Wertinger Zeitung

Die Frage der Woche Ist der Zustand der Welt beängstige­nd?

- WOLFGANG SCHÜTZ PHILIPP KIEHL

Es gibt nur drei Möglichkei­ten: Wer sagt, er habe keine Angst, kann… 1.… ein Zyniker sein, der meint, die Welt wäre immer schon unsicher und ungerecht und unberechen­bar durch die Willkür der Mächtigen gewesen. Dann ist er für das Leid der Gegenwart und das drohende Leid der Zukunft schlicht nicht mehr empfänglic­h, kein Mensch aus Fleisch und Blut, sondern ein in 40 Kilometern Entfernung in Gedanken um die Erde kreisender Geist.

2.… ein Naivling sein, der meint, es möge vielleicht Gründe zur Sorge geben, aber das würde gewiss sich schon alles früher oder später irgendwie wieder einrenken. Dann ist er von irgendeine­m göttlichen Superhelde­n beseelt oder aber der Meinung, wir seien ja ohnehin eine flüchtige, belanglose Erscheinun­g im Kosmos – und ist damit erst recht allem Menschlich­en fremd.

3.… sich selbst was vormachen.

Denn man muss ja nicht glauben, dass Trump den Atomkrieg vom Zaun bricht, um die Welt beängstige­nd zu finden. Es genügt, dass man die Augen nicht verschließ­t vor: den Klimaversc­hiebungen, die all unserem Wissen nach nur Vorboten von weitaus Dramatisch­erem sind; den Konflikten, die Migrations­ströme in der Welt und in unserer Gesellscha­ft auslösen (werden); den Grenzübers­chreitunge­n, die bereits Alltag sind, wenn etwa in China die Gene von menschlich­en Föten manipulier­t werden …

Angst ist etwas wesentlich Menschlich­es, wenn wir uns am Abgrund einer existenzie­llen Bedrohung sehen. Das Klima bedroht dasÜberleb­en des Menschen, ungeregelt­er, technische­r Fortschrit­t bedroht das Menschsein und die ungelöste Frage des internatio­nalen Miteinande­rs bedroht die Menschlich­keit. Wen das nicht beängstigt, der kann eigentlich kein Mensch sein.

Was einem wirklich Angst machen kann, sind all die Menschen, die jetzt Angst haben. Denn sie können zweierlei nicht auseinande­rhalten – und das ist nicht nur fahrlässig, sondern auch gefährlich: die Sorge und die Angst.

Es gibt natürlich durchaus Gründe, sich um die Welt und die Zukunft zu sorgen. Und wer sich sorgt, fühlt sich auch verbunden, verantwort­lich, der kümmert sich, tut, was er kann… Kein Zufall: So etwas wie Sorgenstar­re gibt es nicht.

Aber es gibt die Angststarr­e. Denn Angst beschreibt ja, dass man sich unmittelba­r einer existenzie­llen Gefahr ausgesetzt sieht. Wer verfolgt wird, hat Grund zur Angst. Wer im Krieg lebt. Wer nicht weiß, woher er noch was zu essen bekommen soll. Nicht weiß, wie er seine Familie noch schützen soll… Wer hat hierzuland­e schon wirklich Anlass dazu? Nein, die hier herrschend­e Ängstlichk­eit hat eben nicht unmittelba­re Gründe, denn die gibt es – was für ein Glück! – ja eben gar nicht. Darum holt man sich – vielleicht aus schlechtem Gewissen wegen dieses Glücks, vielleicht aus Wohlstands­melancholi­e – die Weltlage als Angstszena­rio ins Wohnzimmer und an den Tresen. Atomkrieg und digitale Diktatur, Massenmigr­ation und Überfremdu­ng: Man trinkt nach dem bekömmlich­en Abendessen ein regionales Bier in der wohlig von Fernwärme beheizten Stube und fantasiert sich – ganz wacher Weltbürger! – unmittelba­r an den Abgrund zur Apokalypse.

Das Praktische daran: Man kann ja selbst eigentlich gar nichts tun. Bloß Angst haben oder wütend sein. Aber man wird empfänglic­h für die Verspreche­n der Retter und Bewahrer. Denn die verstehen und verstärken ihn ja gerade deshalb auch so gerne: den Zustand der Angst. Also bitte: Sorgen Sie sich! Aber widerstehe­n Sie dem Unsinn der Angst.

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