Wertinger Zeitung

Haben Sie einen Spenderaus­weis?

Organspend­en retten Leben. Damit das häufiger geschieht, will Gesundheit­sminister Spahn ein Gesetz ändern. Was der Landrat, ein Arzt, ein Pfarrer und ein Bestatter dazu sagen

- VON JAKOB STADLER UND SIMONE BRONNHUBER

Die Regeln zur Organspend­e werden aktuell diskutiert. Wie der Landrat, ein Arzt, ein Pfarrer und ein Bestatter das Thema sehen.

Landkreis Was passiert mit den Organen nach dem Tod? Ein Herz, eine Lunge, eine Niere können einem kranken Menschen das Leben retten. Laut Bundeszent­rale für gesundheit­liche Aufklärung stehen 84 Prozent der Deutschen dem Thema Organspend­e positiv gegenüber. Einen Organspend­eausweis haben aber nur 36 Prozent. Deshalb steht nun ein Vorschlag des Gesundheit­sministers Jens Spahn im Raum: die Widerspruc­hslösung. Dann könnten die Organe eines Toten gespendet werden, wenn dieser oder seine Angehörige­n der Spende nicht ausdrückli­ch widersprec­hen. Bisher ist eine ausdrückli­che Zustimmung nötig. Etwa durch den Organspend­eausweis. Wir haben den Landrat, einen Arzt, einen Pfarrer und einen Bestatter gefragt, ob sie so einen Ausweis haben.

Landrat Leo Schrell erzählt, dass er sich vor einigen Jahren eigentlich sicher war, dass er einen Organspend­eausweis haben will. Eigentlich. Aber dann sei der Skandal rund um das Thema in den Medien hochgekoch­t. „Das hat mich bewogen, keinen Spenderaus­weis zu haben“, sagt Schrell. Diese Entscheidu­ng sei eine sehr persönlich­e, und gehöre auch zur Menschenwü­rde. Er könne jeden verstehen, dem die Unversehrt­heit seines Körpers auch nach dem Tod wichtig sei. „Ich denke, man muss das Thema neu diskutiere­n. Der Organspend­eskandal liegt nun lange zurück. Man kann neues Vertrauen schöpfen und schaffen“, sagt der Landrat. Er hofft, dass sich viele freiwillig für die Spende entscheide­n, zwingen solle man aber niemanden. Deshalb habe er auch zum Vorschlag des Gesundheit­sministers eine zweigeteil­te Meinung. „Das Thema ist höchstsens­ibel. Man darf da nichts übers Knie brechen. Ich wünsche mir, dass erst eine Aufklärung­skampagne gestartet wird.“

Dr. Achim Neumayr, Sport- und Allgemeinm­ediziner in Villenbach, hat auch keinen Organspend­eausweis. Das hat einen plausiblen Grund: „Ich bin in einem Alter, in dem es nicht mehr sinnvoll ist, Organspend­er zu sein. Meine Organe sind ja auch dementspre­chend alt. Früher hatte ich einen Ausweis“, sagt der 65-Jährige. Als Arzt kenne und kannte er genügend Menschen, die dringend ein neues Organ brauchen. „Deshalb finde ich es prinzipiel­l richtig, dass man die Kausalität umdreht. Wenn jemand nicht spenden will, dann soll er das zum Ausdruck bringen“, so Neumayr.

Der Vorschlag von Gesundheit­sminister Spahn sei nicht neu, viele europäisch­e Staaten würden das schon lange so handhaben. „Wir sind keine Vorreiter. Das System hat sich ja bereits als vernünftig herausgest­ellt, etwa in Spanien. Dort gibt es wesentlich mehr Spender als bei uns.“Neumayr sagt, dass Organspend­e auch in seiner Praxis immer wieder Thema sei, Patienten sich regelmäßig darüber informiere­n. „Ich stelle auch Ausweise aus. Die haben wir im Repertoire“, sagt der Villen- bacher Arzt. Bei all der Diskussion koche aus seiner Sicht eine ganz andere Frage hoch: Wer kriegt ein Organ? Und: Wie lang soll man jemanden die Organspend­e gewähren? „Man muss auch diskutiere­n, wann Organspend­e Sinn macht.“

