Wertinger Zeitung

Der Ersatzkanz­ler?

Norbert Röttgen meldet sich zu Wort – und zwar fast täglich. Ist das Zufall oder träumt da einer von Höherem?

- VON MICHAEL STIFTER

Augsburg Es beginnt ein paar Tage nachdem die Union der Kanzlerin recht kühl die Endlichkei­t ihrer Macht demonstrie­rt hat. Angela Merkels Vertrauter Volker Kauder ist als Fraktionsc­hef abgewählt, ganz Deutschlan­d spricht über die Kanzlerinn­endämmerun­g und Norbert Röttgen ist wieder da. „Dass sich politisch etwas ändern muss, ist mit Händen zu greifen. Es passiert aber nichts“, sagt der frühere Minister in einem Interview zum Niedergang der Volksparte­ien. Man kann das als gesellscha­ftspolitis­chen Appell verstehen – oder eben als Bewerbung in eigener Sache.

Norbert Röttgen ist 53. Das ist ein Alter, in dem manche Politiker ihre große Karriere noch vor sich haben und für andere alles schon wieder vorbei ist. Auf den CDU-Politiker könnte beides zutreffen. Mit Mitte 40 wird der Jurist Bundesumwe­ltminister. Sein Spitzname: „Muttis Klügster“. Da schwingt durchaus Anerkennun­g mit. Aber eben auch die Tatsache, dass Röttgen ein Mann ist, dem es schwerfäll­t, zu verbergen, wenn er sich anderen überlegen fühlt. Und das passiert regelmäßig. Schon als Kind soll er sich lieber in Büchern vergraben haben als mit anderen zu spielen. Auch als Politiker wird er zur IchAG. Er ist noch keine 30, als er in den Bundestag einzieht und von nun an scheint es immer nur bergauf zu gehen. Röttgen will die angestaubt­e CDU öffnen, ist Mitglied der legendären Pizza-Connection, in der Unionsleut­e mit Grünen beim Nobelitali­ener ausloten, ob nicht doch eines Tages eine Koalition drin wäre. Als Angela Merkel den Laden übernimmt, hat sie ihn längst auf dem Schirm. Doch sie wird den ehrgeizige­n Kollegen erst Jahre später ins Kabinett holen. Dort profiliert er sich schnell, denkt schon an die Energiewen­de, als Atomstrom noch zum Markenkern der Union gehört. Röttgen wird bereits als kommender Kanzler gehandelt, als er seinen ersten entscheide­nden Fehler macht.

Er will jetzt endlich an die Macht – wenn nicht in Berlin, dann wenigstens in seiner Heimat Nordrhein-Westfalen. Als amtierende­r Umweltmini­ster wirft er sich bei der Landtagswa­hl 2012 ins Rennen. Doch Röttgen will sich nicht festlegen, ob er auch dann in die Landespoli­tik wechselt, wenn es nicht für den Posten des Ministerpr­äsidenten reichen sollte. Er hält sich alle Türen offen – und kassiert eine derbe Niederlage. Kann dieser Mann jetzt noch Minister bleiben? Für Horst Seehofer ist die Antwort klar: In einem legendären Fernsehint­erview poltert der CSU-Chef los. Oder besser gesagt: Richtig in Fahrt kommt er erst, als der offizielle Teil schon vorbei ist, die Kameras aber noch laufen. Dass Röttgen sich nicht klar zu Nordrhein-Westfalen bekannt habe, sei ein ganz großer Fehler gewesen, schimpft der Bayer. Als ihm Moderator Claus Kleber erklärt, das sei nun eigentlich der spannendst­e Teil des Gesprächs gewesen, lächelt Seehofer maliziös und sagt: „Sie können das alles senden. Machen S’ a Sondersend­ung, also Servus, Wiederscha­uen, danke.“

Wenige Tage später sagt auch Merkel „Wiederscha­uen“und lässt ihren Minister fallen. Röttgen wird gefeuert, ist bitter enttäuscht und muss bei Null anfangen. Über sechs Jahre ist das her und der Politiker braucht lange, um sich zurück nach oben zu kämpfen. Als Chef des Auswärtige­n Ausschusse­s im Bundestag verschafft er sich Gehör. Doch so präsent wie in den vergangene­n Wochen war er lange nicht.

Nach seiner Abrechnung mit den Volksparte­ien fordert Röttgen mehr Kompromiss­bereitscha­ft der EU in den Brexit-Verhandlun­gen und dann auch noch einen sofortigen Stopp der deutschen Rüstungsex­porte nach Saudi-Arabien. Röttgen ist auf Dauersendu­ng. Und man mag nicht an einen Zufall glauben. Fakt ist: Seine Kritik am fehlenden Willen der Volksparte­ien, etwas gegen ihren Untergang zu tun, richtet sich auch gegen seine einstige Chefin Angela Merkel. Und seine alte Rechnung mit Horst Seehofer begleicht er quasi im Vorbeigehe­n, indem er nach der bayerische­n Landtagswa­hl als einer der ersten in der Union personelle Konsequenz­en an der CSU-Spitze fordert.

Schon zu Schulzeite­n sagte Norbert Röttgen, er wolle eines Tages Kanzler werden. Damals wurde er belächelt. Doch irgendwie scheint er immer noch daran zu glauben. Ein bisschen jedenfalls. Der einzige Haken: Röttgen ist möglicherw­eise der einzige, der Röttgen für die Zeit nach Merkel auf dem Zettel hat.

„Dass sich politisch etwas ändern muss, ist mit Händen zu greifen. Es passiert aber nichts.“

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Foto: dpa Der CDU-Politiker Norbert Röttgen ist auf Dauersendu­ng.

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