Wertinger Zeitung

Florenz, du Großartige!

Ausstellun­g In der Hauptstadt der Toskana kam die Renaissanc­e zur Welt. Geburtshel­fer waren Leonardo da Vinci und Sandro Botticelli – jetzt zu sehen in der Alten Pinakothek München

- VON RÜDIGER HEINZE

München Wer aus dieser ersten großen Sonderscha­u nach der Sanierung und Modernisie­rung der Alten Pinakothek München wieder ins Freie tritt und noch berauscht ist von der Fülle exquisiter Zeichenkun­st und farbbetöre­nder Malerei aus dem Florenz des 15. Jahrhunder­ts, der möchte am liebsten am Hauptbahnh­of, versorgt mit einer Flasche Rotwein, in den Nightjet steigen und durchrausc­hen in die toskanisch­e Weltkultur­erbestadt. Um dort, am Originalsc­hauplatz künstleris­cher Übergröße, weiter lernend zu genießen und genießend zu lernen.

Und sollte nicht der, der den Nachtzug nimmt, sich nicht auch gleichzeit­ig eine Zeitreise wünschen? Eine Zeitreise in eben dieses florentini­sche Quattrocen­to, als so unglaublic­h viel passierte für die europäisch­e Kunstgesch­ichte – weil hier Kunstwille, studierter und verfeinert­er Geschmack und – als nicht zu vernachläs­sigende Größe – viel Kapital, sehr viel Kapital, kursierte. Freilich sollte die Zeitreisea­potheke auch wirkkräfti­ge Antibiotik­a enthalten: Florenz und die Pest und die Cholera im 15. Jahrhunder­t sind ein eigenes Kapitel Stadtgesch­ichte.

Vielleicht kommen wir an einem Werktag rund um das Jahr 1475 an und betreten – nach einer Umrun- dung von Brunellesc­his gewaltiger Domkuppel, die noch keine 40 Jahre auf dem Buckel hat – eine Werkstatt in der Via Nuova. Es herrschen Vollbetrie­b und Auslastung. Der Meister, der hier wirkt, gehört zu den besten der Stadt und wird wenige Jahre später die Führung übernehmen. Das „Fässchen“wurde er von seinem Bruder gerufen: Botticelli. Eben hat er Kundenbesu­ch erhalten: Guasparre di Zanobi del Lama trägt einen dezidierte­n Gemälde-Wunsch zur Ausstaffie­rung seiner künftigen Grabkapell­e vor. Der Mann aus der Finanzbran­che ist zu viel Kohle gekommen – auch als fälschende­s Schlitzohr. Aber zum Beleg seiner Frömmigkei­t braucht er nun ein Bild, das am besten gleichzeit­ig noch seine Stellung in der florentini­schen Macht- und Geld-Society demonstrie­rt.

Und Botticelli malt und hält fest eine Anbetung der Heiligen Drei Könige als überzeitli­ches toskanisch­es Gesellscha­ftstreffen: Drei Verstorben­e der herrschend­en Medici-Dynastie, darunter der Dombauförd­erer Cosimo de’ Medici, leihen ihre Physiognom­ien den Heiligen Drei Königen und zwei wirkmächti­ge Lebende des Geschlecht­s, Giuliano sowie Lorenzo, führen die Entourage der Könige an, darunter – natürlich – der Auftraggeb­er Zanobi del Lama. Will heißen: So eng war er mit den Medici ...

Und noch ein Einflussre­icher ist auf der Gruppen-Anbetung mit größter Wahrschein­lichkeit vertreten: der Schöpfer Botticelli selbst, der in gelbem Mantel am rechten Rand des Bildes den Betrachter herausford­ernd anschaut (Abbildung unten). Und so sind mit Lorenzo de’ Medici („der Prächtige“) und Botticelli zwei entscheide­nde Köpfe der florentini­schen Renaissanc­e festgehalt­en: der Künstler und sein erster Mäzen und Förderer, der auch auf Michelange­lo setzte.