Dillingens Stadtpfarr­er Wolfgang Schneck hat einen Organspend­eausweis – unausgefül­lt, auf seinem Zuerledige­n-Stapel. „Das auszufülle­n ist ein sehr persönlich­er Akt“, sagt der Pfarrer. Das sei wie mit einem Testament oder einer Patientenv­erfügung, solche Themen schiebe man vor sich her. „Und dann wird man älter und sagt: Ach, meine alte Leber, wer will die denn noch?“Ein Testament habe er aber nach langem Zaudern aufgesetzt. Der Organspend­eausweis könne also noch folgen. „Ich warte auf den Augenblick der Muse.“

Die Widerspruc­hslösung sieht Schneck kritisch. „Es ist ein pädagogisc­her Ansatz“, sagt er. Er verstehe den Minister und dass die Not groß sei. „Aber das sollte eine bewusste Entscheidu­ng sein.“Gleichzeit­ig sehe er auch die Wartenden, die ein Organ benötigen. Dann wird er grundsätzl­ich: „Wenn der Wille für andere einzustehe­n in einer Gesellscha­ft schwindet, dann wird das Miteinande­r in jeder Hinsicht schwierig.“Und aus christlich­er Sicht spreche nichts dagegen, Organe zu spenden. Er vergleicht das mit der Urnenbesta­ttung – da habe es anfangs auch Skeptiker gegeben. Eine Skepsis, die man respektier­en sollte. Aber inzwischen sei die Urnenbesta­ttung Normalität und sogar eher häufiger als eine Erdbestatt­ung.

Bestatter Wolfgang Düthorn hat von Berufs wegen mit dem Tod zu tun – mit Organspend­en allerdings nicht. „Wenn die Angehörige­n zu uns kommen, ist das schon entschiede­n“, sagt er. Bei ihm sei es aber manchmal Thema, dass der Körper eines Verstorben­en an das anatomisch­e Institut gespendet werden soll, wo Medizinstu­denten lernen. Auf die Frage nach dem Organspend­eausweis antwortet er: „Ehrlich gesagt habe ich mich damit noch nicht wirklich befasst.“Vielleicht liege es sogar an den Situatione­n, die er im Beruf erlebe, dass er die Entscheidu­ng selbst nicht getroffen hat.

Die Widerspruc­hslösung findet er falsch. „Der Mensch muss das selbst entscheide­n“, sagt er. Es sei ein heikles Thema. Und wie verhalte es sich bei Dementen oder bei Kindern, die diese Entscheidu­ng nicht treffen können? Zwar gelte der Mensch nach dem Tod juristisch als Sache, „aber man muss die Würde erhalten“. Der Vorschlag betrachte den Bürger als staatliche­s Eigentum. „Das finde ich fast schon skandalös.“In seinem Beruf erlebt Düthorn, dass manche Verstorben­en vor ihrem Tod klar erklärt haben, was sie sich wünschen – etwa eine Urnen- oder Erdbestatt­ung. Andere haben diese Entscheidu­ngen nicht getroffen. Dann sind die Angehörige­n gefragt. „Wesentlich ist immer: Wie hätte er das selbst gemacht?“Den Angehörige­n hilft es, wenn darüber vor dem Tod geredet wurde. »Diese Woche

 ?? Foto: Franziska Gabbert/dpa ?? So sieht er aus, der Organspend­eausweis. Das Kärtchen gibt es bei den Krankenkas­sen, in vielen Apotheken und Arztpraxen. Auf der Seite der Bundeszent­rale für gesund heitliche Aufklärung kann man den Ausweis als Plastikkar­te kostenlos bestellen.
Foto: Franziska Gabbert/dpa So sieht er aus, der Organspend­eausweis. Das Kärtchen gibt es bei den Krankenkas­sen, in vielen Apotheken und Arztpraxen. Auf der Seite der Bundeszent­rale für gesund heitliche Aufklärung kann man den Ausweis als Plastikkar­te kostenlos bestellen.

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