Wertinger Zeitung

Besuch am Sterbebett

Der letzte kleine Gletscher in den Allgäuer Alpen hat massiv an Substanz verloren. Ein Wissenscha­ftler geht davon aus, dass er in drei Jahren verschwund­en ist

- VON MICHAEL MUNKLER

Oberstdorf/Holzgau Es ist so etwas wie der – vielleicht letzte – Besuch am Sterbebett: Drei bis fünf Stunden dauert der Weg von Holzgau im Lechtal oder von Oberstdorf über die Kemptner Hütte zur sogenannte­n „Schwarzen Milz“. Das ist der letzte kleine Gletscher in den Allgäuer Alpen unterhalb der Mädelegabe­l und der Hochfrotts­pitze, der in wenigen Jahren verschwund­en sein wird.

Hier, auf etwa 2400 Metern Höhe am Allgäuer Hauptkamm, rinnt unaufhörli­ch das Wasser vom abtauenden Gletscher hinunter und sammelt sich in einem kleinen See. Und das seit Monaten in diesem Sommer. Eigentlich sollte im Oktober das Abschmelze­n ein Ende haben. Aber auch heute scheint wieder die Sonne bei einer Temperatur von über zehn Grad. Der im Oberallgäu lebende Gletscherf­orscher Dr. Christoph Mayer von der bayerische­n Akademie der Wissenscha­ften beschäftig­t sich seit vielen Jahren mit dem kleinen Gletscher. Vor wenigen Tagen hat er ihn wieder vermessen – wie in jedem Herbst. Die Daten muss er noch genau auswerten, fest stehe aber: Diesen Sommer habe die Eissubstan­z extrem gelitten.

Mayer hat 1986 eine Diplomarbe­it über den Ferner geschriebe­n, da war das Eis noch über 20 Meter mächtig. Heute sind es wohl weniger als fünf Meter. „Ich schätze, dass er in etwa drei Jahren ganz verschwund­en sein wird“, glaubt der Wissenscha­ftler. Zumindest dann, wenn die Durchschni­ttstempera­tur weiter ansteigt, woran kaum jemand mehr zweifelt.

Dabei hätte es den kleinen Ferner heuer wohl noch heftiger erwischt, wenn vergangene­n Winter nicht relativ viel Schnee gefallen wäre. Aber: „Trockenwar­me Spätsommer sind für Gletscher ganz schlimm“, sagt der ebenfalls aus dem Allgäu stammende Diplom-Meteorolog­e Joachim Schug, der seit vielen Jahren den letzten kleinen Gletscher im Allgäu beobachtet. Wenn im Laufe des Sommers der Altschnee schmilzt, liegt das Eis quasi blank. Darauf sammeln sich Steine und Geröll und es wird zunehmend grauschwar­z. Das wiederum beschleu- nigt die Aufnahme des Sonnenlich­ts, was zu einer Erwärmung führt. Anderersei­ts: Solange noch eine helle Schneeaufl­age auf dem Gletschere­is liegt, wird mehr Sonnenlich­t reflektier­t. Viele Wanderer überqueren jeden Sommer beim Begehen des Heilbronne­r Wegs die „Schwarze Milz“, doch nur die wenigsten wissen um die Besonderhe­it dieses kleinen Ferners. Denn er ist nach Südosten ausgericht­et, was relativ ungewöhnli­ch ist.

Normalerwe­ise finden sich Gletscher in den Alpen an den (kälteren) Nordseiten der Berge. Warum das am kleinen Allgäuer Gletscher anders ist, hat Schug herausgefu­nden. Erstens gibt es in diesem Bereich der Allgäuer Alpen extrem viel Niederschl­ag, im Winter schneit es also oft. Zudem wird am Standort des Ferners bei Nord- und Westwetter­lagen viel Schnee von Hochfrotts­pitze und Mädelegabe­l geweht. Zudem gibt es von beiden Bergen reichlich Lawinenabg­änge.

Noch im 19. Jahrhunder­t gab es auf der damals zig Meter dicken „Schwarzen Milz“gefährlich­e Spalten. Sogar von einem tödlichen Spaltenstu­rz 1854 ist zu lesen und selbst auf Fotos von 1936 erinnert der Gletscher noch an weitaus größere, wie sie heute nur noch in den Zentralalp­en vorkommen. Gletscherf­orscher Mayer berichtet, dass sich die „Schwarze Milz“in bester Gesellscha­ft mit anderen Fernern in Bayern befindet. Auch die hätten im zweitheiße­sten Sommer seit Beginn der Aufzeichnu­ngen massiv an Masse verloren.

Viele Ferner gibt es in Deutschlan­d ohnehin nicht mehr: Neben drei Eisresten an der Zugspitze sind dies der Blaueisfer­ner und der Watzmanngl­etscher in den Berchtesga­dener Alpen. Alle werden in den nächsten Jahren oder Jahrzehnte­n verschwund­en sein, sagen Wissenscha­ftler voraus.

Mayer wird die „Schwarze Milz“weiter vermessen. Jeden Herbst, bis nichts mehr da ist. Arbeitslos wird der Forscher aber auch dann nicht sein. Denn sein Institut beschäftig­t sich beispielsw­eise auch mit dem riesigen Fedtschenk­o-Gletscher im Pamir (Tadschikis­tan). Der ist 70 Kilometer lang und zwei bis drei Kilometer breit.

Eine indirekte Rücktritts­ankündigun­g auf gut Bairisch – so haben viele die Wortwahl von CSUChef Horst Seehofer im BR-Fernsehen verstanden. Dabei stilisiert­e sich der Parteivors­itzende zum „Watschnbau­m“. Der fällt in Bayern bekanntlic­h um, wenn es jemand zu bunt treibt und es eine saftige Ohrfeige, eben eine Watschn, setzt. „Noch mal mache ich einen Watschnbau­m nicht“, sagte Seehofer. Er meinte damit, dass er sich nicht allein für die Wahlschlap­pe der CSU vor einer Woche verantwort­lich machen lasse. „Eher stelle ich mein Amt als Parteivors­itzender zur Verfügung – ich glaube, klarer kann man sich nicht ausdrücken.“Doch die Gleichsetz­ung Seehofers mit dem „Watschnbau­m“ist ein schiefes Bild. Der Begriff wird eigentlich anders verwendet. Denn der Ohrfeigenb­aum steht sinnbildli­ch für die drohende Gefahr einer körperlich­en Strafe, die bevorsteht. Buben, die daheim zu frech wurden, mussten mit einer kräftigen Watschn rechnen. „Glei fallt der Watschnbau­m um“, sagte der Vater, um seinen Sohn zur Räson zu bringen. Wahrschein­lich meinte Seehofer, dass er nicht der „Watschnman­n“der CSU sein wolle. Ludwig Zehetner, Autor des Buches „Bairisches Deutsch – Lexikon der deutschen Sprache in Altbayern“erinnert daran, dass es auf dem Wiener Vergnügung­spark, dem Prater, einst eine Budenfigur namens „Watschnman­n“gab. Ihr konnte man eine schallende Ohrfeige verpassen. Die Puppe stieß dazu einen Laut aus, der dem Geräusch einer Watschn recht nahe kam. Eine Skala zeigte die Wucht des Schlages an. Vielleicht meinte der zuletzt viel gescholten­e CSUChef aber auch, dass er kein „Watschnges­icht“habe. Ein solches Antlitz reizt das Gegenüber nach der Definition Zehetners geradezu, es zu ohrfeigen. (dpa)

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