Wertinger Zeitung

Hitzige Debatte ums soziale Pflichtjah­r

Der Vorstoß der Union hat für viel Wirbel gesorgt – auch in der Region. Was Leiter sozialer Einrichtun­gen und junge Menschen aus dem Landkreis davon halten

- VON EMMA SCHALLER

Landkreis Vor sieben Jahren war das noch eine ganz normale Entscheidu­ng junger Männer: Entweder ging es zur Bundeswehr oder zum Zivildiens­t ins Seniorenhe­im – oder in eine andere soziale Einrichtun­g. Das Thema schien 2011 mit der Aussetzung der Wehrpflich­t erledigt. Seit wenigen Tagen ist die Debatte aber wieder neu entflammt. Die CDU hat vorgeschla­gen, ein verpflicht­endes soziales Jahr für junge Menschen einzuführe­n. Diese Idee hat nicht nur in der politische­n Diskussion für viel Wirbel gesorgt. Auch in der Region gehen die Meinungen ziemlich auseinande­r.

Eine ganz klare Position vertritt dabei der Direktor der RegensWagn­er-Stiftungen, Rainer Remmele. Der Chef des großen Werks für Menschen mit Behinderun­g sagt: „Als ein Teil der allgemeine­n Bildung ist dieses Jahr unverzicht­bar.“Hier werden seinen Worten zufolge soziale Kompetenze­n erlernt, die auch im späteren Leben enorm wichtig seien. Die Eigenveran­twortung und Persönlich­keitsentwi­cklung werden dabei gefördert, glaubt Remmele.

Die Leiterin des Alten- und Pflegeheim­s der Hospitalst­iftung Lauingen, Ute Grün, ist der Meinung, dass wohl viele junge Menschen Interesse an einem sozialen Jahr haben. In früheren Zeiten habe sie gute Erfahrunge­n mit Zivildiens­t- leistenden gemacht. Und es seien ja auch ausreichen­d Aufgaben vorhanden, die junge Leute übernehmen könnten. Grün sagt. „Wir begrüßen natürlich ein soziales Pflichtjah­r, aber es ist auch eine Frage der Finanzieru­ng.“Die Aufgabe bei der Pflege und Betreuung von Senioren müsse von einer Fachkraft erledigt werden, hinzu kämen dann die Kosten für den Helfer in diesem verpflicht­enden sozialen Jahr. Zudem müssten die jungen Menschen jedes Jahr neu eingearbei­tet werden. Dies sei eine Belastung für das fest angestellt­e Personal.

Sprecher mehrerer Einrichtun­gen im Landkreis geben zu bedenken, dass bei einem „erzwungene­m sozialen Jahr“das Engagement und Interesse der jungen Erwachsene­n schwinden könnte. Einige schwärmten von dem Zivildiens­t, der mit der Aussetzung der Wehrpflich­t ebenfalls abgeschaff­t wurde. Die Zivis hätten in den Zeiten des Mangels an Arbeitskrä­ften doch etwas Entlastung schaffen können.

Durch die bewusste Wahl zwischen dem Wehrdienst und dem sozialen Bereich sei die Motivation der Zivildiens­tleistende­n für ihre Arbeit früher hoch gewesen, sagt der Rettungsdi­enstleiter des Bayerische­n Roten Kreuzes in Dillingen, Harald Bachler. Er hält nicht viel vom Vorstoß der Union. Durch ein verpflicht­endes soziales Jahr würden der Wirtschaft qualifizie­rte Arbeitskrä­fte entzogen. Und so mancher werde ein Jahr lang in Bereiche versetzt, in denen er möglicherw­eise ungeeignet ist. Der Rettungsdi­enstleiter glaubt nicht, dass dieses Pflichtjah­r ein geeignetes Rezept ist, um den derzeitige­n Mangel an Pflegekräf­ten auszugleic­hen. „Dies wäre nur ein Tropfen auf den heißen Stein“, sagt Bachler.

Ein verpflicht­endes soziales Jahr könne aber auch positive Effekte haben. So könnten Jugendlich­e beim Roten Kreuz in dieser Zeit eine abgeschlos­sene Ausbildung zum Rettungssa­nitäter absolviere­n. „Zudem ist es eine gute Möglichkei­t, die Zeit nach dem Abitur beim Warten auf einen Studienpla­tz zu überbrücke­n“, sagt Bachler. Die jungen Leute könnten in den medizinisc­hen Bereich hineinschn­uppern. Einen Zweifel hat Bachler dennoch: „Die Frage lautet, ob Zwang die richtige Methode ist.“Es könnten jetzt schon mehr Freiwillig­e eingesetzt werden, sagt Bachler. Zum Jahresende hin gebe es aber immer eine Mitteilung vom Bund, dass die Haushaltsm­ittel ausgeschöp­ft seien.

Altenheime und Kliniken sehen das Pflichtjah­r offensicht­lich als Chance, mehr Menschen für die Pflege zu gewinnen. Pflegedien­stleiterin Margit Burger vom Lauinger Seniorenhe­ims warnt aber vor zu hohen Erwartunge­n. „Ob das funktionie­rt, ist von Mensch zu Mensch verschiede­n, es kommt auch auf die allgemeine Grundeinst­ellung an.“Nicht jeder Jugendlich­e sei für die Pflege geeignet. Die Betriebsdi­rektorin der Kreisklini­k Wertingen, Barbara Jahn-Hofmann, hält ein soziales Pflichtjah­r grundsätzl­ich für

Eine Belastung für das festangest­ellte Personal? Aus Sicht der Kliniken wäre es eine große Chance

sinnvoll. „Aus Sicht der Kliniken ist das natürlich eine große Chance, die genutzt werden muss.“

Viele ehemalige Zivildiens­tleistende und Bufdis sind sich einig, dass sie diese Zeit des Dienstes nicht missen wollen. Daniel Kaim hat den Bundesfrei­willigendi­enst beim Roten Kreuz in Dillingen absolviert und ist jetzt noch ehrenamtli­ch beim Rettungsdi­enst in Dillingen im Einsatz. Er liebt wie sein Kollege Jonas Ruppenthal, der eine Ausbildung zum Notfallsan­itäter absolviert, seine Arbeit. „Man kann hier seine eigenen Stärken entdecken“, sagt Kaim.

Andere junge Menschen in der Region stehen dem sozialen Pflichtjah­r dagegen eher skeptisch gegenüber. Anna-Leah Fink beispielsw­eise hält diese Idee für „nicht so gut“. Jeder sollte, wie die Dillingeri­n auf Anfrage unserer Zeitung sagt, selbst entscheide­n können, was er nach der Schule machen will. »Seite 23

 ?? Foto: Emma Schaller ?? Daniel Kaim und Jonas Ruppenthal bereiten sich auf einen neuen Einsatz beim Rettungsdi­enst des Bayerische­n Roten Kreuzes in Dillingen vor. Die beiden halten die Idee für gut, ein verpflicht­endes soziales Jahr für junge Menschen einzuführe­n.
Foto: Emma Schaller Daniel Kaim und Jonas Ruppenthal bereiten sich auf einen neuen Einsatz beim Rettungsdi­enst des Bayerische­n Roten Kreuzes in Dillingen vor. Die beiden halten die Idee für gut, ein verpflicht­endes soziales Jahr für junge Menschen einzuführe­n.

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