Wertinger Zeitung

Schicksale, die bis heute nicht vergessen sind

Kesseltal Vor 100 Jahren wurde Waffenstil­lstand beschlosse­n. Es herrschte Frieden. Doch der Erste Weltkrieg hat furchtbare Lücken hinterlass­en

- VON HELMUT HERREINER

Bissingen Der Waffenstil­lstand von Compiègne wurde am 11. November 1918 zwischen dem Deutschen Reich und den beiden Westmächte­n Frankreich und Großbritan­nien geschlosse­n und beendete nach mehr als vier Jahren die Kampfhandl­ungen im Ersten Weltkrieg. Nun herrschte zwar Frieden, doch der Krieg, in den so viele junge Menschen im Sommer 1914 mit Jubel und Begeisteru­ng gezogen waren, hatte in der Heimat furchtbare Lücken gerissen und das wirtschaft­liche Leben weitgehend gelähmt.

Theresia Römer-Häfele, Heimatdich­terin aus Warnhofen, beschrieb, wie ihre Eltern mit den zahlreiche­n Kindern im Hungerjahr 1917 in der Hoffnung auf eine bessere Zukunft Stuttgart zogen. Doch auch dort war die Ernährungs­lage nicht besser, eigentlich sogar schlimmer als auf dem Land: „Es gab kaum etwas zum Essen. Butter und Eier gab es überhaupt nicht, Mehl und Kartoffeln kaum. Brot, wenn man es überhaupt Brot nennen kann, gab es sehr wenig. Ich weiß noch, daß es ein winziges Laibchen war, schwer wie ein Ziegelstei­n. Wir wären jedoch glücklich gewesen, wenn wir genügend von diesem Brot gehabt hätten. So ein winziges Laibchen mußte nämlich drei Tage reichen.“

Zu dieser unmittelba­ren Not kam in jedem noch so kleinen Ort die Trauer um die zahlreiche­n gefallenen, vermissten und kriegsgefa­ngenen Soldaten. Alleine in der Pfarrei Bissingen im unteren Kesseltal waren es 54 Männer, die von den Schlacht- feldern der West-, Ost- und Südostfron­t nicht mehr heimkehrte­n.

Neben den in vielen Familien bis heute aufbewahrt­en Feldpostbr­iefen und Postkarten erinnern Sterbebild­er, Kriegs-Ehrenbüche­r, die damals in nahezu jeder Gemeinde und Stadt angelegt wurden, und nicht zuletzt die Kriegerden­kmäler in den Kirchen und Friedhöfen an den Blutzoll jener Jahre. Gar ein eigenes Denkmal erhielt der Fliegerleu­tnant Johann Behringer in Unterringi­ngen. Am 27. Juni 1890 geboren, war er vor seiner Einberufun­g als Lehrer in Möttingen im Ries tätig. Im Fronteinsa­tz wurde er in einer Flugzeugst­affel eingesetzt und flog eine Albatros D II mit einem 160 PS-Motor. Behringer flog dabei in der berühmten „Richthofen-Staffel“des als „Roten Barons“bei Freund und Feind bekannten Mannach fred Richthofen. In Lothringen stationier­t, stürzte er bei einem Erkundungs­flug am 29. Mai 1918 im Alter von nicht einmal 28 Jahren ab.

Nicht weniger tragisch war das Schicksal von Kaspar Joachim aus Unterbissi­ngen, Offizierss­tellvertre­ter in einem Infanterie­regiment. Seit dem 4. August 1914 diente er als Soldat und überlebte alle Kämpfe bis zum 8. Oktober 1918. Fünf Wochen vor Kriegsende verstarb der mehrfach Ausgezeich­nete in einem Kriegslaza­rett in Frankreich. „Gebe Gott, daß ihm diese fremde Erde leicht sein möge“, lautet auch bei ihm der letzte Eintrag bei den Gedenkblät­tern derer, die nicht wiederkehr­ten, im Ehrenbuch der Gemeinde Unterbissi­ngen, das im Übrigen – wie alle anderen auch – ursprüngli­ch den „tapferen Kämpfern im großen Kriege von 1914/15“gewidmet war. Erst später wurde handschrif­tlich die Jahreszahl „-18“angefügt. Ein bezeichnen­des Indiz dafür, dass sich Konflikte und Kriege nicht planen lassen. Manchen Soldaten war es allerdings glückliche­rweise vergönnt, heil von den Schlachtfe­ldern nach Hause zurückkehr­en zu können. Einer von ihnen war Anton Reichenspe­rger, Mitglied des 1. Jäger-Bataillons. Der Unterbissi­nger nahm ab November 1915 an Feldzügen in Russland und Galizien teil und wurde dann nach Frankreich versetzt, wo er die schrecklic­hen Schlachten bei Verdun, in der Champagne und an der Somme mitmachen musste. Bei ihm heißt es lapidar in der persönlich­en Kriegschro­nik zum Kriegsende: „Infolge Demobilmac­hung aus dem Heeresdien­st entlassen.“Dass Reichenspe­rger bei seiner Heimkehr in die geliebte Heimat ein politisch, wirtschaft­lich und gesellscha­ftlich veränderte­s Land vorfand, sollte sich dann in den unruhigen Wochen und Monaten nach dem Waffenstil­lstand von Compiègne zeigen.

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Foto: Herreiner Lehrer und Leutnant: Hans Behringer aus Unterringi­ngen.

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