Freiheit und Liebe auf dem Donauside
Am Samstag verwandelte sich der Dillinger Schlosshof in etwas Besonderes
Dillingen Die Nacht ist hereingebrochen über den Schlosshof, und die Luft vorne an der Bühne schmeckt nach Regen, Tabak und den süßlichen Chemikalien der Nebelmaschinen. Über der versammelten Menschenmasse stehen die drei Gastgeber des Abends, die Killerpilze. Mal in rotes Licht getaucht, mal umhüllt von blauen Schwaden, bilden Jo Halbig, Mäx Schlichter und Fabi Halbig den Höhepunkt des Donauside-Festivals. Die drei Musiker blicken hinunter in leuchtende Handys und Kameras, in hunderte mitsingende Münder und zum Himmel gereckte Arme. „Dillingen, fühlt ihr euch frei?!“ruft Jo – langgezogene „Jaas“antworten ihm. In der Enge der mehr als zehn Meter hohen Schlossmauern, inmitten hunderter Menschen, finden die Festivalgänger ihre Freiheit. Und bereits zuvor sangen die Band Van Holzen oder der Sänger Onk Lou von Freiheit, von der Jugend und von der Sehnsucht nach ihr. Beides ist an diesem Ort zu spüren.
Das Publikum ist keine gleichförmige Masse junger Menschen, nur auf der Suche nach dem nächsten Instagram-kompatiblen Schnappschuss. Vielmehr finden sich bunttätowierte junge Frauen mit Dutt und Hornbrille neben Ehepaaren in Funktionsjacken – angesichts des immer wieder plötzlich einsetzenden Regens nicht die schlechteste Idee – und Jungs in Jogginghosen und Kurzhaarfrisuren. Gaelle Jeggy ist mit ihren Freundinnen extra aus Frankreich zum Festival angereist, in erster Linie für die Killerpilze. Sie ist seit vielen Jahren ein Fan der Band und fällt mit ihren farbigen Tattoos und schillerndem Make-Up im Gesicht auf. An anderen Orten, oder an diesem Ort zu einer anderen Zeit, würde Gaelle wohl ein Stirnrunzeln erregen. Auf dem Donauside posiert sie mit anderen für Fotos und Videos. Anderssein fällt hier nicht auf. Um 18 Uhr ist diese besondere Festival-Atmosphäre bereits zu erahnen, aber das Publikum benötigt noch eine gewisse Aufwärmzeit. Die Sauna spielt, passend zum Namen ist es warm und dampfig. Einzelne Besucher tanzen, manche gar barfuß, doch die meisten suchen vor dem Regen Zuflucht unter den Zeltbahnen an einem der Essensund Getränkestände.
Nicht Felix Häge – er hat es sich mit Regenschirm und kühlem Cocktail auf einem der Liegestühle gemütlich gemacht. „Die vergangenen beiden Jahre war ich als DJ selbst auf dem Donauside am Start“, erzählt Felix. Der Lauinger ist Mitglied bei „Silent Session“und großer Festivalfan. Während Onk Lou spielt und sich Regen und Sonnenschein abwechseln, wachsen die Schlangen an den Verkaufsständen. Avocado-Ziegenkäse-Sandwiches, Pizza Margerita, Bier oder Cola sind auf den Biertischen, den Bartresen, Liegestühlen, der Tischtennisplatte oder dem Boden zu sehen. Bei Goldroger recken sich die ersten Hände in den Himmel, Füße stampfen über das Kopfsteinpflaster, Bässe wandern durch das Körperinnere. Mancher tanzt im klassischen Festivalgewand, Regencape und Gummistie- fel, zu Rap und Gitarrenriffs. Direkt neben der feiernden Menge spielen Menschen. Frisbee und Federball halten bei Regenschauern warm. Zusätzliche Wärme benötigen Peter Baumgartner und sein Kumpel und Kollege Lukas Huklins nicht. Ihr Essensstand ist klein, neben dem Grill bereiten sie ihre Sandwiches zu. „Wir arbeiten beide als Koch und sind gerne auf dem Donauside“, sagen sie, während das Essen brutzelt und die Musik den Stand beschallt. Ein Festival, und das Donauside ist hier keine Ausnahme, verläuft wie ein Wellenritt auf dem Meer. Es beginnt ruhig und leise, wird lauter und hektischer, verliert sich kurz in Phasen des Nichtstuns – wenn etwa die Bühne für die nächste Band bereitet wird – und steuert unweigerlich auf seinen ekstatischen Höhepunkt zu.
Auf diesem Ritt erleben die Festivalgänger die harte Mischung aus Rock und Metal der Band Van Holzen. Die Individualität der Besucher, mit ihren Dutts, Tattoos, abgewetzten Jeans und bunten Turnschuhen, verschmilzt gegen 21 Uhr zu einer organischen Masse. Die Band aus Ulm bringt die feiernde Menge dazu, wild zu tanzen. Dutzende begeben sich in einen aneinander stoßenden und über den Schlosshof trampelnden Kreis. Die Menschen rempeln aneinander, verletzen sich aber nicht. Es geht um das miteinander erleben, nicht gegeneinander sein. Der Kreis ist frei und zügellos, er nimmt jeden auf; mehr und mehr Tänzer sammeln sich vor der Bühne. Während die Stimme des Sängers die Tonleiter hinauf und hinunter rast und der Sound sich über das Gelände ergießt, ist in der Menge dieser besondere Festival-Geruch erstmals zu vernehmen. Dieses Mischmasch aus Regen und Schweiß, aus Bier und Tabak.
Als die Killerpilze die Bühne betreten, haben sich die Zuschauer von der kollektiven Ekstase erholt. Der Schlosshof ist ein Heimspiel, und Jo dirigiert die vielen Zuschauer souverän. Nachdem sie seinen Ruf nach Freiheit bereits mit Jubel beantwortet hatten, bilden sie nun auf sein Geheiß einen Kreis. „Ein Kreis der Liebe“soll das sein, ruft der Sänger von der Bühne herunter. Alle wollen sie unabhängig und frei sein, die Jungen und Junggebliebenen. Und doch – wenn Jo ruft, folgen sie. Weil die Masse auf so einem Festival Geborgenheit gibt und jeder Einzelne von Menschen umgeben ist, die eine ähnliche Sicht auf das Leben teilen. Also rauschen sie hinein in diesen Kreis der Liebe auf dem Donauside. Die Enkelin, die mit ihrem Opa da ist, das verliebte Pärchen, welches soeben noch auf einem Liegestuhl gekuschelt hat, die drei aufgedrehten Jungs mit Tattoo und Cap und die Frauen, die als Teenies die Band angekreischt haben und heute mit Handyleuchten statt Feuerzeug das Konzert begleiten. „One Love“wünschen sich die Musiker. Am Samstagabend gegen halb elf mag sich ihr Wunsch auf dem Donauside erfüllt haben.
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