Aufgewertete Glatze
Fast alle großen Geister der Literaturgeschichte haben die wunderbare Haarpracht weiblicher Personen beschrieben. Seit ein paar Tagen kann man solche Schwärmereien für haarige Schönheit nur noch als haarsträubend empfinden.
Denn wissenschaftliche Analysen haben soeben nachgewiesen, dass auch die schönste Frisur ein Lagerplatz für Pestizide ist. Diese Erkenntnis wird das menschliche Balzverhalten stark verändern. Bisher haben viele verliebte Männer ihre erste Annäherung an ein angeschwärmtes Mädchen haarscharf so verarbeitet wie der Dichter Otto Erich Hartleben: „Das war der Duft, der deinem Haar entströmt,/der mich umhüllt gleich einer Zauberwolke.“Wenn sich der heutige Liebhaber einer Duftwolke aus einem weiblichen Haarwunder ausgesetzt sieht, denkt er nicht mehr an Liebesreime, sondern an Insektizide und Fungizide. Einer solchen Giftkonzentration, so schließt er haarscharf, sollte man sich lieber nicht annähern.
Aber auch die Entdeckung der Pestizide im menschlichen Haar hat zwei Seiten: Da beide Geschlechter betroffen sind, können sich künftig alle jene älteren Herren freuen, die unter Haarausfall leiden. Sie erreichen mühelos das Ziel, haarlos und damit frei von Pestiziden auf dem Kopf zu leben. Gottfried Keller hat die ganz neue Romantik vorausgeahnt, als er die Zeilen niederschrieb: „Sind ihre Locken die dunkle Nacht, ist seine Glatze der Mondenschein.“