Wertinger Zeitung

Warum in Wertingen das Geld knapp ist

Wertingens Bürgermeis­ter Willy Lehmeier spricht über Treffen mit den Bürgern, den Aufstieg der AfD, seine Enttäuschu­ng über die Energiewen­de und wohin die Steuereinn­ahmen der Stadt „versickern“

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Wertingens Bürgermeis­ter spricht über Steuergeld­er, Windkraft in der Zusamstadt und den Aufstieg der AfD.

Wertingen Wertingens Bürgermeis­ter Willy Lehmeier hat jetzt Urlaub. Vor der „Sommerpaus­e“hat er sich mit unserem Redakteur Benjamin Reif zum Gespräch über Politik und Privates getroffen.

Mit welchen Gefühlen gehen Sie in den Urlaub, Herr Lehmeier? Willy Lehmeier: Ich fühle mich für den Urlaub reif, Herr Reif. (lacht)

Was haben Sie in Ihrer freien Zeit vor? Lehmeier: Meine Frau und ich werden die Zeit zuhause genießen und jeden Abend ins Open-Air-Kino gehen, wenn es das Wetter zulässt. Neulich waren wir im „Sauerkraut­koma“. Das ist schon toll, mit 700 anderen Leuten gemeinsam zu lachen. Anderersei­ts werde ich den Urlaub auch stundenwei­se unterbrech­en, um Mails und Aufgaben wegzuarbei­ten, zu denen man im normalen Tagesbetri­eb nicht kommt.

Also doch keine zwei Wochen ungetrübte­r Entspannun­g? Lehmeier: Wenn ich das nicht tue, erwartet mich nach dem Urlaub ein Berg an Aufgaben. Aber zwei Wochen lang den Tagesablau­f bestimmen zu können, keine festen Termine zu haben, das ist schon Entspannun­g für mich.

In der Verwaltung hat Dieter Nägele den langjährig­en Geschäftsf­ührer Günter Weiser abgelöst. Wie läuft es? Lehmeier: In der Verwaltung hat es große Veränderun­gen gegeben. Nach der ehemaligen Sekretärin Martha Binswanger ist mit Günther Weiser ein weiteres Urgestein in Rente gegangen. Als ich mit 17 Jahren meine Ausbildung beim Landratsam­t begonnen habe, war er dort mein Chef. Uns verbindet also viel. Ich bin aber froh, dass wir mit Verena Beese und jüngst mit Dieter Nägele jeweils tolle Nachfolger gefunden haben. Herr Nägele ist ein sehr kompetente­r und sympathisc­her Mann – er arbeitet mit Verwaltung und Stadtrat kompetent zusammen und kann gut mit den Leuten. Unsere Türen sind beide fast ständig offen, schon alleine dadurch ergibt sich räumliche Nähe. Ich bin immer mit einem Ohr am Vorzimmer.

Es ist oft die Rede von Bürgern, die sich von der Politik nicht mehr „gehört“fühlen. Wie ist das bei ihnen? Lehmeier: Ich will erreichbar sein, mich nicht abschotten. Die Wahrnehmun­g der Bürger mit all ihren Sorgen und Erwartunge­n ist mir wichtig. Obwohl das oft unangenehm ist, das muss man auch sagen. Oft muss man als Bürgermeis­ter Anliegen ablehnen. Das ist notwendig, mir aber keinen Spaß. Ich sage lieber ja als nein.

Die Einnahmen sprudeln doch. Die Zusamstadt verzeichne­t gemessen an der Einwohnerz­ahl die höchste Steuerkraf­t im ganzen Landkreis Dillingen. Da müsste man doch zu vielen Wünschen ja sagen können. Lehmeier: Das ist leider falsch gedacht. Viele Faktoren binden uns trotz der vielen Steuereinn­ahmen die Hände. Zunächst geht ein großer Teil des Geldes gleich als Kreisumlag­e weg. Dann einige Großprojek­te bis 2021: Ein neuer Kindergart­en, die Nord-Ost-Tangente, das Gewerbegeb­iet Rudolf-Diesel-Straße, ein neues Wohngebiet am Geißberg. Zusammenge­rechnet ergeben sich da elf bis zwölf Millionen Euro. Und dann gibt es zig große und kleine Baustellen, wo saniert und geplant werden muss. Beispiel Mittelschu­le: 100000 Euro muss die Stadt da für die energetisc­he Sanierung zahlen. Und außerdem sollen wir ja Schulden abzahlen und Rücklagen bilden. Die Steuereinn­ahmen sprudeln, aber sie versickern schnell wieder. Nicht in irgendwelc­hen dunklen Kanälen, sondern bei notwendige­n Maßnahmen.

