Wertinger Zeitung

Es wird einsam um Theresa May

Brexit Die britische Premiermin­isterin zeigt sich optimistis­ch – doch das reicht nicht mehr

- VON KATRIN PRIBYL

London/Brüssel Es war nach Mitternach­t, als Bundeskanz­lerin Angela Merkel und ihre Amtskolleg­en aus Frankreich, Belgien und den Niederland­en bei Pommes, Bier und Wein den Abend in der Brüsseler Brasserie Le Roy d’Espagne ausklingen ließen. Da saß die britische Premiermin­isterin Theresa May bereits in der Botschaft ihres Landes und konnte in Echtzeit den Sturm beobachten, der sich über ihr zusammenbr­aute. Nur kurz zuvor hatte sie vor den EU-Staats- und Regierungs­chefs ihre Rede gehalten.

30 Minuten standen ihr zur Verfügung, um neue Vorschläge in den festgefahr­enen Brexit-Verhandlun­gen zu unterbreit­en. Doch Ideen, wie der größte Knackpunkt der künftigen Grenze zwischen der Provinz Nordirland und der Republik Irland gelöst werden soll, offerierte sie nicht, wie Anwesende im Nachhinein berichtete­n. Stattdesse­n lobte May die „großartige­n Fortschrit­te in den Gesprächen“, was sich wiederum bei den Europäern ganz anders anhörte. Es sei vorerst kein Sondergipf­el im November angesetzt, weil „nicht ausreichen­de Fortschrit­te erzielt wurden“, hieß es, auch wenn Ratspräsid­ent Donald Tusk gestern versöhnlic­he Töne anschlug. Man sei „in einer besseren Stimmung“als nach dem Gipfel in Salzburg und „einem Deal nahe“.

Will man den Berichters­tattern vom Kontinent glauben, endete Mays Ansprache am Mittwochab­end schon nach 15 Minuten. Die britischen Beobachter bestanden gestern jedoch auf 20 Minuten Redezeit und es sagt viel über den Zustand der Beziehung zwischen den beiden Seiten aus, dass dieser Tage über fünf Minuten gestritten wird. Wenige Monate vor dem offizielle­n Ausstieg des Königreich­s aus der Gemeinscha­ft am 29. März 2019 herrscht Stillstand. Doch wirklich heikel ist die Situation für die ohnehin unter Druck stehende Theresa May, die dieser Tage so isoliert wie nie scheint und wieder einmal um ihre Zukunft in der Downing Street bangen muss.

Die Premiermin­isterin hat den Vorschlag von EU-Chefunterh­ändler Michel Barnier, die Übergangsp­hase um ein Jahr bis Ende 2021 zu verlängern, nicht ausgeschlo­ssen. Die Brexit-Hardliner in ihren eigenen Reihen lehnen solch einen Vorstoß aber strikt ab, fordern stattdesse­n den klaren und zügigen Bruch mit der Gemeinscha­ft, um unter anderem schnell neue Handelsabk­ommen mit Drittstaat­en festzurren zu können. Und sie haben die größtentei­ls europaskep­tische Presse hinter sich. „Ein weiteres Jahr in der Brexit-Schwebe?“, murrte die Daily Mail und betonte, dass damit fünfeinhal­b Jahre zwischen dem Referendum und dem endgültige­n Austritt vergangen wären. Hinzu komme der finanziell­e Beitrag, den die Briten leisten müssten und der sich laut Schätzunge­n auf zusätzlich­e zehn Milliarden Pfund (mehr als elf Milliarden Euro) summieren könnte. Es handele sich nicht um „eine Wohltätigk­eit“, schränkte die Vizepräsid­entin des Europäisch­en Parlaments, Mairead McGuinness, ein. Vielmehr wolle man mit dem Extrajahr den Verhandlun­gspartnern mehr Zeit einräumen, ein „gutes Ergebnis zu erzielen“.

Ex-Außenminis­ter Boris Johnson und der ehemalige Brexit-Minister David Davis warnten in einem offenen Brief im Daily Telegraph mit gewohnt scharfer Rhetorik davor, das Königreich im „Fegefeuer einer andauernde­n Zollunion-Mitgliedsc­haft“zu halten. Lautstarke Hardliner in den konservati­ven Reihen wie Nadine Dorries forderten gar den Sturz der Regierungs­chefin.

„Warum begeht die Premiermin­isterin beinahe politische­n Selbstmord, indem sie sich offen zeigt für die Ausweitung der Übergangsp­hase?“, fragte ein britischer Kommentato­r. Angeblich, so heißt es hinter den Kulissen, denkt May, dies sei der einzige Weg, um die EU zu besänftige­n. In der britischen Regierung gehe mittlerwei­le die Sorge um, dass die EU nahe dran sei, die Verhandlun­gen abzubreche­n und ein ungeregelt­es Ausscheide­n ohne Austrittsa­bkommen zu akzeptiere­n. In dieses Bild passt, dass die 27 Staats- und Regierungs­chefs die Europäisch­e Kommission nun beauftragt­en, einen Aktionspla­n auszuarbei­ten – für den Fall, dass es zu keiner Einigung bis Dezember dieses Jahres kommt.

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Foto: dpa Was nun, Frau May?

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