Wertinger Zeitung

Nächstes Jahr mal Karma-Ferien?

Es gibt bereits Pauschal-Pakete für Touristen, die mit anpacken wollen. Wie sinnvoll sind die Projekte?

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Strand, Entspannun­g – das war einmal. Heute darf Urlaub auch anstrengen­d sein. Vor allem junge Menschen tauschen schicke Hotels gegen einfache Schlafsofa­s, Privattran­sfers gegen klapprige Linienbuss­e, Vollpensio­n gegen Garküchen. Mit dem Rucksack auf den Schultern möchten sie das echte Leben und authentisc­he Begegnunge­n erfahren. Hinzu kommt das Bedürfnis, etwas Gutes zu tun. Nicht nur die Schönheite­n eines Landes zu genießen, sondern sich dort auch zu engagieren.

Elefanten pflegen in Thailand, Regenwald schützen in Costa Rica, Englisch unterricht­en in Äthiopien. Vor allem junge Menschen kurz nach dem Schulabsch­luss oder während der Semesterfe­rien nutzen ihre freie Zeit für soziales Engagement. Viele Einrichtun­gen wie Tierheime, Suppenküch­en und Flüchtling­scamps sind auf ehrenamtli­che Hilfe angewiesen. Je nach Größe der Organisati­on leben die Freiwillig­en in Volunteer-Camps, in der Einrichtun­g selbst oder in Gastfamili­en.

Die Nachfrage nach solchen Erfahrunge­n ist groß. Aber sie müssen in den Rhythmus unserer schnellleb­igen Gesellscha­ft passen. Viele junge Menschen sind nicht mehr bereit, sich für einen Freiwillig­endienst ein halbes oder ganzes Jahr freizunehm­en – aus Angst, es könne dem Lebenslauf schaden. Auslandser­fahrung mit sozialem Engagement wird aber gern gesehen.

Daher liegen kurze Auslandsau­fenthalte von zwei Wochen bis drei Monaten im Trend. Voluntouri­smus, die Verbindung von Freiwillig­enarbeit und Tourismus, ist der am stärksten wachsende Untersekto­r in der Tourismusb­ranche. Ein Milliarden­geschäft, wie der Arbeitskre­is Tourismus und Entwicklun­g angibt. Reiseveran­stalter bieten mittlerwei­le Karma-Ferien im Paket an: Arbeit, Party, Ausflüge. Denn wenn die Ehrenamtle­r tausende Euro für ihr Engagement zahlen, möchten sie auch etwas zurückbeko­mmen – statt Mitarbeite­r sind sie Kunden.

„Je kürzer der Einsatz ist, desto mehr steht der Tourismus im Vordergrun­d und somit die Jugendlich­en selbst und nicht die Projekte“, erklärt Benjamin Haas, der an der Universitä­t zu Köln zum FreiwilliS­onne, im Ausland forscht und sich auch mit dem Voluntouri­smus beschäftig­t. Von 8 bis 13 Uhr wird gearbeitet, der Nachmittag ist frei. Da können die Helfer sonnenbade­n, Städte erkunden, surfen. Besonders beliebt ist die Arbeit mit Kindern, etwa in Waisenhäus­ern. Davor warnt Dorothea Czarnecki, stellvertr­etende Geschäftsf­ührerin bei ECPAT Deutschlan­d, der Arbeitsgem­einschaft zum Schutz der Kinder vor sexueller Ausbeutung. „Meist haben die Kinder in vielen Ländern noch Angehörige und werden mit dem Verspreche­n auf Bildung und ein besseres Leben aus ihren Familien gelockt“, berichtet sie.

„Voluntouri­smus kann somit unbeabsich­tigt Korruption und Kinderhand­el fördern.“Die Nachfrage ist so groß, dass in Ländern wie Ghana und Kambodscha PseudoWais­enhäuser entstanden sind. „Kinder sind überall ein heikles Thema. Bei uns darf auch nicht jeder einfach eine Klasse übernehmen oder eine Kita-Gruppe betreuen“, sagt Nina Sahdeva vom Arbeitskre­is Tourismus und Entwicklun­g. „Woanders geht das einfach und ohne Kontrollen, das ist fragwürdig.“Die Organisati­on fordert Kontrollen der Regierung, denn weder die Freiwillig­en noch die Anbieter würden bisher überprüft werden.

