Lenkrad ein. Nachdem er ausgestiegen ist, kickt er wutentbrannt in den Kies.
Vettel muss eine bittere HeimPleite verdauen. Mit acht Punkten Vorsprung in der Gesamtwertung war der Deutsche angereist und fährt mit 17 Zählern Rückstand nach Hause. Vielleicht die entscheidende Wende im WM-Rennen.
Dass es anfangs ganz vorne nicht zum Duell zwischen Vettel und Hamilton kommt, liegt an einer emotionalen Szene vom Samstag. Tragik und unfreiwillige Komik kommen Im Qualifying räubert Lewis Hamilton zu waghalsig über die Randsteine und beschädigt sein Getriebe sowie die Lenkung. Der Wagen rollt aus, der Brite springt aus seinem Silberpfeil und versucht ihn in die Box zu schieben in der Hoffnung, dass der Schaden vielleicht noch behoben werden und er sich einen besseren Startplatz erkämpfen kann. Doch nichts rollt mehr. In purer Verzweiflung kniet der 33-Jährige vor seinem Boliden nieder. Mercedes-Teamchef Toto Wolff sieht die Szene auf den Monitoren in der Mercedes-Garage und erhält einen Anruf auf dem Handy. Dieter Zetsche ist dran und kommentiert das Malheur mit den Worten: „Unglaublich, was da passiert ist.“
Bemerkenswert, dass der Vorzusammen. standsvorsitzende des DaimlerKonzerns neben der Diesel-Affäre noch Zeit findet, sich persönlich um die Hydraulik des Silberpfeils zu kümmern. Andererseits: Gute Chefs helfen, wo sie können, und verlieren auch die Details nicht aus dem Blick. Am Ende eines denkwürdigen Rennens jubelt Zetsche mit Hamilton, seinem mit einem geschätzten Jahresgehalt von bald 42 Millionen Euro vielleicht teuersten Angestellten. Bis das Endresultat bestätigt wird, müssen die Silbernen allerdings noch zittern, da Hamilton eine Boxen-Ausfahrt antäuschte und dann doch auf der Strecke blieb. Die Rennkommissare belassen es bei einer Verwarnung.
Kimi Räikkönen mit Rang drei verhindert eine Nullnummer der Roten. Mitte des Rennens war der Finne aus der Ferrari-Box zurückgepfiffen worden und musste Vettel passieren lassen. Gesprächsthema im Ferrari-Motorhome ist auch die schwere Erkrankung von Sergio Marchionne. Der Chef des italienisch-amerikanischen Autobauers Fiat Chrysler muss aus gesundheitlichen Gründen seinen Posten abgeben.
Der Ferrari-Präsident erarbeitete sich in der Formel 1 den Ruf eines harten Verhandlungspartners, der auch die eigene Garagenmannschaft nicht schonte. Marchionne drohte bereits mit einem Ausstieg der Italiener nach dem Auslaufen des „Concorde Agreement“Ende 2020. Sollten die neuen Regeln, die sich die Königsklasse ab 2021 gibt, nicht den Ferrari-Vorstellungen entsprechen, könnte sich der TraditionsRennstall verabschieden. Oberster Boss von Vettel ist nun John Elkann. Der Enkel des früheren Fiat-Chefs Agnelli wird neuer Ferrari-Präsident.
Knapp am Podest vorbei fährt Max Verstappen als Vierter. Über 12 000 Holländer sorgen dennoch für großartige Stimmung. Die Euphorie in der Heimat des Red-BullPiloten ist riesig. Erstmals gab es in Hockenheim eine Fan-Tribüne fast ausschließlich für die Holländer. Die Tickets im Block A der Innentribüne waren gezielt an die MaxVerstappen-Fans verkauft worden. Im Wolkenbruch nach dem Rennen flüchten fast alle Zuschauer in Richtung Autos oder Zeltplatz. Nur Zetsche und Lewis Hamilton umarmen sich und genießen die Sintflut von Hockenheim.