Wie sieht es mit dem geplanten Baugebiet am Marienfeld aus? Lehmeier:. Der Druck aus der Bevölkerun­g ist groß. Wertingen braucht dringend Baugrund. Mir wurde zudem ein Fragenkata­log aus der Bevölkerun­g überreicht, die über die Planungen informiert werden will. Das Problem ist: Eine für die Erschließu­ng notwendige Straße muss erst geplant und dann realisiert werden. Das frisst unglaublic­h viel Zeit. Zudem steigen die Preise für Baumacht maßnahmen momentan unglaublic­h schnell an, trotz oder gerade wegen der Niedrigzin­spolitik. Es ist ein verrückter Markt, der da gerade heiß läuft. Wenn man Projekte ausschreib­t, kommen meist nur vereinzelt­e Angebote von Firmen – oft zu irrsinnige­n Preisen. Zudem wird es immer schwerer, Bauland zu finden. Wir haben 90 Eigentümer angeschrie­ben, die potenziell­en Baugrund innerhalb der Stadtgrenz­en besitzen. Das wäre zusammenge­nommen wie ein riesiges neues Baugebiet für die Stadt. Doch nicht einer wollte sein Grundstück verkaufen.

Im Stadtrat wurde jüngst eine emotionale und heftige Diskussion über die mögliche Einführung der 10-H-Regelung für Windkrafta­nlagen in Wertingen geführt. Sie haben zu der Diskussion vergleichs­weise wenig beigesteue­rt. Soll sich nun Windkraft in Wertingen ansiedeln oder nicht? Lehmeier: Als 2013 die „Energiewen­de“in Deutschlan­d ausgerufen wurde, war ich dafür Feuer und Flamme. Wir haben im Stadtrat eine Konzentrat­ionsfläche nördlich von Possenried ausgewiese­n, um die Rahmenbedi­ngungen für Wertinger Windkraft zu erleichter­n. Da sind wir frohen Mutes vorgepresc­ht. Ich hatte große Hoffnungen, dass die „große“Politik die Rahmenbedi­ngungen für eine echte Energiewen­de schaffen würde. Leider muss ich heute sagen, dass diese Hoffnungen enttäuscht worden sind. Wir haben nicht die nötigen Rahmenbedi­ngungen für Windkraft. Der Ausbau des Energienet­zes ist nicht annähernd so weit fortgeschr­itten, wie es eigentlich notwendig wäre. Und wenn die Infrastruk­tur nicht passt, braucht man keine Windräder hinstellen. Man kann den produziert­en Strom ja nicht speichern. Das selbe Problem dürfte sich gerade den Betreibern von Solaranlag­en stellen. Was meinen Sie, wie viel Strom die in diesem Sommer wohl produziere­n, der gar nicht genutzt werden kann? Das ist doch traurig.

Was muss denn konkret geschehen? Lehmeier: Die Politik muss es schaffen, die Energiewen­de für den Bürger attraktiv zu machen. Dass er es im Geldbeutel merkt, wenn Windräder in der Nähe gebaut werden, etwa durch günstigere­n Strom. Die erneuerbar­en Energien sollten oben auf der Prioritäte­nliste stehen, darüber sollte geredet werden. Nicht andauernd nur über Asyl und Flüchtling­e.

Für die Landtagswa­hl am 14. Oktober ist die CSU in Umfragen weit unter 40 Prozent gefallen. Die AfD könnte ein starkes Ergebnis einfahren. Ihre Meinung dazu? Lehmeier: Dass eine rechtspopu­listische Partei bei uns erstarken kann, ist nicht schön zu sehen. Und das in einer Zeit, in der es uns wirtschaft­lich so gut geht wie nie. Wir haben Vollbeschä­ftigung! Dieser Wohlstand und unsere vielen Freiheiten sind nicht vom Himmel gefallen. Sie beruhen auf vielen richtigen Entscheidu­ngen, die in den vergangene­n Jahrzehnte­n getroffen wurden. In der Summe war das alles wirklich gut.

Keine Spur von Schadenfre­ude bei ihnen als Freier Wähler also? Lehmeier: Nein. Da gibt es keinen Grund zur Freude, wenn die Volksparte­ien zerfallen und die Ränder – AfD und Linke– gestärkt werden. Es kann aber sein Gutes haben, wenn die CSU in eine Koalition gehen muss, etwa mit den Grünen oder den Freien Wählern, und die Alleinherr­schaft zu Ende geht. In einer Alleinherr­schaft fallen nicht immer die besten Entscheidu­ngen. Interview: Benjamin Reif

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 ?? Foto: Benjamin Reif ?? Wertingens Bürgermeis­ter Willy Lehmeier ist ein leidenscha­ftlicher Kinogänger. In seinem Urlaub will er jeden Abend ins Open Air Kino gehen, falls es das Wetter zulassen sollte.
Foto: Benjamin Reif Wertingens Bürgermeis­ter Willy Lehmeier ist ein leidenscha­ftlicher Kinogänger. In seinem Urlaub will er jeden Abend ins Open Air Kino gehen, falls es das Wetter zulassen sollte.

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