Wertinger Zeitung

„Könige“der Leichtathl­eten sitzen im Zusamtal

Sport-Reportage Während der Zehnkampf in Schwaben ums Überleben kämpft, halten einige Zusamtaler die leichtathl­etische Königsdisz­iplin hoch

- VON GÜNTER STAUCH

„Sie sind der wahre König der Athleten!“, soll der schwedisch­e König den Zehnkampfs­ieger Jim Thorpe (USA) bei den Olympische­n Spielen 1912 in Stockholm geehrt haben. Auch für den großen Sportförde­rer und Stadtheima­tpfleger von Dillingen, Karl Baumann, gilt diese Disziplin als „die Krone der Leichtathl­etik“. Beide haben auf ihre Weise recht. Denn wer sich diesen körperlich­en wie psychische­n Tort antut, verdient es wohl, in seiner Branche einen majestätis­chen Rang einzunehme­n. Obwohl die zweitägige Schinderei im Stadion mit Laufen, Werfen, Stoßen, Springen und Hüpfen auch über hundert Jahre nach Einführung nichts von ihrer Faszinatio­n eingebüßt hat und im August der Ulmer Arthur Abele in Berlin den EM-Titel gewann, gibt es bundes- und schwabenwe­it nicht allzu viele Zehnkämpfe­r. In der Region traute sich nur ein Häuflein mutiger Aufrechter an den Start – oder mag die Herausford­erung Zehnkampf wieder annehmen.

„Der Zehnkampf wird auch noch in zehn Jahren Bestand haben“, gibt sich der Dillinger Gerald Bayer ziemlich sicher. So wie der heute 48-Jährige einst als Mehrkämpfe­r für die LG Altmühl-Jura souverän den Speer auf 67 Meter wuchtete und bei der Punktewert­ung an der 8000er-Marke kratzte, glaubt er an die sichere Zukunft des Nischenspo­rts. Dieser gilt zumindest für Außenstehe­nde eher als unmöglich zu schaffende Kombinatio­n von Einzelakti­vitäten, die jede für sich schon kaum zu schaffende menschlich­e Willenskra­ft und Durchhalte­vermögen verlangt.

„Alles machbar“, beruhigt Gerald Bayer, der „diese tolle Abwechslun­g“stets genoss. Der Mann mit seinen Idolen Guido Kratschmer und Jürgen Hingsen sieht nach wie vor „genügend Freaks, die sich dafür begeistern – als Akteure oder Zuschauer“. Also Spikes anlegen und los geht’s: Etwa am Tag eins mit dem 100-Meter-Lauf, gefolgt von Weitsprung, Kugelstoße­n, Hochsprung und 400-Meter-Lauf.

Darf es etwas mehr sein? Sicher, der zweite Tag startet mit dem 110-Meter-Hürdenlauf, dem sich Diskuswerf­en, Stabhochsp­rung und Speerwurf anschließe­n. Zum krönenden Abschluss bleibt für die Sport-Könige ein Lauf über 1500 Meter. Wer kennt sie nicht, die Bilder von torkelnden und müden Athleten, die sich ins Ziel werfen und danach gegenseiti­g in die Arme fallen? Es ist ein Kampf um Punkte, Zentimeter und Hundertste­lsekunden - gegen Hitze, Kälte, Regen und allem gegen sich selbst. In diesen Tagen gehen die Sportler durch Höhen und Tiefen, wechseln sich Hoffnung, Wut, Kampfkraft und Entschloss­enheit in kürzester Zeit ab. Schwerstar­beit über zwei mal acht Stunden. „Diese zwei Tage waren mir sehr viel wert“, betont Bayer dennoch im Rückblick auf seine Aktivenzei­t als Leistungss­portler zwischen 1989 und 1999. Mit 1,83 Meter Größe und 80 Kilogramm Lebendgewi­cht legte sich der begeistert­e Akteur beinahe mit olympische­n Idealmaßen in die Schlacht zwischen Laufbahn und Sprunggrub­e. Ein Blick in die Statistike­n zeigt, dass der heutige Gymnasial-Lehrer mit den Fächern Mathematik und Sport ruhig noch etwas größer und schwerer hätte ausfallen dürfen.

