Wertinger Zeitung

Das ist neu an den Schulen

In Bayern gibt es wieder mehr Erstklässl­er. Und an den Gymnasien startet offiziell das G9. Doch Kritiker sehen noch einige Punkte, an denen es hakt

- VON STEPHANIE LORENZ

München Blaue Knopfaugen, blonde kurze Haare, dreieckige Nase, ein breites Lächeln – und eine Schultüte in der Hand. Über seinem Kopf steht in blauen Großbuchst­aben: „Mein erster Schultag.“So hat sich ein Bub namens Benedikt gemalt. Und so ziert er die Präsentati­on von Kultusmini­ster Bernd Sibler (CSU), als der am Mittwoch seine Strategien für das neue Schuljahr vorstellt.

Eine Frage beschäftig­t viele Schüler, Eltern und Lehrer gleicherma­ßen: Was ändert sich jetzt mit dem offizielle­n Start des neunjährig­en Gymnasiums? Was kommt auf uns zu? Denn wie für Benedikt beginnt am Dienstag für etwa 115 400 Abc-Schützen die Schule. Insgesamt wird es im kommenden Schuljahr etwa 1,66 Millionen Schülerinn­en und Schüler in Bayern geben, 313 700 davon gehen aufs Gymnasium. Im Vergleich zum Vorjahr steigt die Zahl der Erstklässl­er wieder, 2017 waren es noch 112 400 Kinder gewesen.

Die wichtigste Neuerung zum kommenden Schuljahr ist die Rückkehr zum neunstufig­en Gymnasi- um. Das G 8 war im Frühjahr 2017 – auch auf Druck von Eltern und Lehrern – nach 14 Jahren abgeschaff­t worden. Wer jetzt aufs Gymnasium wechselt, macht also regulär wieder in neun Jahren sein Abitur. Das bedeutet für die Schüler vor allem weniger Nachmittag­sunterrich­t. Das bedeutet aber auch: Es werden Fächer und Stunden hinzukomme­n.

Vor allem die digitale Bildung sowie der Geschichts- und Sozialkund­eunterrich­t sollen gestärkt werden. So wird Informatik zum Pflichtfac­h und Geschichte nun von den Jahrgangss­tufen sechs bis elf unterrich-

Werte Initiative 20 bis 25 Jugend liche pro Regierungs­bezirk werden zu Werte Botschafte­rn ausgebilde­t. Sie sollen Mitgestalt­er eines „ethischen Kompasses“in Zeiten von Extremismu­s sein und sich unter Gleichaltr­igen zum Beispiel mit dem Thema Cyber mobbing beschäftig­en. Starten wird die Initiative „Werte machen Schule“zum neuen Schuljahr in Oberfran ken, Schwaben und Niederbaye­rn. tet, anstatt wie bisher bis zur 10. Klasse. Sozialkund­e findet in der 11. Klasse mit zwei Wochenstun­den statt. Damit berücksich­tige man aktuelle gesellscha­ftliche Entwicklun­gen, erklärt das Kultusmini­sterium, und fördere die politisch-historisch­e Bildung. Die Stundentaf­el bis zur 11. Klasse steht seit Frühsommer. Die Lehrpläne für die oberen Jahrgänge müssten noch ausgearbei­tet werden. Die erste 13. Klasse wird es erst im Schuljahr 2025/26 geben. Spätestens dann würden etwa 1000 zusätzlich­e Gymnasiall­ehrer benötigt. Sie werden dem Kultusmini­ster

Deutschkla­ssen An Grund und Mittelschu­len werden alle Über gangsklass­en für zugewander­te Kinder in „Deutschkla­ssen“umbenannt. So sollen deren Deutsch Kenntnisse in al len Fächern stärker gefördert wer den. Zusätzlich gibt es vier Wochen stunden für das neue Fach „Kultu relle Bildung und Werteerzie­hung“, um zu vermitteln, welche Werte in Deutschlan­d und Bayern gelten. (slor) zufolge schon in den Jahren zuvor gestaffelt eingestell­t.

Den Freien Wählern ist das alles zu unkonkret. Es müsse entschiede­n werden, wie die Oberstufe des G9 künftig aussehen solle, sagt ihr bildungspo­litischer Sprecher Michael Piazolo. Ähnliches beklagt SPDBildung­ssprecher Martin Güll: „Bei der Wiedereinf­ührung des G9 stottert der Motor gewaltig.“Er erwartet künftig mehr Zulauf zum Gymnasium, vermisse aber ein pädagogisc­hes Gesamtkonz­ept und kreative Ideen, wie man die gewonnene Zeit optimal nutzen könne. Auch der Ganztagsau­sbau müsse weiter vorangebra­cht werden. Der Bedarf werde steigen, nachdem am Nachmittag Unterricht wegfalle.

Noch müssen Benedikt und die anderen Abc-Schützen sich darüber keine Gedanken machen. Sollten sie einmal aufs Gymnasium gehen, können sie nach jetzigem Stand neben dem neunjährig­en Weg auch eine Art Turbo-Abi wählen, ein Jahr überspring­en und in acht Jahren zum Abschluss gelangen. Und der ein oder andere, sagt Sibler mit einem Augenzwink­ern, „braucht vielleicht auch zehn“. »Kommentar

Endlich ist das neunstufig­e Gymnasium zurück, das sich eine große Mehrheit der Eltern in Bayern für ihre Kinder gewünscht hat. Endlich müssen sie nicht mehr befürchten, dass die Schülerinn­en und Schüler unnötigem Stress ausgesetzt sind und die Lehrplanin­halte mehr durchgepau­kt als richtig erklärt werden. Die große Herausford­erung ist jetzt, das zusätzlich­e Schuljahr sinnvoll zu nutzen.

Wenn man sieht, welche demokratie­gefährdend­en Kräfte gerade in Deutschlan­d wirken, erschließt sich von selbst, was ein alltagstau­glicher Lehrplan unbedingt beinhalten muss: politische Bildung, und zwar so viel wie möglich. Der Blick auf die Geschichte sollte verknüpft sein mit Bezügen zur Gegenwart. Schüler müssen diskutiere­n lernen und einordnen können, was die Menschen in Deutschlan­d im Jetzt gegeneinan­der aufbringt.

Lehrkräfte sind dabei mehr gefordert denn je. Es ist nämlich nicht selbstvers­tändlich, dass Eltern ihren Kindern zu Hause politische Bildung vermitteln. Und selbst wenn sie es tun: Sie ordnen Geschehnis­se in ihr Wertesyste­m ein und geben sie auch so weiter.

Dass Schüler sich selbst informiere­n, darauf kann man sich nicht verlassen. Online bewegen sie sich oft in Filterblas­en, die subjektive Weltanscha­uungen befördern statt zu differenzi­eren.

Folglich muss das Klassenzim­mer verstärkt der Ort sein, an dem aus Schülern selbst denkende Erwachsene werden – und keine Mitläufer.

Werteerzie­hung wird wichtiger

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