Kaeser muss vor Ort Haltung zeigen
Einfach zu Hause bleiben, wenn es unangenehm werden könnte, kann eine sehr bequeme Art sein, Haltung zu zeigen. Das Risiko, mit dieser Art des Nichthandelns einen Fehler zu machen, ist deutlich geringer als ein mutiges Auftreten oder sich Einmischen. Wäre Joe Kaeser ein Mann, der Probleme am liebsten aussitzt, wäre er jemand, der das Risiko und falsche Entscheidungen fürchtet, lieber abwartet, bis sich die Dinge von selber lösen, wäre
Joe Kaeser niemals Vorstandschef von Siemens geworden.
Auf dem saudi-arabischen Kronprinzen Mohammed bin Salman lastet seit dem Verschwinden des Regimekritikers Dschamal Kaschoggi ein monströser Verdacht: Ist der 33-jährige saudische Königssohn kein Reformer, als der er sich inszeniert, sondern ein Schlächter, der seine Kritiker auf bestialische Weise zu Tode foltern lässt? Seit dem Tod Kaschoggis haben viele Manager abgesagt, an Salmans arabischem Wirtschaftsgipfel teilzunehmen, der auch „Davos in der Wüste“genannt wird.
Kaeser steht nun in der Kritik, weil er sich Bedenkzeit erbeten hat. Doch der Siemenschef sollte, ganz wie es seiner Art entspricht, den unbequemen Weg wählen und – vor Ort Haltung zeigen. Wie kein anderer Konzernchef vor ihm hat Kaeser klar gegen den offenen Fremdenhass der AfD Stellung bezogen. Und es ist kein Zufall, dass seit seiner Regentschaft erstmals bei einem Dax-Konzern mit Personalvorstand Janina Kluge eine Frau als Nummer zwei Siemens nach außen vertritt.
So wie Siemens heute für europäische Ingenieurskunst in Sachen Umweltschutz und Nachhaltigkeit steht, sollte Kaeser auf der Konferenz die europäischen Werte von Demokratie, Menschenwürde und Pressefreiheit zum Ausdruck bringen und ein Signal ins im Umbruch befindliche saudische Königreich senden. Dies ist eigentlich nicht die Aufgabe eines Industriekapitäns, sondern eines deutschen Außenministers. Doch die politische Blässe und das bequeme Wegducken von Heiko Maas verkörpert die Schwäche der Bundesregierung und der deutschen Sozialdemokratie. Michael Pohl