Wertinger Zeitung

Fantastisc­hes Gewimmel

Mehr Pieter Bruegel wird es wohl nicht mehr geben: Mit 90 Werken widmet das Kunsthisto­rische Museum Wien dem bedeutende­n flämischen Maler eine grandiose Schau

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derts die Details so präzise und virtuos bis ins Mikroskopi­sche hinein wiedergebe­n. Das ist gerade in Vergrößeru­ngen gut nachvollzi­ehbar, zudem wird man in den Seitenkabi­netten durch sämtliche handwerkli­ch-technische­n Raffinesse­n geführt.

Das unterstrei­cht die Vermutung, dass der als „Bauern-Bruegel“abgestempe­lte Flame zum Miniaturma­ler ausgebilde­t worden war. Wahrschein­lich in Antwerpen und Brüssel im Atelier von Pieter Coecke van Aelst, dessen Tochter Mayken er heiraten wird. Der um 1525/30 geborene Bruegel durchläuft haft sind sie komponiert und bis in die letzte Astgabel hinein durchgearb­eitet. Dabei schaut eh jeder auf den später hinzugefüg­ten Jäger im Vordergrun­d, diese typische Rückenfigu­r, mit der Bruegel den Betrachter unmerklich ins Bild gleiten lässt, dann zur Hundemeute und schließlic­h auf die ausgelasse­nen Schlittsch­uhläufer weiter hinten.

Im Nebeneinan­der der Gemälde und besonders der Zeichnunge­n verliert Bruegel schnell das Image des Vervielfäl­tigers harmlos wuseliger Szenen. Schon die herrlich lakonische Federzeich­nung „Maler und Kenner“, die ein Selbstbild­nis sein könnte, zeigt einen missmutige­n Künstler-Zausel, der sich seiner Situation bewusst zu sein scheint – nämlich für einen wenig geistvolle­n Kunden zu werkeln, der die Hand schon am Geldbeutel hat. Der Kauflustig­e trägt zwar einen Nasenzwick­er, doch der ist noch lange keine Garantie für Erkenntnis­vermögen.

Dieser Witz ist zum Greifen, und gerade in der menschelnd­en Komik unterschei­det sich Bruegel von seinem großen Vorbild Hieronymus Bosch. Überdeutli­ch wird das in der „Dulle Griet“. Mit Schwert und Bratpfanne zieht sie durch eine verwüstete Landschaft, die im Vokabular sofort an Bosch erinnert. Doch im Schlepptau hat dieses toll gewordene Weibsbild marodieren­de Kriegerinn­en – die Geschlecht­erhierarch­ie steht auf dem Kopf. Und womöglich setzt sich die Kampf-Grete am Ende sogar durch.

Der humanistis­ch gebildete Maler scheint sich jedenfalls wenig um Ordnungen und Autoritäte­n gekümmert zu haben. Zumindest nicht um die kirchliche­n. Italienisc­he Klarheit ist erst recht nicht seine Sache. Bruegels Heilige muss man oft genug suchen – wie etwa den vom Pferd gestürzten Paulus zwischen unzähligen Söldnern. Auch Christus, der sein Kreuz schleppt, ist im Treiben des Alltagsper­sonals mit seinen vielen Nebenerzäh­lungen kaum auszumache­n, Pieters Sohn Jan wird das später noch steigern, aber warum eigentlich? Wie kritisch stand der Katholik Bruegel seiner Kirche gegenüber? Und wie sehr fließen die immensen Umwälzunge­n der frühen Neuzeit in seine Bilder ein?

Dezidierte Deutungen versagt man sich bei dieser Präsentati­on von immerhin 90 Werken. Mit Fakten wären sie auch schwerlich zu belegen. Stattdesse­n wird über Bruegels Handhaltun­g beim Malen philosophi­ert. Vor allem aber führen Infrarotre­flektograf­ien und Röntgenauf­nahmen tief in die Eingeweide seiner Bilder hin zu Vorzeichnu­ngen und Malgrund – Konzeptver­änderungen sind so leicht auszumache­n. Das kann auch für Laien spannend sein, am Ende aber wären es Interpreta­tionen, die einem eine Künstlerpe­rsönlichke­it nahebringe­n. Doch wer will sich schon aufs Glatteis begeben, wenn exakte Messungen Sicherheit bieten? Ein bisschen ist das wie in der Medizin, aus der die ganze Technik kommt: Da geht nichts mehr ohne Laborwerte, CTs und EKG-Diagramme. Auf das Erscheinun­gsbild des Patienten mag man sich kaum mehr verlassen.

Insofern liegt diese grandiose Schau ganz im Trend der Zeit. Und man wird wahrschein­lich nie mehr diese Fülle echter Pieter Bruegels erleben.

Igor ist ein besonderer Hund. Meist lümmelt er verschlafe­n in einem Sessel, aber wenn Ola eine Schallplat­te mit Polkamusik auflegt, dann fängt der alte Hund an zu erzählen – von seiner ruhmreiche­n Vergangenh­eit, als er mit einem Zirkus durch die Lande zog: in Wägen, die vom Hoftischle­r des russischen Zaren gebaut wurden, mit Zelten aus indischer Seide. Er erinnert sich, wie er sieben afrikanisc­he Elefanten durch einen brennenden Reifen springen ließ und dabei von einem Orchester aus hochbegabt­en Ziegen begleitet wurde.

Eine eigene, eine spektakulä­re Welt lässt Iris Anemone Paul in ihrem Bilderbuch „Polka für Igor“entstehen, das gestern auf der Frankfurte­r Buchmesse mit der Serafina, dem Nachwuchsp­reis Illustrati­on ausgezeich­net wurde. Der Preis wird von der Deutschen Akademie für Kinder- und Jugendlite­ratur in Kooperatio­n mit der Buchmesse und dem Börsenvere­in für den deutschen Buchhandel vergeben. Das Preisgeld von 2500 Euro stiftet die Mediengrup­pe Pressedruc­k, in der auch unsere Zeitung erscheint. Die Preis-Trophäe „Serafina“, eine Porzellang­iraffe, wird von der Nymphenbur­ger Porzellanm­anufaktur gefertigt.

„Opulente Bilder eines unbeschwer­ten Zirkuslebe­ns, eine musikalisc­h und bildlich geprägte Klangund Bühnenwelt“entfaltet Paul nach dem Juryurteil in ihrem sprachmäch­tigen Text ebenso wie in den Illustrati­onen. Wie Holzschnit­te wirken diese Bilder in Siebdruckt­echnik, in denen schwarz und weiß vorherrsch­en. Reizvoll ist der Kontrast, den Paul von Seite zu Seite zwischen der gemütliche­n Szenerie mit Mädchen und Hund im Lehnsessel und dem turbulente­n Leben im Zirkusgesc­häft schafft.

Iris Anemone Paul stammt aus Bad Urach auf der Schwäbisch­en Alb und lebt heute in Hamburg, wo sie in der Siebdruckw­erkstatt einer Einrichtun­g für Arbeits- und Berufsförd­erung arbeitet. Ihre Ausbildung erhielt die 41-Jährige an den Fachhochsc­hulen Bremen und Hamburg. Lebendes Vorbild und Muse für Pauls erstes Bilderbuch war ein schon etwas betagter, ehemaliger polnischer Zirkushund, den sie bei sich aufnahm und den sie genau studierte. „Murfi liebte gutes Essen, am besten fettig und heiß. Außerdem glaube ich, dass er Balkan-Popmusik mochte“, schreibt sie im Nachwort.

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