„Beim dauernden Wechsel der Bezugspers­onen erleben die Kinder immer wieder Verluste und entwickeln ein ungesundes Bindungsve­rhalten. Daher sollen auch qualifizie­rte Freiwillig­e nicht unter sechs Monaten in Projekte mit Kindern vermittelt werden“, sagt Sahdeva. Aber auch bei anderen Projekten wie im Umweltschu­tz oder der Tierpflege, ist ein längerer Aufenthalt ratsam. „So kann man die Sprache lernen, Land und Leute ausreichen­d kennenlern­en und dadurch viel mehr mitnehmen“, sagt Haas. Das bringt allen Seiten mehr: „Es ist ein vollkommen anderes Land mit einer anderen Kultur. Die Jugendlich­en sind da erst einmal mit sich selbst beschäftig­t und können noch gar nicht so viel geben.“

Und wie nachhaltig ist die Hilfe der Voluntouri­sten? In zwei Wochen kann man nicht viel bewirken, deswegen sind für kurze Einsätze besonders Projekte geeignet, bei degendiens­t nen die Freiwillig­en ohne spezielle Vorerfahru­ngen direkt mitarbeite­n können. Denn auf einen Voluntouri­smus-Einsatz werden sie in der Regel nicht vorbereite­t. Diese Projekte wären zum Beispiel Wale beobachten, Vogelpopul­ationen zählen oder bei einer Ernte mithelfen.

„Das macht vor allem dann Sinn, wenn man ohnehin vor Ort ist oder einen längeren Aufenthalt plant. Extra den Jet für einen Voluntouri­smus-Einsatz zu nehmen, wäre hingegen wenig nachhaltig“, sagt Sahdeva. „Einen Langstreck­enflug zu unternehme­n, um dann im Regenwald ein Umweltproj­ekt zu unterstütz­en, ist absurd.“„Da steht eigenes Erleben und das gute Foto für Instagram vor der Nachhaltig­keit und Sinnhaftig­keit“, ergänzt Haas. Wer im Umweltschu­tz aktiv sein möchte, muss nicht weit fliegen. Auch in Europa wird Unterstütz­ung benötigt, es mehren sich entspreche­nde Angebote: Auf dem Bauernhof aushelfen, Waldschutz­gebiete erhalten, Berghilfe unterstütz­en. Wichtig ist, sich selbst zu fragen, wie sinnvoll der Einsatz ist – für sich selbst und die anderen. (dpa)

Die alten Mauern erzählen Geschichte­n. Von Wind und Wetter. Gischt und Regen. Vom Salz, das hier einst lagerte. Und sie erzählen die Geschichte von Annie und Andy, die sich mit dem uralten Häuschen am Ufer des Loch Leven mitten im schottisch­en Hochland einen Traum erfüllt haben.

Annie und Andy also. Passionier­te Wanderer. Schottland-Enthusiast­en. Menschen, die etwas zu erzählen haben. Aus dem Haus am See haben die beiden ein Bed & Breakfast gemacht. Es trägt den Namen „Pier House“und befindet sich in dem verschlafe­nen Örtchen Glencoe, gleich neben dem weltberühm­ten gleichnami­gen Tal, das jeder kennt – als Drehort von Harry Potter, James Bond und Braveheart.

Das Haus ist mehr als 300 Jahre alt. Vielleicht sogar noch älter. Es gibt nur drei Zimmer, alle neu, behaglich, luxuriös. Oystercatc­her heißt das größte, von dort aus schaut man den Wellen zu, die sanft an das Ufer des Sees branden. Das Frühstück – Eier, Speck, Haggis, wer mag bekommt auch eine etwas leichtere Variante – servieren Annie und Andy im Esszimmer mit Eichenholz­dielen und Kaminofen.

Da sitzt man also, plaudert mit den anderen Gästen, trinkt Tee und vergisst ein bisschen die Zeit. Überhaupt die Zeit. Die wird in dem kuschelige­n Gästehaus irgendwie konservier­t. Zuweilen sehr romantisch. Annie und Andy haben einander Briefe geschriebe­n, sie in eine leere Flasche Single Malt Whisky gesteckt und bei der Renovierun­g des Hauses in eine Wand eingemauer­t. Irgendwann wird man die Flasche vielleicht finden. Und dann gibt es eine Geschichte mehr, die die uralten Mauern des weißen Häuschens am See erzählen können. Stephanie Sartor

 ??  ?? Pier House, Tigh Phuirt, Glencoe, Ballachuli­sh PH49 4HN, Schottland. www.pierhouse-glencoe.scot. Preis: ca. 140 ¤ pro Zimmer inkl. Frühstück
Pier House, Tigh Phuirt, Glencoe, Ballachuli­sh PH49 4HN, Schottland. www.pierhouse-glencoe.scot. Preis: ca. 140 ¤ pro Zimmer inkl. Frühstück

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