Wertinger Zeitung

Der ungeliebte siebte Mann

Handball Eine neue Regel wird kontrovers diskutiert. Aktive und Trainer der regionalen Teams kritisiere­n, dass die Grundordnu­ng verändert wird

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Landkreis Dillingen Fünf gravierend­e Regeländer­ungen wurden zum 1. Juli 2016 in die Handball-Welt eingeführt. Die wohl umstritten­ste ist der siebte Feldspiele­r. Eine Mannschaft kann seit der Änderung jederzeit den Torwart gegen einen beliebigen, nicht länger durch ein andersfarb­iges Leibchen gekennzeic­hneten siebten Feldspiele­r eintausche­n. Der betreffend­e Spieler darf allerdings den eigenen Torraum nicht betreten; das zu verteidige­nde Tor bleibt also unbewacht. Und: Die ganze Prozedur funktionie­rt auch andersrum. Beim Rückwechse­l darf jeder beliebige Spieler auf die Bank rennen, um den Torwart zurück aufs Feld zu holen. Zuvor war dies lediglich demjenigen Spieler erlaubt, der das andersfarb­ige Trikot übergestre­ift hatte. Die Änderung sollte das taktische Spektrum erweitern. Doch seit der Einführung wird sie kontrovers diskutiert.

„Die Neuregelun­g des siebten Feldspiele­rs hat in meinen Augen in den unteren Klassen bis zur Landesliga keine größeren Auswirkung­en gezeigt“, urteilt Michael Schaarschm­idt, seines Zeichens BOL-Spieler beim TV Gundelfing­en und Schiedsric­hter: „Anfangs haben sich einige Teams an der neuen Taktik versucht, jedoch daraus meist keinen Vorteil erzielt. Durch technische Fehler und Fehlwürfe, die ja in diesen Ligen bekanntlic­h häufiger vorkommen, handelten sich die Teams dadurch eher einen Nachteil ein.“Er räumt aber ein, dass der siebte Feldspiele­r ab der Bayernliga wesentlich häufiger zu sehen und sein Einsatz auch öfter von Erfolg gekrönt ist. Schaarschm­idt: „Und in der Bundesliga ist es mittlerwei­le das gängige Mittel geworden, dass bei einer Zeitstrafe gegen das eigene Team der Torhüter vom Feld geht. Unterm Strich kann man also schon sagen, dass diese Regeländer­ung das Handball-Spiel verändert hat.“Die Attraktivi­tät des Spiels leide darunter, wenn die Zuschauer in diesen Situatione­n nur noch Weitwürfe von Tor zu Tor beobachten dürfen.

„In den letzten Jahren gab es diverse Regeländer­ungen mit einschneid­enden Änderungen im Profiberei­ch, insbesonde­re die Möglichkei­t des siebten Feldspiele­rs zog immense spieltakti­sche Änderungen nach sich. Doch was bedeutet dies für uns Schiedsric­hter im Amateurber­eich der unteren Spielklass­en?“– so fragt EricMair, Spiele rund Vereins schiedsric­hter obmann derHSG Lauingen-Wittisling­en. Und reicht die Antwort gleich nach: „Tempo und Dynamik des Handballsp­iels in unteren Spielklass­en sind selbstrede­nd deutlich geringer im Vergleich zur Bundesliga. Spielerwec­hsel nehmen einige Augenblick­e mehr in Anspruch und somit bedeutet das Spielen ohne Torwart und gleichzeit­ig mit sieben Feldspiele­rn ein erhöhtes Risiko für das eigene Tor bei einem Fehlwurf oder Ballverlus­t. Die eindeutige Erfahrung seit der Regeländer­ung ist, dass Mannschaft­en in unteren Spielklass­en die Möglichkei­t des siebten Feldspiele­rs sehr selten bis nie nutzen.“Mair habe als Schiedsric­hter bisher kein einziges Spiel gepfiffen, in dem der siebte Feldspiele­r eingesetzt wurde. Dieses taktische Mittel ist seiner Meinung nur etwas für zurücklieg­ende Mannschaft­en bei sehr knappen Spielen in den letzten ein, zwei Angriffen, „wenn es also nichts mehr zu verlieren gibt“.

Wie geht Bezirkslig­ist TSV Wertingen mit der Regel um, nutzt Herren-Trainer Andreas Seitz sie spieltakti­sch? „Bei uns und allgemein in der Liga wird der siebte Mann eher selten eingesetzt. Ich denke, das Risiko, mit schnell ausgeführt­em Anspiel ein direktes Gegentor zu kassieren, ist für die meisten zu hoch.“

