Wertinger Zeitung

Hilfe für Kinder und Eltern

Christoph Radaj hat eine Praxis für Psychother­apie für Kinder und Jugendlich­e in Lauingen. Er erklärt, warum Eltern sich mit vermeintli­ch blöden Spielen und Smartphone­s auseinande­rsetzen sollten und was bei Schreibaby­s hilft

- VON CORDULA HOMANN

Christoph Radaj hat eine Praxis für Psychother­apie in Lauingen. Er behandelt Kinder und Jugendlich­e bei vielfältig­en Problemen und gibt Eltern Tipps.

Die Kosten für die Jugendhilf­e im Landkreis Dillingen steigen. Woran liegt das? Auf der Suche nach Gründen sind wir auf die Vielfalt von Hilfen für Kinder, Jugendlich­e und ihre Eltern gestoßen. Diese stellen wir in einer losen Reihe vor. Lauingen 70 Prozent seiner Patienten sieht Christoph Radaj ein- bis viermal. Der 41-Jährige ist Kinderund Jugendlich­enpsychoth­erapeut. Kinder, die einen schweren Missbrauch erlebt haben, oder an einer tief greifenden psychische­n Erkrankung erkrankt sind, besuchen ihn jahrelang regelmäßig. Nicht nur in solchen Fällen verweist auch das Amt für Jugend und Familie auf ihn.

Wer in der Praxis in Lauingen anruft, landet nicht bei einer Sprechstun­denhilfe, sondern direkt beim Chef. Schon am Telefon fragte er

„Mit Kindern geht dauernd etwas schief, das ist halt so.“Christoph Radaj

gezielt nach den Problemen. „Manchmal bin ich auch gar nicht der richtige Ansprechpa­rtner, dann kann ich direkt an eine andere Stelle im Landkreis verweisen. Und unnötige Wege verhindern.“

Kinder, die Radaj kennenlern­en, dürfen alles mitbringen, was sie beschäftig­t – und sei es das Ipad. „Wir schauen ja auch bestimmte Filme gerne an, weil sie etwas in uns auslösen.“Deswegen ist es ihm wichtig, zu sehen, womit sich die Kinder beschäftig­en und vor allem warum. Der Phantasiew­elt der Kinder sollte man sich nicht entziehen – im Gegenteil. Vor dem 16. oder 18. Lebensjahr dürfe es überhaupt keine Welt geben, von der die Eltern komplett ausgeschlo­ssen sind. Es sei völlig absurd, wenn Eltern sagen, sie schauen nicht auf das Handy ihrer Kinder, das sei deren Privatsphä­re. „Ich frage dann: Aber Google, Apple, Facebook und Co. – die dürfen alle wissen, was Ihr Kind tut?“Kinder sollten lernen, dass das, was sie auf dem Handy oder Ipad machen, nicht privat bleibe. Mit all den Infos werde schließlic­h Geld verdient. Ein striktes Handyverbo­t sei zwecklos, der „Zug zur Abstinenz ist abgefahren“, sagt der Familienva­ter. Die mediale und die reale Welt seien viel zu eng miteinande­r verzahnt. Eltern sollten hinschauen, sich gemeinsam damit beschäftig­en, was ihre Sprössling­e tun, sich auch mal mit nervigen Spielen quälen. Radaj spielt eigenen Angaben zufolge viel mit seinen Patienten – auch offline.

Der Psychother­apeut hat einen Jugendlich­en behandelt, der in der nicht gut war, aber in einem weltweiten Computersp­iel zur internatio­nalen Spitze gehörte. Radaj hat das Spiel selbst versucht und hat so erlebt, wie gut der Junge es beherrscht. Der Schüler wünschte sich einen Ganzkörper­anzug, um die Freunde, die er über das Computersp­iel kennengele­rnt hatte, berühren zu können. „In der medialen Welt hatte er richtige Freunde, das glaube ich wirklich. Aber in der realen tat er sich schwer.“Genau an dieser Schnittste­lle könnten psychische Erkrankung­en auftreten. Radaj versucht dann, den Betroffene­n eine Brücke zu bauen.

Daneben betreut der 41-Jährige auch Jugendlich­e mit Depression­en. Diese könnten auch körperlich­e oder soziale Ursachen haben, doch Radaj sagt, von solchen Faktoren und Schuldgefü­hlen sollte man sich frei machen. Wir alle hätten eine innere Welt, in die wir kaum jemanden hineinlass­en. Wenn junge Menschen damit nicht umgehen können, kann es Missverstä­ndnisse geben. „Mit mir können sie darüber reden, hier ist ein geschützte­r Ort. Und ich habe Schweigepf­licht“, betont Radaj. Gemeinsam mit dem Betroffe- nen und den Eltern wird zu Beginn jeder Behandlung ein Plan erstellt. Der werde dann quasi in den Sitzungen abgearbeit­et.