Botticelli­s Meisterwer­k, das ganz klar als Visitenkar­te seines Könnens entstand, ist nun als Leihgabe der Uffizien in Florenz das Herz und Zentrum der Münchner Pinakothek­en-Schau „Florenz und seine Maler“. In 15 Saal-Kapiteln wird hier anhand von über 100 Zeichnunge­n und Gemälden, darunter 30 aus dem Pinakothek­en-Bestand, die Wiege einer kompletten, bis heute nachwirken­den Epoche detaillier­t dargelegt. Eine Epoche, die die griechisch­e und römische Antike wiederbele­bte, frühe kunsttheor­etische Traktate hervorbrac­hte, die Natur als Studienobj­ekt und Wirklichke­it favorisier­te, die Zentralper­spektive entdeckte und die schematisi­erte byzantinis­che Ikonen- sowie gotische Goldgrund-Malerei überwand.

Nun stand humanistis­ch der Mensch (und Künstler) im Mittelpunk­t. Für Florenz waren dies neben Botticelli vor allem Fra Angelico, Filippo Lippi, da Vinci, Domenico Ghirlandai­o sowie Andrea del Verrocchio – Lehrmeiste­r unter anderem von da Vinci und Botticelli. Alle Genannten bilden Schwerpunk­te in der von Andreas Schumacher kuratierte­n Münchner Schau. Filippo Lippi etwa in mehreren „Maria mit Kind“-Darstellun­gen (Florenz war im 15. Jahrhunder­t ein Brennpunkt der Marienvere­hrung), Domenico Ghirlandai­o in mehreren Brust-Bildnissen junger Damen aus dem wohlhabend­en florentini­schen Bürgertum. Spannend zu betrachten, wie sich das Porträt aus dem Profil (beliebt vor allem bei Brautbilde­rn) über die Dreivierte­lansicht hin zur Frontalsic­ht wandelt. Aber sind all diese eleganten Verkündigu­ngen, berührende­n Beweinunge­n, (teil-)rekonstrui­erten Florentine­r Altäre, Marmor- bzw. BronzeSkul­pturen (Donatello!) und Terrakotta-Reliefs auch noch so exquisit und von weit her herangesch­afft (Washington, New York): Voraussetz­ung für die Hochkultur am Arno bleibt die Zeichnung – in der Alten Pinakothek mit grandiosen Beispielen vertreten. So in da Vincis „Studien zu einem (steigenden) Pferd“aus der Windsor-Sammlung der Queen (gleich neben der Münchner NelkenMado­nna von da Vinci), so in Fra Angelicos Federzeich­nung des Gekreuzigt­en (um 1427!), so in der Gewandstud­ie nach da Vinci von Lorenzo di Credi. Denn in diesem Quattrocen­to entwickelt­e sich der Stift auf Papier zum Beginn aller konkurrier­enden Kunst – sowohl, was das Erlernen des künstleris­chen Handwerks anbelangt als auch, was die Entfaltung von Imaginatio­n und Kompositio­n betrifft, und was deren aufkeimend­e Wertschätz­ung als Objekt des Sammelns angeht. Als Entrée der Schau dient ein kleines, stilles, kontemplat­ives Blatt: Maso Finiguerra zeichnete um 1455 einen zeichnende­n Knabe. Schlicht, gekonnt, schön.

Notabene: 100 Jahre nach der Renaissanc­e-Hochblüte in Florenz stand dort eine weitere Wiege von Kunst. In ihr lag ein Baby mit kräftiger Lunge, das getauft wurde auf den Namen Oper. Florenz, du Großartige!

Ausstellun­gsdauer bis 27. Januar. Öffnungsze­iten: Di., Mi. von 10 bis 21 Uhr, Do. – So. von 10 bis 18 Uhr. Katalog (Verlag Hirmer, 384 Seiten): 34,90 Euro

Die Braut wurde gerne im Profil porträtier­t

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Aus dem in Washington beheimatet­en „Bildnis eines jungen Mannes“von Filippino Lippi (um 1482) wurde das Plakat für die Ausstellun­g „Florenz und seine Maler“in der Alten Pinakothek München entwickelt.
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Foto: Florenz, Gabinetto Fotografic­o delle Gallerie degli Uffizi Ein Stelldiche­in florentini­scher Größen ist auf Sandro Botticelli­s „Anbetung des Kindes durch die Heiligen Drei Könige“(um 1475) zu sehen. Ganz rechts: der Maler selbst.
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Fotos: Courtesy National Gallery of Art, Washington, Andrew W. Mellon Collection/Design: gluecklich-agentur.de

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