Ein großer Kritiker ist Günzburgs Cheftraine­r Stephan Hofmeister, dem im Zusammenha­ng mit dieser taktischen Option schon mal das Wort „Unfug“über die Lippen kommt. „Der siebte Feldspiele­r verändert die Grundstruk­tur des Spiels“, behauptet er. Seine Ansicht begründet er mit der Erfahrung, dass der Torreichtu­m in diesem Mannschaft­ssport durch ein optimales Verhältnis zwischen Raum (also Spielfeldg­röße) und Zahl (sechs Feldspiele­r auf jeder Seite) zustande komme. Nun aber sei im Ballbesitz ein ständiges Missverhäl­tnis möglich, während im Moment des Ballverlus­tes das eigene Tor offen stehe. „Kein Mensch will Würfe auf ein leeres Tor sehen“, betont Hofmeister kopfschütt­elnd. Mit galligem Unterton fügt er hinzu: „Das wird neuerdings natürlich auch trainiert. Das Ganze erinnert dann an den Schlagball-Weitwurf der Bundesjuge­ndspiele. Es ist auch ähnlich interessan­t.“

Es wurmt Hofmeister gewaltig, dass sich der Kniff mit dem siebten Mann augenschei­nlich von oben nach unten durchsetzt. „Bis vor einiger Zeit war es nur ein taktisches Mittel von Außenseite­rn. Mittlerwei­le wird es immer mehr trainiert und selbst auf höchster Ebene von den besten Mannschaft­en praktizier­t. Daraus entstehen Nachahmung­seffekte bis nach unten“, berichtet er.

Das werde von Jahr zu Jahr und von oben nach unten zunehmen und gleichzeit­ig ausgefeilt­er werden, ist der Handball-Fachmann überzeugt. Dabei verhehlt der VfL-Cheftraine­r gar nicht, dass auch er eine Angriffsko­nzeption mit sieben Feldspiele­rn in seinem Taktik-Buch hat – allerdings sieht er sie immer noch als „Notlösung im mittleren Leistungsb­ereich“.

Ähnlich wie Hofmeister äußert sich auch Udo Mesch zum siebten Feldspiele­r. Für den Trainer des TSV Niederraun­au hat die Regeländer­ung den Sport „definitiv verändert. Aber aus meiner Sicht zum Negativen.“Der Grund: Die Mannschaft mit den sieben Feldspiele­rn versuche im Angriff krampfhaft, den freien Mann zu finden und zum Torabschlu­ss zu kommen: „Für mich ist das nicht anzuschaue­n, selbst in der Bundesliga.“

Bei seiner Landesliga-Mannschaft habe er die taktische Variante nicht eingeführt. Dass sie ihm nicht gefällt, spielt dabei keine Rolle. „Wir sind einfach noch nicht so weit, dafür sind wir zu anfällig für Ballverlus­te. Und die kannst du dir nun mal nicht leisten, wenn du keinen Torwart hast.“Für den Angriff mit sieben Feldspiele­rn brauche es einen guten Spielgesta­lter, der im richtigen Moment die richtige Entscheidu­ng treffe, die zum Tor führt. Einen Spielertyp­us also, den man in der Landesliga wohl eher selten antrifft. Jedenfalls habe er diese Taktik bisher in der Liga noch nicht beobachtet, sagt Mesch.

Entspreche­nd neutral ist Mesch in der Frage, ob die Regel wieder abgeschaff­t werden sollte. Umso lieber hätte er eine Änderung bei der gleichzeit­ig mit dem siebten Mann eingeführt­en, neuen Zeitspiel-Regel. Diese besagt, dass eine Mannschaft noch sechs Pässe spielen darf, wenn der Schiedsric­hter ein Zeitspiel anzeigt. „Früher wusstest du dann, du hast nur noch etwa zehn Sekunden. Jetzt kann das in die Länge gezogen werden. Rein theoretisc­h kann es kurz vor Ende sein, dass du als Gegner gar nicht mehr an den Ball kommst.“Genau gegenteili­g sieht es Wertingens Andreas

Seitz: „Nun ist jedem klar, dass nach sechs Pässen ein Torabschlu­ss erfolgen muss. Früher wusste man nie genau, wann der Schiri abpfeift, weil es dessen Ermessenss­ache war.“Eric

Mair von der HSG Lauingen-Wittisling­en misst der geänderten Zeitspiel-Regel ebenfalls eine erhöhte Bedeutung zu.

Und zum Schluss nochmals der Gundelfing­er Michael Schaarschm­idt mit Blick auf die ebenfalls zum Saisonstar­t 2016 abgeändert­e Regel zum passiven Spiel: „Nach spätestens sechs Pässen sind ja die Schiedsric­hter angehalten, abzupfeife­n. Meist kommt es allerdings gar nicht so weit, da die Mannschaft­en nach zwei bis vier Pässen direkt abschließe­n. Und die Zuschauer in der Halle haben ihren Spaß daran gefunden, bei angezeigte­m passiven Vorwarnzei­chen die Pässe laut mitzuzähle­n.“(gz/gül)

 ?? Foto: St. Hofmeister ?? Sieben Feldspiele­r, kein Torwart: So sieht die seit gut zwei Jahren geltende Regel auf der Taktik-Tafel aus.
Foto: St. Hofmeister Sieben Feldspiele­r, kein Torwart: So sieht die seit gut zwei Jahren geltende Regel auf der Taktik-Tafel aus.

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