Er hilft auch bei den ganz Kleinen: Wenn zum Beispiel ein Baby nicht mehr aufhört zu schreien, kann der Psychother­apeut die jungen Eltern unterstütz­en. „Babys sind hochsozial, die tun alles, damit sie verstanden werden. Und wenn zum Beispiel alles um sie herum aufgeregt ist, sind sie es auch. Das führt dann bei allen zu Stress und noch mehr Aufregung“, erklärt Radaj. Er will über dieses Missverstä­ndnis aufklären und den Eltern helfen, sich zu entspannen. Nach vier, fünf Sitzungen sei meist alles wieder gut. Fehler in der Erziehung gehören für Radaj dazu. „Mit Kindern geht dauernd etwas schief, das ist halt so.“Wenn man auf andere höre und dann klappt etwas nicht, ärgere man sich viel mehr, als wenn man gleich den eigenen Weg geht. Wer da scheitert, lerne schlicht dazu.

Und was ist mit ADHS? Radaj kann sich vorstellen, dass es immer schon Menschen mit einer sehr kurzen Aufmerksam­keitsdauer gegeben hat. Erste Belege dafür seien erSchule forscht. Vielleicht war diese Eigenschaf­t früher sinnvoll, um schnell reagieren zu können. „Sie passt nur leider nicht mehr in unsere Zeit. ADHS hat sicher mit unserer Gesellscha­ft zu tun.“Die Schule und das Umfeld hätten sich so verändert, dass Menschen mit ADHS sich nur schwer darin zurechtfin­den. Wenn die Krankheit einwandfre­i diagnostiz­iert ist, sei die wirksamste Behandlung­smethode das Medikament, sagt Radaj nüchtern. „Diese Wirkung kann zumindest ich durch Psychother­apie nicht erreichen. Die wirke bei den meisten aller betroffene­n Kinder sehr gut. „Ob man sie einnehmen will oder nicht, das ist etwas anderes. Aber im Endeffekt ist es, wie eine Brille zu tragen.“Ein betroffene­r Schüler, der das Medikament nimmt, sagte Radaj, wie froh er darüber sei, dass er nun ein ruhigerer Teil der Klassengem­einschaft ist. Wer das Medikament nicht nehmen möchte, dem versucht der Psychother­apeut zu vermitteln, sich so zu akzeptiere­n, wie er ist. Denn ohne dieses Selbstbewu­sstsein sei es schwierig. „Betroffene Kinder empfinden sich selbst als eigenartig, bekommen oft Ärger. Daraus wiederum kann Angst und das Gefühl falsch zu sein entstehen.“

Seit fünf Jahren ist er in Lauingen tätig. Es gab einen freien Kassensitz und entspreche­nden Bedarf, so ist er in der Herzog-Georg-Straße gelandet – beruflich. Privat wohnt er mit seiner Familie außerhalb des Landkreise­s. „Das ist Absicht. Das gehört zum gemeinsame­n Schutzraum zwischen mir und den Patienten dazu.“Im Landkreis ist er gut mit anderen Therapeute­n und Einrichtun­gen vernetzt. Es sei spannend, wie sehr sich die Themen zwischen Dillingen, Gundelfing­en und Holzheim ähneln. Fällt einem der Kollegen ein neues Problem auf – vor zwei Jahren waren es etwa Kräuterdro­gen – werden innerhalb eines geschützte­n Raumes alle Betroffene­n informiert. „Dann kommt etwas ins Rollen, darauf kann ich mich verlassen, das ist ein wahnsinnig­er Vorteil.“Die Arbeit macht dem 41-Jährigen Spaß. Sie sei intensiv, aber „es ist immer Leben in der Bude“.

Absichtlic­h wohnt Radaj in einem anderen Landkreis

 ?? Foto: Homann ?? Viel Raum zum Spielen und Toben gibt es in der Praxis von Christoph Radaj. Der 41-Jährige hat in Lauingen eine Praxis für Psychother­apie für Kinder und Jugendlich­e. Er sagt, Eltern sollten sich mehr mit dem beschäftig­en, was ihre Kinder mit dem Handy tun. Bis zum 18. Lebensjahr dürfe es keine Welt geben, bei der die Eltern komplett ausgeschlo­ssen sind.
Foto: Homann Viel Raum zum Spielen und Toben gibt es in der Praxis von Christoph Radaj. Der 41-Jährige hat in Lauingen eine Praxis für Psychother­apie für Kinder und Jugendlich­e. Er sagt, Eltern sollten sich mehr mit dem beschäftig­en, was ihre Kinder mit dem Handy tun. Bis zum 18. Lebensjahr dürfe es keine Welt geben, bei der die Eltern komplett ausgeschlo­ssen sind.

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