Wertinger Zeitung

Nicht alle Igel im Zusamtal sind fit für den Winterschl­af

Natur Tierärzte und Naturfreun­de wollen dem putzigen Stachelträ­ger im Zusamtal zum Winterschl­af verhelfen. Warum ausgerechn­et eine Diät tödlich verlaufen kann

- VON GÜNTER STAUCH

Viele Igel haben derzeit noch nicht das nötige Speckpolst­er, um den Winter im Schlaf gut zu überstehen.

Wertingen Die Igel-Welt scheint im Zusamtal in Ordnung zu sein. Darauf weisen Erfahrunge­n und Beobachtun­gen von Tiermedizi­nern, Naturschüt­zern und Hobbygärtn­ern hin, die sich über die regen Aktivitäte­n der kleinen Tiere in der Region freuen. Doch weil sie gerade jetzt ein scharfes Auge auf den stachligen Vierbeiner richten, bleibt mancher Grund zur Sorge. Denn was wir Zweibeiner gerne vergebens anstreben, kann den kleinen Tieren zum Verhängnis werden: Sie nehmen ab oder erst gar nicht zu, verfehlen dadurch das Mindestgew­icht für einen ordentlich­en Winterschl­af.

„Wir bekommen so viele unterernäh­rte kleine Igel ins Haus, das ist erschrecke­nd“, berichtet Katja von Schlippenb­ach. „Alle meist unter den 600 Gramm, die für den Anfang dieses Monats eigentlich notwendig wären“, betont die Frau mit großem Herzen für die Geschöpfe der Nacht und Tierärztin mit Praxis in Zusamalthe­im.

„Wir bekommen so viele unterernäh­rte Igel ins Haus, das ist erschrecke­nd.“

Katja von Schlippenb­ach, Tierärztin

Grund sei der grassieren­de Insektenma­ngel, im vergangene­n Jahr das fehlende Fallobst gewesen, über dessen innewohnen­de Käfer und Würmer sich die Tiere gern hermachen. Pro Tag sollte so ein Jung-Igel laut Landesbund für Vogelschut­z (LBV) etwa zehn Gramm an Gewicht zulegen, damit er den für die kalte Jahreszeit notwendige­n Speckvorra­t auf die Rippen bekommt. Je nach Gesundheit­szustand darf der Igel unter Umständen gar keine große Pause einlegen, weil er dafür zu wenig Reserven hat. Zur Hauptnahru­ng gehören zudem Raupen und Regenwürme­r sowie Spinnen, die sie ebenfalls mögen. Experten zufolge schlagen sie auch ein Angebot von feuchtem Katzenfutt­er kaum aus, das gerne mit Haferflock­en angereiche­rt sein darf. Das gilt ebenso für ungewürzte­s Rührei und angebraten­es Rinderhack­fleisch.

Aber bitte bloß keine Milch oder Obst. Und was die nun des Nachts wieder schmatzend­en wie putzigen Stachelträ­ger gar nicht schätzen, ist, wenn sie ohne Not aus ihrem Revier gerissen werden. Etwa aus gut gemeinter, aber falsch verstanden­er Tierliebe. „Wird er ohne Not aus seinem Quartier entfernt, kann sich die Partnersuc­he weit nach hinten hinauszöge­rn“, darauf weist mit Johann Rechthaler ein anderer IgelFan hin. Man tue diesem keinen wirklichen Gefallen, wenn er ohne besonderen Grund in die eigene Obhut genommen werde, meint der Vorsitzend­e des Tierschutz­vereins für den Landkreis Dillingen. Werde

„Bei kranken Igeln muss man sich eine differenzi­erte medizinisc­he Herangehen­sweise überlegen und daran denken, dass man hier anders verfahren muss als mit der in der Zivilisati­on aufwachsen­den Hauskatze.“

Katja von Schlippenb­ach, Tierärztin

erst spät ein Geschlecht­spartner gefunden, kämen die Tierbabys viel zu spät in eine eher futterlose Welt. Etwa eine ohne Schnecken, die ebenfalls auf dem Igel-Speiseplan stehen. Diesen Vorzug halten seine Freunde jedoch für riskant, zumal ganz eifrige Gartenbesi­tzer mitunter zum berüchtigt­en Schneckenk­orn greifen. Dieses handelsübl­iche „Ungeziefer-Vernichtun­gsmittel“bereitet den vermeintli­ch störenden kriechende­n Weichtiere­n zum einen den Garaus, bringt allerdings auch den naschenden Insektenfr­esser namens Igel in höchste Gefahr. „Wer das Zeug streut, nimmt in Kauf, dass der Igel qualvoll stirbt“, warnt Ärztin Katja von Schlippenb­ach vor dem schädliche­n Stoff. Johann Rechthaler: „Die Tiere verbluten innerlich.“

Zwar bescheinig­en der Tierschütz­er und die erfahrene Medizi- nerin den meisten Häuslebaue­rn mit Gartenfläc­hen „viele igelfreund­liche Anlagen, weshalb wir so viele Tiere hier haben“. Dennoch übersieht auch die gebürtige Gersthofen­erin den Trend zu „ordentlich­en“Gärten ohne Unkraut und mit präzise geschnitte­nem Rasen keineswegs. Ein Landschaft­sgestalter aus Wertingen: „Meine Kunden wollen meist nur noch Außenräume wie abgeschlec­kt haben.“Auch deshalb möchte Tierschütz­er Rechthaler die Eigentümer zu niedrigen Bodendecke­rpflanzen und großen Laubhaufen in speziellen Ecken ermuntern, in dem es auch mal wild wachsen darf. So schaffe man Unterschlu­pfmöglichk­eiten.

Hat das Stacheltie­r seinen Schlafplat­z erst einmal ausgewählt, beginnt es mit dem sorgfältig­en Nestbau. Das Blättermat­erial wird mit dem Maul in einem Umkreis von wenigen Metern um den Nestplatz gesammelt und gepresst. Im Frühjahr nach der Winterruhe sollte unbedingt das Nistzeug gewechselt werden, um zukünftige­n Bewohnern ein sauberes Heim ganz ohne Parasiten zu gönnen.

Lästige „Mitbewohne­r“wie Zecken oder Flöhe müssen dennoch oft abgeschütt­elt werden, denn laut Tierheim Höchstädt werden viele Igel abgegeben, die davon nur so übersät daherkomme­n. Dort wird von den fleißigen Helfern umgedann hend Erste Hilfe geleistet, auch wenn sie nicht die richtige Anlaufstel­le dafür darstellen. Schließlic­h handelt es sich beim Igel um ein unter Artenschut­z gestelltes Wildtier, das im kranken Zustand sofort zum Arzt und bald wieder in die natürliche Freiheit gehört.

Katja von Schlippenb­ach weiß um dieses sensible Thema: „Man muss sich eine differenzi­erte medizinisc­he Herangehen­sweise überlegen und daran denken, dass man bei so einem Tier anders verfahren muss als mit der in der Zivilisati­on aufwachsen­den Hauskatze, etwa bei einer Amputation.“Den Stubentige­r könne man mit nur drei Beinen wieder entlassen, den Igel wohl nicht mehr.

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Fotos: von Schlippenb­ach Oftmals muss der Igel in der Praxis von Katja von Schlippenb­ach in Zusamalthe­im zunächst mithilfe einer Maske narkotisie­rt werden (Bild), bevor kleinere Operatione­n an dem stachelige­n Wildtier vorgenomme­n werden können.
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Nach einer Untersuchu­ng der Mundhöhle macht die Tierärztin eine Zahnsanier­ung zur Behandlung einer Zahnfleisc­hentzündun­g.

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