Der Mensch im Dunkel
Die Stalinzeit im Buch: „Sonnenfinsternis“
Dieses Buch erschien 1940, es hat Millionen Menschen zutiefst erschüttert. Es wurde in 30 Sprachen übersetzt und war ein Schlüsselroman zur Stalin-Ära in der Sowjetunion. Arthur Koestler (1905 – 1983) beschreibt an Beispielen russischer Menschen, die an den Kommunismus glaubten und ihn mitumsetzen wollten, wie das Regime mit ihnen umging. Viele wurden in dem paranoiden System, das überall Verrat vermutete, über Jahre in Gefängnissen und Lagern festgehalten. Sie waren dem Terror vollkommen rechtlos ausgesetzt und mussten neben der Folter tagtäglich damit rechnen, hingerichtet zu werden.
In einer eindringlichen Sprache wurde das von Koestler geschildert. Das Buch hat viele Menschen dazu gebracht, sich vom Kommunismus abzuwenden. Der Autor wurde zugleich von Fanatikern attackiert. In Frankreich ließ die Kommunistische Partei nahezu sämtliche Bücher aus dem Handel wegkaufen, um sie zu vernichten. Koestler war selbst Kommunist. Doch aufgrund der „Säuberungen“und Schauprozesse unter Stalin wandte er sich ab.
1939 hatte Koestler den Roman auf Deutsch geschrieben. Er gilt als sein Hauptwerk und als einer der wirkmächtigsten Romane des 20. Jahrhunderts. Das Originalmanuskript ging auf der Flucht aus Frankreich über Portugal nach London verloren, weshalb „Sonnenfinsternis“, nachdem es 1940 in London in einer leicht veränderten Fassung erschienen war, von Koestler selbst aus der englischen Version ins Deutsche rückübersetzt werden musste.
2015 stieß der Doktorand Matthias Weßel bei einer Computerrecherche zufällig auf das ursprüngliche Manuskript von „Sonnenfinsternis“. Die Archivbestandsliste der Universität Zürich führt es unter dem Titel „Rubaschow. Unveröffentlichtes Manuskript, März 1940“. Weßel stellte aufgrund seiner Kenntnisse über Koestler schnell fest, dass es sich um das Original handelt.
N. S. Rubaschow sitzt im Gefängnis. Der Verhörmann erklärt ihm: „Wir reißen der Menschheit die alte Haut ab und machen ihr eine neue Haut. Das ist kein Verfahren für Leute mit schwachen Nerven; aber es gab eine Zeit, da es dich mit Begeisterung erfüllte.“Begeisterung besitzt Rubaschow nicht mehr, das wird vom Regime nicht akzeptiert. In seiner Zelle wartet Rubaschow auf sein Ende. Er hat andere verraten, um sich zu retten. Er hat keine Achtung mehr vor sich selbst. „No. 1“, die Chiffre für Stalin im Buch, opfert Menschenleben in Serie. „Das Grauen, das von No. 1 ausging, bestand vor allem darin, dass er möglicherweise recht hatte – dass alle, die er umbrachte, sich noch mit der Kugel im Nacken sagen mussten, dass er möglicherweise recht hatte. Es gab keine Gewissheit, nur die Berufung auf das höhnische Orakel, das sie Geschichte nannten…“
Koestler hatte die Sowjetunion bereist, saß dort aber nicht in Haft. Seine Erfahrungen mit Todesangst erlebte er im Spanischen Bürgerkrieg 1936, als er auf der Seite der Kämpfer gegen Diktator Franco ins Gefängnis kam und damit rechnen musste, hingerichtet zu werden. Die kalte Macht der Herrschenden, ihre Unerbittlichkeit gegen Andersdenkende, das Grauen der Unsicherheit, dem die Opfer auf quälendste Weise ausgeliefert sind, haben Koestler geprägt. Sein Buch vermittelt noch heute diese Erschütterung.
Arthur Koestler: Sonnenfinsternis. Elsinor, 256 S., 28 €