Bombastisch bis berührend – alles Gitarre!
Wertingen erlebte ein klangvolles Wochenende bei fünf Konzerten, Workshops und menschlichen Begegnungen. Was die Gitarrenkünstler aus aller Welt dazu beitrugen
Wertingen Backstage begegnen sich das Alegrìas Trio, das gerade das Wertinger Gitarrenfestival eröffnet hat und das Duo Anabel Montesinos und Marco Tamayo. Und es ist ein herzliches Hallo. Man kennt sich in Gitarristenkreisen. Eine Szene, die ähnlich der von Jazzmusikern geniale, international erfolgreiche, aber nach wie vor nahbare Künstler hervorbringt. Und die gaben sich die letzten drei Tage wieder einmal ein Stelldichein in Wertingen. Drei Konzertabende, an denen die unglaubliche Vielfalt der Gitarre gleichzeitig zu einer Reise in die facettenreiche Welt der Klänge, erzeugt von nur einem Instrument, entführte. Bewährt zusammengestellt von Festivalleiter Johannes Tonio Kreusch.
Der war schon am ersten Abend fasziniert von der „wunderbaren und ungewöhnlichen Programmauswahl“der drei Gitarristen Dimitri Lavrentiev und Klaus Wladar, beide Dozenten am Leopold-mozart Zentrum der Universität Augsburg, sowie Takeo Sato, Professor für Gitarre am Konservatorium in Vorarlberg, und deren Zusammenspiel.
Auch Besucher Ingo Butters aus Rieblingen, nach 2017 zum zweiten Mal Gast des Festivals war vom ersten Teil des Auftaktes überaus angetan: „Großartig. Diese Mischung, die spanischen, eben ein bisschen mehr die fröhlicheren, aber auch die russischen Klänge, die meine russische Seele ansprachen, ich habe nämlich eine russische Großmutter, waren klasse. Die klanglichen Kontraste, die erzeugt wurden, einfach genial.“Und das brillante Agieren mit der Gitarre wurde vom Duo Montesinos-tamayo aus Salzburg, das nicht nur auf der Bühne als musikalisches Paar, sondern im Leben als Ehepaar verbunden ist, im zweiten Teil des Eröffnungsabends fortgeführt. Eine fast andächtige Stille im Publikum begleitete den musikalischen Dialog der beiden Virtuosen, die jeweils abwechselnd vermeintlich dominant im Vordergrund spielend, aber stets eine Einheit bildend, etwa die Stücke von Rossini (die Ouvertüre aus „Il barbiere di Seviglia“, arrangiert von Mauro Giuliani) oder von Enrique Granados („Danza Oriental“) zum Besten geben. „Weltklasse, wie die beiden auswendig musizieren und eine grandiose Energie erzeugen, die auf das Publikum überspringt“, so Kreusch.
Beinahe vergaß man bei der Ab- und Buntheit der Töne, die die Spanierin und der Kubaner erzeugten und die sie mit ihrer Technik dem Instrument entlocken, dass hier „nur“zwei Künstler mit zwei Gitarren auftraten. So kraftvoll und dann wieder leicht, fast zurückhaltend leise und schließlich erneut bestimmt wurden Claude Debussys „Golliwog’s cakewalk“aus „The children corner“und die „Tonadilla“von Joaquin Rodrigo präsentiert.
Die Harmonie der beiden gipfelte im Mozartstück, das sie mit vier Händen auf einer Gitarre spielten. Mit Standing Ovations endete ein fulminanter Auftakt eines Festivals, das Wertingen hier sein Eigen nennen darf.
Dass man die Gitarre auf so verschiedene Arten, durch unterschiedliche Spielweisen kennen lernen kann, bewies auch der zweite Abend. Mit mystischen Klängen begann dieser, um dann in eine Kraft zu kommen, wie man sie von den großen Gitarristen wie etwa einem Jimi Hendrix kennt. Claus Boesserferrari, der den zweiten Abend eröffnete, nutzt seine Gitarre nicht nur im ursprünglichen Sinne. Für ihn ist sie auch Schlagzeug, Percussion, einfach das Medium mit dem er Töne erzeugt, die einem durch den Körper fahren, im positiven Sinne. Und so wähnte man sich durch diese zunächst in der klaren, frischen Natur, um dann im nächsten Moment darin wieder das pulsierende Treiben in den Gassen irgendeines beliebigen Ortes zu hören oder sich an einem Platz inmitten von fröhlichen Menschen zu fühlen. Weiter erspürte man über seine Klänge eine unendliche Weite, die sonst auf einem Berg ins Tal blickend oder am Rand einer Klippe stehend in den Wellen des Meeres erfahrbar werden kann. Schließlich tauchte vor dem geistigen Auge ein Motorradfahrer auf, der den Highway entlang fährt.
Das Spiel des Gitarristen, aus dem Moment geboren, scheint willkürlich, doch nach etwa einer Stunde erschloss sich dem Zuhörer eine filmgleiche Reise durch die Fantasie, in der Wirklichkeit über Boesser-ferraris fantastisches Gitarrenspiel entstand.
In seiner Zugabe präsentierte er unter anderem seine Version von Moon River, sanft, dennoch kraftvoll und einfach nur schön. So schön, dass zwei weitere folgten und sich sogar ein paar Takte von „Der Mond ist aufgegangen“wie selbstverständlich in das emotionale Spiel einfügten.
Und dann kam Jon Gomm aus Blackpool. Seine Version von Chaka Khans „Ain’t nobody!“, bei der die Gitarre wie schon bei seinem Vorgänger an diesem Abend auf der Bühne auch als Schlagzeug und Percussion diente, ging über den Discoklassiker mehr als hinaus. Was folgte, waren seine Songs, mitunter musikalische Collagen bekannter Stücke wie etwa „Running up that hill“von Kate Bush, die im Zusammenspiel seiner Stimme und seiner Gitarren-klang-explosion eine raumerfüllende Power entfachten.
Der Engländer demonstrierte dem Publikum zudem am Beispiel einer achtköpfigen Reggae Band, die er allein mit seiner Gitarre, den Möglichkeiten damit und seiner Stimme zum Leben erweckte, wie dieser Klangkörper eine Vielzahl an Instrumenten sein kann. Dass der Singer-songwriter auch politische Statements abgibt, zeigte sein Instrumentalstück „Wukan Motorcycle Kid“über einen chinesischen Jungen. Ruhig und sanft, aber ebenwechslung so kraftvoll ist es eine Hommage an einen jungen, mutigen Menschen, der im Regime auf seinem Moped fahrend vor der Geheimpolizei warnt, die Leute verhaftet. „Ich habe davon gelesen und daraus entstand dieses Stück“, erklärte Gomm.
Das Wertinger Publikum kam außerdem in den Genuss eines neuen Stücks „Dreamfactories“, seine musikalische Anklage gegen derzeitige Trash- und Casting-tv-shows, die aus England kommend auch in der deutschen Fernsehlandschaft inflationär ausgestrahlt werden. Echt, individuell und unverzichtbar dagegen, das Gitarrenspiel des Engländers.
Das renommierte „Acoustic Guitar Magazine“feiert Joscho Stephan als den wichtigsten zeitgenössischen Vertreter der Gypsy-gitarre. Mit seinem Trio bildete er unter dem Titel „Gypsy swing at its best! In the spirit of Django Reinhardt“den Abschluss eines aussergewöhnlichen Festivals am gestrigen Sonntag
Zum Schluss geht noch der Mond auf