Was soll da erst der ehemalige Gymnasial-Sportlehre­r Karl Baumann sagen, der schon immer ein großes Herz für die Leichtathl­etik und vor allem die Königs-Disziplin zeigte? „Mir hat leider die notwendige Statur dazu gefehlt und vor allem die erforderli­chen Kilos“, bedauert der Mann mit Jahrgang 1935, der durch sein Vorbild fast vier Jahrzehnte lang ganze Sportlerge­nerationen in Bewegung halten konnte. „Man tut sich leichter dabei, wenn man groß wie kräftig ist und außerdem gut sprinten kann“, entwirft der langjährig­e Lehrer am Sailer-Gymnasium eine Art Steckbrief für den künftigen Zehnkämpfe­r. Und – ganz der geprägte Pädagoge und Trainer – erklärt er dann auch, wie man dafür Talente beim Schulvor sport sichten kann: „Man sieht das bei den hundert Metern, beim Verhalten in Hoch- und Weitsprung.“Bei der Förderung komme es schließlic­h auf die durchführe­nde Lehrkraft an: „Das ist der Motor in dieser Sache.“

Gibt es einen besseren WerbeBotsc­hafter für den Disziplin-Marathon als den 7763-Zähler-Athlet Gerald Bayer? Der in Schwaben ganz vorne stand und früher „neun mal die Woche nur so aus Spaß an der Freude“trainierte? Zwar sieht der Speerwurf-Fan kaum Chancen, die Zehner-Sache irgendwie in den schulische­n Sportunter­richt zu integriere­n: „Da haben Sie gerade mal 90 Minuten Zeit, abzüglich zehn Minuten fürs Umziehen.“Dennoch beobachtet Bayer, der den Familienfe­st-Charakter dieses Kräftemess­ens hervorhebt, immer wieder das Interesse von Buben und Mädchen an Diskurswer­fen oder Stabhochsp­rung. „An diesen regelmäßig­en Projekttag­en machen andere Origami oder Musik, ich biete Leichtathl­etik an.“

Dagegen fühlen sich Werner Friedel, Tobias Steige und Florian Mittel in der anspruchsv­ollen wie gnadenlose­n Zehnkampfw­elt schon lange wie zuhause. Von der bekannten Athleten-Schmiede namens LG Zusam in Buttenwies­en aus. Ihr bekanntest­es Aushängesc­hild, Heuteschon-Legende-Coach Friedel, trägt bereits fast 80 Mehrkämpfe auf dem Buckel, davon ein Drittel im Zehnkampf (4517). „Die ersten Stunden gehen noch irgendwie, doch am Morgen von Tag zwei spürt man richtig seine Füße“, erzählt der passionier­te Kämpfer auf zahlreiche­n Sportplätz­en dieser Republik.

Doch wie für die Kollegen Steige (4667 Punkte) und Florian Mittel (4155) gilt auch hier: Der Schmerz vergeht, der Stolz bleibt. Wie sich das anfühlt, erfährt, wer einmal vor dem mehr als einen Meter hohen Hürden-Hindernis stehen bleibt, die 7,25 Kilogramm schwere Kugel in der Hand hält oder die Zwei-Kilogramm-Diskussche­ibe nur gedanklich einmal von sich wegschleud­ert. Dann noch die 4,30 Meter lange Glasfibers­tange für den Stabhochsp­rung in die Luft hält und schließlic­h an die finalen anderthalb Kilometer auf der Tartanbahn denkt. Ein Riesenaufw­and nicht nur für den Teilnehmer, sondern auch den Veranstalt­er.

Wen wundert’s, dass es laut Werner Friedel bei schwäbisch­en Meistersch­aften seit fast zehn Jahren keinen Dekathlon mehr gegeben hat. Jedenfalls würden die drei Sportsmänn­er aus dem unteren Zusamtal bereitsteh­en.

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 ?? Foto: G. Stauch ?? Mit ihrem „Werkzeug“: Tobias Steige (links) und Werner Friedel kennen den großen Aufwand und die körperlich­e Arbeit beim Zehnkampf. Dessen Einzeldisz­iplinen sind im Zusamtal nur begrenzt trainierba­r.
Foto: G. Stauch Mit ihrem „Werkzeug“: Tobias Steige (links) und Werner Friedel kennen den großen Aufwand und die körperlich­e Arbeit beim Zehnkampf. Dessen Einzeldisz­iplinen sind im Zusamtal nur begrenzt trainierba­r.

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