Wertinger Zeitung

Forderndes Gedenken ohne Anklage

Opfer In der Binswanger Synagoge findet eine berührende Gedenkvera­nstaltung statt. Wie vor allem junge Schüler mit der fürchterli­chen Geschichte umgehen

- VON GÜNTER STAUCH

Landkreis Mit einer ebenso feierliche­n wie berührende­n Gedenkvera­nstaltung ist in Binswangen an die Gräueltate­n der Deutschen an der jüdischen Gemeinde vor 80 Jahren erinnert worden. Mit mehr als 170 Besuchern und viel Prominenz in der nüchtern gehaltenen Synagoge wurde der zahlreiche­n Opfer in der Region gedacht. Die Mitgestalt­ung durch junge Frauen und Männer zweier Gymnasien des Landkreise­s verlieh der abendliche­n Veranstalt­ung des Förderkrei­ses Synagoge Binswangen e.V. unter dem Vorsitzend­en Anton Kapfer eine ganz besondere Note. Sie dürfte den Teilnehmer­n noch lange als passender Beitrag zum Erinnern an die Pogromnach­t im Gedächtnis bleiben. Denn die Schüler trugen abwechseln­d die schlimmen Schicksale von jüdischen Familien im Zusamtal vor, die mit der Machtübern­ahme der Nationalso­zialisten 1933 ihren verhängnis­vollen Anfang nahmen. Die Pogromnach­t 1938 wurde zum ersten schrecklic­hen Höhepunkt bei der Judenverfo­lgung.

Bei allen Wortbeiträ­gen der engagierte­n Schüler sowie der anderen Redner fiel auf, dass der Schwerpunk­t auf dem Erinnern an die Taten der Deutschen und nicht dem Anklagen lag. So wie es die HolocaustÜ­berlebende Hanna Zimmermann bei ihrem Besuch des Gotteshaus­es im vergangene­n Frühjahr gefordert hatte. Auf deren Worte damals hob der Erste Vorsitzend­e des passionier­ten Vereins gleich zu Beginn ab, als er von den Eindrücken der 94 Jahre alten Dame erzählte: „Der Besuch war ihr Herzenswun­sch und sie teilte uns mit, dass sie noch nie so eine schöne Synagoge gesehen habe.“

Tatsächlic­h präsentier­t sich mit dem Gotteshaus in der Judengasse und seinen ersten Wurzeln im 18. Jahrhunder­t ein ansehnlich­es Gebäude, dessen Außengesta­ltung die Umgebung dominiert und mit dem gotischen Treppengie­bel sowie dem prächtigen Hauptporta­l aus Sandstein gen Westen steht. „Ein Juwel“, so soll die begeistert­e Besucherin laut Anton Kapfer reagiert haben. Sie war im Frühjahr mit Schülern aus der Region zusammenge­kommen, um von ihren Erlebnisse­n, unter anderem in Auschwitz, zu berichten. So oblag es bei der Gedenkvera­nstaltung in Binswangen wiederum den jungen Leuten, die Erinnerung an die Zerstörung und Ermordung eines ganzen Volkes wachzuhalt­en. Im Rahmen von Projektarb­eiten hatten sich Schüler vom Gymnasium Wertingen und St.-Bonaventur­a-Gymnasium in Dillingen lange mit den äußerst tragischen Familienge­schichten von Binswanger und Buttenwies­ener Juden beschäftig­t.

Dabei wurden sie sachkundig von dem bekannten und studierten Historiker Johannes Mordstein betreut, worauf Vorstand Kapfer in seiner Dankesrede an alle Mitwirkend­en hinwies. In musikalisc­her wie choraler Hinsicht waren dies das Bläserense­mble des Musikverei­ns Binswangen unter der Leitung von Konrad Bühler und der Chor des Musical- projekts 86 Buttenwies­en mit Johanna Wech. Sänger wie Musiker verstanden es, in den Pausen zwischen den unter die Haut gehenden Berichten von den Familien Schwarz und Müller (Binswangen) sowie Lamm und Lammfromm (Buttenwies­en) eine würdige Brücke des Nachdenken­s und Einwirkens zu bauen. Kein Wunder, dass der Abschluss mit dem gemeinsam angestimmt­en Lied „Schalom, der Friede sei mit euch“von minutenlan­gem Beifall honoriert wurde. Zuvor hatte Landrat Leo Schrell an „das dunkelste und schändlich­ste Kapitel der deutschen Geschichte“erinnert und die Verfolgung wie Vernichtun­g der jüdischen Bevölkerun­g gegeißelt, die auch die Zerstörung der jüdischen Kultur und die Auslöschun­g der jüdischen Religion bedeutet hätten. „Wehret den Anfängen“, rief der Kommunalpo­litiker in den voll besetzten Gebetsraum, der durch seine Tieferlegu­ng unter das Straßenniv­eau noch höher wirkt. Damit wollte Schrell auf die aktuellen Entwicklun­gen mit neuen erschrecke­nden Parolen eingehen: „Doch erinnern allein wäre zu wenig. Gegen Rassismus und Fremdenfei­ndlichkeit müssen wir aufstehen.“Und: Zivilcoura­ge gegenüber Populisten zu zeigen sei „unsere Alternativ­e“. Gegen eine Werteverän­derung sprach sich auch Buttenwies­ens Bürgermeis­ter Hans Kaltner aus, der wie Binswangen­s Amtskolleg­e Anton Winkler ebenfalls an der Gedenkstun­de teilnahm.

 ?? Foto: Günter Stauch ?? Mit einer feierliche­n wie berührende­n Gedenkvera­nstaltung ist in Binswangen an die Gräueltate­n der Deutschen an der jüdischen Gemeinde vor 80 Jahren erinnert worden.
Foto: Günter Stauch Mit einer feierliche­n wie berührende­n Gedenkvera­nstaltung ist in Binswangen an die Gräueltate­n der Deutschen an der jüdischen Gemeinde vor 80 Jahren erinnert worden.

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