1200 Menschen zittern nach Bombenfund
Ein Blindgänger aus dem Zweiten Weltkrieg hält Anwohner und Einsatzkräfte am Samstag im Herrenbach bis in die tiefe Nacht in Atem. Die große Evakuierung dauert länger als gedacht. Warum die Bombe so gefährlich war
Augsburg Gregori Lyamets ist sehr in Sorge, als er über Lautsprecher die Nachricht hört: Er soll sofort seine Wohnung verlassen. Der Rentner im Herrenbachviertel ist nicht der Einzige, der sich am Samstag Sorgen macht. Rund 1200 Menschen sind von einer großen Evakuierungsaktion betroffen, nachdem am Nachmittag auf einer Baustelle in der Herrenbachstraße eine Fliegerbombe aus dem Zweiten Weltkrieg gefunden wurde. Sie muss schnell entschärft werden. Bis das klappt, wird es eine lange und anstrengende Nacht – nicht nur für Anwohner, die aus ihren Häusern müssen, auch für die Einsatz- und Rettungskräfte. Der 225 Kilo schwere Blindgänger soll noch am Abend entschärft werden. Sprengmeister Michael Filips sieht wegen der großen Hitze Risiken. Der Sprengkörper, der über 70 Jahre unter der Erde verborgen war und nun offen daliegt, könnte bei hohen Temperaturen gefährlich werden. „Die Gefahr einer Detonation steigt“, sagt Filips. Er kann sich erst an die Arbeit machen, wenn ein Umkreis von 300 Metern von Anwohnern evakuiert worden ist.
Die Polizei hat für den Ernstfall ein Großaufgebot von 450 Einsatzund Rettungskräften zusammengezogen. Die Helfer kommen bis aus München und dem Allgäu. Alle Zufahrten im Umkreis der Evakuierungszone werden gesperrt. Die Feuerwehr fordert Anwohner immer wieder über Lautsprecher auf, ihre Wohnungen und Häuser zu verlassen. Einsatzkräfte klingeln an Haustüren. Der Eingang der Kleingartenanlage am Herrenbach ist mit Bändern abgesperrt und wird bewacht. Kleinere und größere Trupps von Menschen, die sich in Sicherheit bringen, ziehen vorbei. Viele telefonieren und suchen auf die Schnelle nach einer Bleibe. Nicht alle wollen in die von der Stadt angeboten Notunterkünfte. „Ich gehe lieber zu meiner Schwiegermutter, da ist es besser als in der Evakuierungsstelle“, sagt Michael Kempa aus dem Herrenbach. Ein elfjähriger Junge erzählt, er sei dieses Wochenende bei seiner Oma. „Wir kommen jetzt bei der Tante unter, die nicht weit weg wohnt.“
Für den Jungen ist die Evakuierungsaktion ein großes Abenteuer. viele ältere, kranke und behinderte Menschen wird sie dagegen zu einer großen Belastungsprobe. Ein Heim für Betreutes Wohnen muss geräumt werden. Auch der 70-jährige Anwohner Gregori Lyamets muss sich von seinem ersten Schreck erholen. Der 70-Jährige kommt am Abend in der Anlaufstelle an der Berliner Allee unter. „Ich hätte sonst nicht gewusst, wohin“, sagt er. Vom Roten Kreuz fühlt er sich gut betreut. „Trotzdem hoffe ich, dass ich heute wieder nach Hause kann.“
In der BRK-Zentrale werden an diesem Abend 105 Anwohner registriert und versorgt. Platz wäre für 150, sagt ein Helfer. Die dort Gestrandeten haben alles Notwendige, was sie fürs Erste brauchen. AnFür wohner, die einen Hund dabei haben, sind draußen an Biertischen unter großen Bäumen untergebracht. „Die Stimmung ist, den Umständen entsprechend, gut“, sagt ein Helfer. Viele Menschen müssen sich allerdings länger gedulden als gedacht. Am frühen Abend geht die Polizei von einer Evakuierungszeit von zwei bis drei Stunden aus. Doch die Aktion zieht sich. Das hat Gründe. Pressesprecher Thomas Rieger berichtet beispielsweise von einem behinderten Mann, der Hilfe angefordert hat, weil er seine Wohnung nicht alleine verlassen kann. Erst am späten Abend sind alle Häuser geräumt und die Sprengmeister können sich an die Arbeit machen. Zuvor wird vorsichtshalber noch das Feuerwerk beim Straßenkünstlerfestival „La Strada“abgesagt. Polizeisprecher Rieger sagt, die Bevölkerung solle nicht durch Knallgeräusche verunsichert werden.
Die Experten der Firma Tauber sind von einem anderen Einsatz nach Augsburg gekommen. Sprengmeister Michael Filips hat keine leichte Aufgabe: Der Kopfzünder der Bombe ist schwer herauszudrehen, das Gewinde ist leicht deformiert. Gegen 23.40 Uhr ist es geschafft. Die Bombe ist entschärft, die Polizei gibt nach rund fünf Stunden Entwarnung für die Bevölkerung. Viele Anwohner sind sehr erleichtert. Der Wunsch von Gregori Lyamets, abends wieder zu Hause zu sein, geht in Erfüllung.
Auch die Abschlussbilanz der Einsatzkräfte und der Stadtspitze gegen Mitternacht fällt positiv aus. „Es ist gut gelaufen“, sagt Sprengmeister Filips. Die kühleren Abendstunden seien der perfekte Zeitpunkt gewesen, um die Bombe zu entschärfen. Für Augsburgs Feuerwehrchef Frank Habermaier war es ein letzter spektakulärer Einsatz. Dieser sei „lehrbuchmäßig abgelaufen“, sagt er. Beim Bombenfund an Weihnachten 2016 mit 54000 Evakuierten habe man Erfahrungen gesammelt.