Die Frage der Woche Ist der Zustand der Welt beängstigend?
Es gibt nur drei Möglichkeiten: Wer sagt, er habe keine Angst, kann… 1.… ein Zyniker sein, der meint, die Welt wäre immer schon unsicher und ungerecht und unberechenbar durch die Willkür der Mächtigen gewesen. Dann ist er für das Leid der Gegenwart und das drohende Leid der Zukunft schlicht nicht mehr empfänglich, kein Mensch aus Fleisch und Blut, sondern ein in 40 Kilometern Entfernung in Gedanken um die Erde kreisender Geist.
2.… ein Naivling sein, der meint, es möge vielleicht Gründe zur Sorge geben, aber das würde gewiss sich schon alles früher oder später irgendwie wieder einrenken. Dann ist er von irgendeinem göttlichen Superhelden beseelt oder aber der Meinung, wir seien ja ohnehin eine flüchtige, belanglose Erscheinung im Kosmos – und ist damit erst recht allem Menschlichen fremd.
3.… sich selbst was vormachen.
Denn man muss ja nicht glauben, dass Trump den Atomkrieg vom Zaun bricht, um die Welt beängstigend zu finden. Es genügt, dass man die Augen nicht verschließt vor: den Klimaverschiebungen, die all unserem Wissen nach nur Vorboten von weitaus Dramatischerem sind; den Konflikten, die Migrationsströme in der Welt und in unserer Gesellschaft auslösen (werden); den Grenzüberschreitungen, die bereits Alltag sind, wenn etwa in China die Gene von menschlichen Föten manipuliert werden …
Angst ist etwas wesentlich Menschliches, wenn wir uns am Abgrund einer existenziellen Bedrohung sehen. Das Klima bedroht dasÜberleben des Menschen, ungeregelter, technischer Fortschritt bedroht das Menschsein und die ungelöste Frage des internationalen Miteinanders bedroht die Menschlichkeit. Wen das nicht beängstigt, der kann eigentlich kein Mensch sein.
Was einem wirklich Angst machen kann, sind all die Menschen, die jetzt Angst haben. Denn sie können zweierlei nicht auseinanderhalten – und das ist nicht nur fahrlässig, sondern auch gefährlich: die Sorge und die Angst.
Es gibt natürlich durchaus Gründe, sich um die Welt und die Zukunft zu sorgen. Und wer sich sorgt, fühlt sich auch verbunden, verantwortlich, der kümmert sich, tut, was er kann… Kein Zufall: So etwas wie Sorgenstarre gibt es nicht.
Aber es gibt die Angststarre. Denn Angst beschreibt ja, dass man sich unmittelbar einer existenziellen Gefahr ausgesetzt sieht. Wer verfolgt wird, hat Grund zur Angst. Wer im Krieg lebt. Wer nicht weiß, woher er noch was zu essen bekommen soll. Nicht weiß, wie er seine Familie noch schützen soll… Wer hat hierzulande schon wirklich Anlass dazu? Nein, die hier herrschende Ängstlichkeit hat eben nicht unmittelbare Gründe, denn die gibt es – was für ein Glück! – ja eben gar nicht. Darum holt man sich – vielleicht aus schlechtem Gewissen wegen dieses Glücks, vielleicht aus Wohlstandsmelancholie – die Weltlage als Angstszenario ins Wohnzimmer und an den Tresen. Atomkrieg und digitale Diktatur, Massenmigration und Überfremdung: Man trinkt nach dem bekömmlichen Abendessen ein regionales Bier in der wohlig von Fernwärme beheizten Stube und fantasiert sich – ganz wacher Weltbürger! – unmittelbar an den Abgrund zur Apokalypse.
Das Praktische daran: Man kann ja selbst eigentlich gar nichts tun. Bloß Angst haben oder wütend sein. Aber man wird empfänglich für die Versprechen der Retter und Bewahrer. Denn die verstehen und verstärken ihn ja gerade deshalb auch so gerne: den Zustand der Angst. Also bitte: Sorgen Sie sich! Aber widerstehen Sie dem Unsinn der Angst.