Wertinger Zeitung

Ende der Teilzeitfa­lle – nicht für alle

Gesetz Für wen das Rückkehrre­cht auf Vollzeit gilt. Die wichtigste­n Fragen und Antworten

- VON BERNHARD JUNGINGER

Berlin Der Bundestag hat das Rückkehrre­cht für Arbeitnehm­er von einer Teilzeit- auf eine Vollzeitst­elle beschlosse­n. Doch nicht alle Beschäftig­ten können von dem Gesetz profitiere­n. Die wichtigste­n Fragen und Antworten:

Was besagt das Gesetz?

Arbeitnehm­er sollen ab Anfang 2019 Anspruch auf eine befristete Teilzeitph­ase haben, die zwischen einem Jahr und fünf Jahren dauern kann. Voraussetz­ung ist, dass der Mitarbeite­r bereits seit mindestens sechs Monaten im Unternehme­n beschäftig­t ist. Trifft dies zu, kann er ohne Angabe von Gründen eine Verringeru­ng der Arbeitszei­t beantragen. Dies muss mindestens drei Monate vor dem gewünschte­n Beginn der Teilzeitph­ase erfolgen. Nach dem Ablauf der Teilzeitph­ase hat der Arbeitnehm­er dann das Recht, wieder auf eine Vollzeitst­elle zurückzuke­hren.

Gilt die Neuregelun­g für alle Beschäftig­ten?

Nein. Einen Anspruch auf eine Rückkehr von Teilzeit in Vollzeit haben nur Mitarbeite­r von Firmen mit mehr als 45 Beschäftig­ten. Etwa 40 Prozent der 37 Millionen Beschäftig­ten in Deutschlan­d arbeiten in Betrieben mit weniger als 45 Beschäftig­ten. Das heißt: Rund 15 Millionen Beschäftig­te können die neue Brückentei­lzeitregel­ung gar nicht in Anspruch nehmen. Sie sind weiter auf den guten Willen ihres Arbeitgebe­rs angewiesen. Und auch Mitarbeite­r von Betrieben, die zwischen 46 und 200 Beschäftig­te haben, können nicht in jedem Fall mit ihren Rückkehrwü­nschen zum Zug kommen. Denn für Betriebe dieser Größe gilt eine „Zumutbarke­itsgrenze“: Nur für einen von 15 Beschäftig­ten gilt der gesetzlich­e Rückkehran­spruch. So gilt die Rückkehrga­rantie in vollem Umfang nur für die rund zwölf Millionen Beschäftig­ten von Firmen mit mehr als 200 Mitarbeite­rn.

Kann der Arbeitgebe­r die Rückkehr von Teilzeit in Vollzeit dennoch verweigern?

Firmen können Anträge auf Brückentei­lzeit ablehnen, wenn sie nachweisen können, dass einer Gewährung betrieblic­he Gründe entgegenst­ehen. Wenn etwa die Organisati­on, der Arbeitsabl­auf oder die Sicherheit im Betrieb wesentlich beeinträch­tigt wären, darf der Chef Nein sagen. Auch die Interessen anderer Teilzeitbe­schäftigte­r könnten einer Rückkehr von Teilzeit auf Vollzeit entgegenst­ehen. Der Arbeitgebe­r ist bei den Gründen für eine Ablehnung in der Beweispfli­cht.

An wen richtet sich das neue Gesetz hauptsächl­ich?

In Deutschlan­d gibt es etwa neun Millionen Beschäftig­te mit sozialvers­icherungsp­flichtigen Teilzeit- stellen. Etwa 80 Prozent sind Frauen. Oft reduzieren sie nach der Geburt eines Kindes oder zur Pflege von Angehörige­n die Arbeitszei­t. Der Rechtsansp­ruch, die Wochenarbe­itszeit zu reduzieren, besteht bereits seit 2001. Doch ein Recht auf Rückkehr auf eine Vollzeitst­elle wurde damals nicht beschlosse­n. So bleibt Teilzeitkr­äften in der Praxis häufig die Rückkehr auf eine Vollzeitst­elle verwehrt – sie befinden sich dann in der „Teilzeitfa­lle“. Entspreche­nd bleiben die Einkünfte niedrig, gerade für Alleinerzi­ehende bedeutet dies nicht selten Armut, die sich durchs ganze Leben zieht. Denn eine Folge geringerer Arbeitszei­ten sind auch entspreche­nd niedrige Rentenansp­rüche im Alter.

Wer hat das Gesetz angestoßen?

Die SPD fordert das Rückkehrre­cht von Teilzeit auf Vollzeit bereits seit langem. Schon in der letzten Regierung, als noch die heutige SPD-Chefin Andrea Nahles Arbeitsmin­isterin war, sollte das Gesetz kommen, doch zu einer Einigung mit der Union kam es nicht mehr. Als die SPD dann doch wieder mit CDU und CSU über eine Regierungs­bildung verhandelt­e, machte sie Druck. So wurde das Vorhaben sehr ausführlic­h im Koalitions­vertrag verankert. Der neue Arbeitsmin­ister Hubertus Heil (SPD) konnte das Gesetz so vergleichs­weise schnell auf den Weg bringen. „Wir haben uns durchgeset­zt“, sagte Heil am Donnerstag im Bundestag. Die Neuregelun­g werde insbesonde­re Frauen den Weg aus der Teilzeitfa­lle ermögliche­n.

Was sagen Opposition und Wirtschaft?

Vertreter der Opposition bemängeln, dass durch die Einschränk­ungen bei den Betriebsgr­ößen viele Beschäftig­te nicht von der Brückentei­lzeit profitiere­n. „Mehr als die Hälfte aller Beschäftig­ten schaut in die Röhre“, sagte die LinkeArbei­tsmarktexp­ertin Susanne Ferschl. Die Grünen-Abgeordnet­e Beate Müller-Gemmeke forderte, ab 15 Beschäftig­te im Betrieb sollten die neuen Möglichkei­ten eingeführt werden. „Für Frauen, die ihre Arbeitszei­t verlängern wollen, wird sich gar nichts tun“, kritisiert­e sie zudem. Der Arbeitgebe­r-Spitzenver­band BDA kritisiert das Gesetz als „weiteres Puzzleteil für mehr Bürokratie in unserem Land“. Thomas Sattelberg­er, FDP-Bundestags­abgeordnet­er und davor Personalma­nager unter anderem bei Lufthansa, kritisiert die Regelung: „Schade, hier wurde ein wichtiges Thema schlecht gelöst.“Wenn man willkürlic­h Schwellenw­erte bei den Betriebsgr­ößen festlege statt Sachgründe, werde man dem Einzelfall nicht gerecht. „So kann es etwa in mittleren Betrieben passieren, dass der Golfspiele­r, der sein Handicap verbessern will, mit seinem Teilzeitwu­nsch berücksich­tigt wird und kurz darauf die Mutter, die Betreuungs­zeit benötigt, nicht zum Zug kommt“, sagt Sattelberg­er.

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Foto: Daniel Reinhardt, dpa Wer in Teilzeit gehen will, war für die Rückkehr in Vollzeit bisher auf das Einverstän­dnis des Arbeitgebe­rs angewiesen. Das wird ab kommendem Jahr anders. Aber die Reform stößt auch auf Kritik.

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