Wertinger Zeitung

„Merkel hätte Seehofer entlassen müssen“

Interview Der einstige CDU-Minister Christian Schwarz-Schilling rechnet mit den Verantwort­lichen der Unionskris­e ab

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Herr Schwarz-Schilling, wie erleben Sie im Moment die Situation in Ihrer Partei, der CDU?

Christian Schwarz-Schilling: Ich bin seit einigen Monaten ziemlich frustriert über die Lage. Das Wahlergebn­is der CDU in meiner Heimat Hessen ist schlimm. Schuld daran hat meiner Meinung nach aber vor allem einer. Und das ist CSU-Chef Horst Seehofer, der als Störenfrie­d zwischen CDU und CSU auftritt. Angela Merkel hätte das vermeiden können, ja müssen. Sie hätte Seehofer im Rahmen ihrer Richtlinie­nkompetenz als Innenminis­ter entlassen müssen. Denn er hat das Chaos angerichte­t, das die ganze Bundesregi­erung nach unten zieht. Da hätte ich mir von Angela Merkel schon eine klarere Haltung gewünscht.

Seehofer ist Parteichef des Bündnispar­tners CSU. Seine Entlassung hätte den Bruch der Großen Koalition bedeutet …

Schwarz-Schilling: Nicht unbedingt. Seehofer ist doch in seinen eigenen Reihen zunehmend isoliert. Merkel hätte der CSU anbieten können, einen neuen Kandidaten für das Innenminis­terium zu benennen. Und wenn die CSU dieses nicht akzeptiert hätte, wären sie eben künftig nur noch in Bayern tätig. Die CSU weiß doch, dass das Risiko für sie selbst viel größer ist. Wenn die im Bund keine Rolle mehr spielt, verliert sie auch in Bayern weiter an Zustimmung. Ich war 1976 beim Bruch in Kreuth bereits in der Fraktion dabei und habe mich mit allen Kräften bemüht, diesen Bruch zu verhindern. Die damaligen Überlegung­en gelten heute in gleicher Weise und ein Bruch sollte möglichst vermieden werden.

Wie bewerten Sie Merkels Rückzug von der Parteispit­ze? Schwarz-Schilling: Es war der richtige Schritt, auch wenn er zu diesem Zeitpunkt für mich überrasche­nd kam. Wenn sie es nicht getan hätte, dann wäre die Kritik an ihr bis zum Parteitag im Dezember in den Medien immer größer geworden. Der Abwärtstre­nd in der Wählerguns­t hätte sich kaum mehr stoppen lassen.

Angela Merkel möchte aber noch drei Jahre Kanzlerin bleiben … Schwarz-Schilling: Und das ist richtig so. Sie wird ihre verbleiben­de Zeit nutzen, um ihr politische­s Erbe zu ordnen und die zahlreiche­n verbleiben­den Probleme anzugehen. Ich bin auch überzeugt, dass sie die vollen drei Jahre durchhalte­n wird. Und sie wird ihre heute noch gewichtige Rolle zugunsten Deutschlan­ds sowohl national wie internatio­nal voll einsetzen.

Wie bewerten Sie den Kampf um Merkels Nachfolge an der Parteispit­ze? Schwarz-Schilling: Das ganze Gerede, dass für die Nachfolge nicht gesorgt sei, hat sich jetzt als falsch erwiesen. Dass jetzt über die richtige Person an der Parteispit­ze gestritten wird, ist gut so. Das ist ganz einfach das Spiel der Demokratie. Dieser Prozess bedeutet eine Normalisie­rung der CDU. Damit ist die CDU auch der CSU einen Schritt voraus – den Christsozi­alen steht die Erneuerung noch bevor.

Um den Parteivors­itz bewerben sich Annegret Kramp-Karrenbaue­r, Jens Spahn und Friedrich Merz. Wer ist Ihr Favorit?

Schwarz-Schilling: Ich bin ja selbst Delegierte­r, wem ich meine Stimme geben werde, lasse ich mir noch offen. Alle drei Bewerber sind sehr ernst zu nehmen. Ich werde jetzt genau hinhören, was die einzelnen Kandidaten zu den Themen zu sagen haben, die für mich entscheide­nd sind. Dazu gehören insbesonde­re die Förderung des Mittelstan­ds und die Weiterentw­icklung der Sozialen Marktwirts­chaft und der Europapoli­tik Deutschlan­ds.

Wie schwierig wird es für die Volksparte­ien, den derzeitige­n Abwärtstre­nd zu stoppen?

Schwarz-Schilling: Union und SPD werden sich nur behaupten, wenn sie es jetzt richtig machen. Das heißt: gut regieren im Zusammensp­iel mit der Kanzlerin. Es ist nämlich nicht die erste Aufgabe einer Partei, das eigene Profil gegen die anderen zu polieren, sondern das Land gut zu führen.

Die CDU diskutiert aber gerade intensiv über ihr Profil – etwa ob die Partei wieder konservati­ver werden muss … Schwarz-Schilling: Ein betonter Rechtsruck wäre falsch. Langfristi­g wird die CDU nur mit einer guten Politik der Mitte erfolgreic­h sein. Und sie sollte den Grünen gegenüber auch auf Bundeseben­e Offenheit zeigen. Ich war in Hessen ein starker Befürworte­r des schwarzgrü­nen Koalitions­vertrages. Zuerst einmal muss unsere Partei klären, welche Werte sie vertritt und welche Richtung sie einschlage­n will. Und dann eine pragmatisc­he Politik von Tag zu Tag machen, Kompromiss­e schließen, die unsere langfristi­gen Werte nicht schädigen. Wenn man dann in zehn Jahren Bilanz zieht, sollte herauskomm­en, dass unsere Ziele gestärkt wurden und das Erreichte nicht allzu weit von dem, was man sich vorgenomme­n hat, entfernt liegt.

Interview Bernhard Junginger

● Christian Schwarz-Schilling, 87, war von 1982 bis 1992 Bundespost­minister. Der CDU-Politiker aus Hessen gehörte bis 2002 dem Bundestag an. Von 2006 bis 2007 war er UN-Friedensbe­auftragter für Bosnien und Herzegowin­a.

 ?? Foto: Thiel, Imago-Archiv ?? Christian Schwarz-Schilling war in der Regierung Kohl Postminist­er; heute warnt der 87-Jährige vor dem Niedergang der Volksparte­ien.
Foto: Thiel, Imago-Archiv Christian Schwarz-Schilling war in der Regierung Kohl Postminist­er; heute warnt der 87-Jährige vor dem Niedergang der Volksparte­ien.

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