Lebe wohl! Bis zum nächsten Mal
Weggehen bedeutet zurücklassen: Menschen, Arbeitsplatz, Dinge, Orte, Gefühle. Gibt es ein Talent zum Abschied?
Es komme einem psychischen Erbeben gleich, sich von wichtigen Zielen, Menschen oder Orten trennen zu müssen (Eric Klinger). Tatsächlich ist der Mensch schlecht gerüstet für Abschiede. Wir sind Klammeraffen. Meine Schulzeit im Internat war geprägt vom Abschiednehmen vom Elternhaus, und oft sagte ich meiner Mutter, ich werde einmal beim Abschied sterben; inzwischen bin ich dreiundachtzig…
Wir sind Klammeraffe von Beginn an. Der Umklammerungsreflex half Babys vermutlich vor Urzeiten, sich bei Gefahr fest in das Fell ihrer Mütter zu krallen. Ähnliches geschieht uns: Unser Gehirn sucht und festigt Bindungen zu unseren Mitmenschen. Auf Trennungen reagiert es ebenso intensiv wie auf körperliche Schmerzen. Doch es gibt Menschen, die sich leichter als andere damit tun, etwas zurückzulassen. Ein Talent zum Abschied liegt ihnen bereits in den Genen. Die Mehrzahl jedoch, etwa 80 Prozent, hält die neue Zahl der Reize gering und fühlt sich in der Routine wohler als bei Abschied und Neuanfang.
Denn nicht nur plötzliche, ungewollte Veränderungen wie eine Scheidung oder eine verlorene Landtagswahl fordern das Gehirn; selbst erwartete Veränderungen wie ein Jobwechsel, ein Auslandsjahr, ein Umzug kosten Kraft. Um neue Eindrücke zu verarbeiten, verbraucht das Gehirn gewaltige Mengen an Zucker und Sauerstoff. Schnell versucht es, den Energieverbrauch zu drosseln und uns zu Routinehandlungen zu bewegen, indem es uns immer dann mit körpereigenen Wohlfühldrogen (Endorphine) belohnt.
Loslassen, das müssen die meisten erst lernen. Und wir lernen es unser ganzes Leben lang. So erschütternd die psychischen Erdbeben des Abschieds sein können, sie fördern oft einen großen Schatz zutage, wenn sich die dabei aufgewirbelte Staubwolke wieder gelegt hat.