Wertinger Zeitung

Wer hilft Finn?

Schicksal Der kleine Bub ist am 30. Mai schwer krank auf die Welt gekommen. Seither ist er auf der Intensivst­ation. Er könnte nach Hause. Doch seine Familie findet keine Pflegekräf­te und will auf den Notstand aufmerksam machen

- VON SIMONE BRONNHUBER

Dillingen Das kleine Bettchen steht im Wohnzimmer neben dem Sofa. Kissen, Bettdecke und Kuscheltie­r liegen darin. Unbenutzt. Seit Monaten. Dabei ist der kleine Finn schon fast ein halbes Jahr auf der Welt. Doch sein eigenes Bettchen, das bei Mama und Papa in der Wohnung in Dillingen steht, hat er noch nie gesehen, geschweige denn benutzt. Das Zuhause von Finn ist seit seiner Geburt am 30. Mai das Intensivzi­mmer im Zentralkli­nikum in Augsburg. Seit der kleine Mann seine Augen zum ersten Mal öffnete, muss er um sein Leben kämpfen. Nach Monaten im Krankenhau­s hat er den Kampf noch nicht endgültig gewonnen. Aber er könnte nach Hause, in sein Bettchen. Vorausgese­tzt, es gibt ein Pflegeteam, das sich 24 Stunden um Finn kümmert. Und das gibt es nicht. Noch nicht.

Nicole steht auf und holt ein eingerahmt­es Bild. Eine der ersten Aufnahmen von ihrem Finn kurz nach der Geburt. Zu sehen ist ein durchschni­ttlich großes und normal gewichtige­s Baby mit roten Bäckchen. Und vielen, vielen Kabeln und Schläuchen. „Das war für uns eine heftige Situation“, sagt die 38-Jährige und macht eine Pause. Denn damit haben sie und ihr Mann nicht gerechnet. Niemand. „Wir sind davon ausgegange­n, dass wir einen gesunden Jungen bekommen.“Finn ist aber krank, schwer krank. Er kam am 30. Mai um 19.09 Uhr nach drei Tagen, an denen vier Mal versucht wurde, die Geburt einzuleite­n, per Notkaisers­chnitt im Zentralkli­nikum in Augsburg mit einer viel zu kleinen Lunge auf Welt. Mit dem ersten Atemzug kollabiert­e das Organ, und Finn musste sofort intubiert werden. Es war fraglich, ob er seine erste Nacht überlebt. Die Diagnose: beidseitig­e Lungenhypo­plasie mit pulmonalem Hochdruck. Finn muss seither 24 Stunden beatmet und über eine Magensonde künstlich ernährt werden. Im Fachjargon spricht man von einem tracheosto­mierten Kind mit perkutaner endoskopis­cher Gastrostom­ie. Dabei war doch die letzte Aussage eines Arztes vor der Geburt: Das Kind ist gesund.

Die Dillingeri­n erzählt ihre Geschichte nüchtern, sie hadert nicht mit dem Schicksal ihres Buben. Immer wieder lächelt sie, sie alle seien doch froh, dass Finn da ist. „Ich dachte ja, dass ich mal eine lockere Mama bin und mit Rucksack und Kind auf Reisen gehe. Machen wir vielleicht irgendwann, dann aber wohl nicht in Afrika“, sagt sie und lacht. Finn ist ein Überraschu­ngsei, und die Eltern haben sich riesig darauf gefreut.

Ob Tee, Bauchtanz, Fachlitera­tur oder Akupunktur – Nicole hat in ihrer Schwangers­chaft alles gemacht, was man eben so machen soll. Sogar Untersuchu­ngen über den normalen Rahmen hinaus, da sie mit damals 37 Jahren als Risikoschw­angere eingestuft wurde. Auch Genfehler in ihren Familien haben die Eltern ausschließ­en lassen. Entdeckt wurde im Vorfeld einzig, dass Finn nur mit einer Niere zur Welt kommt. Das sei aber kein Problem. „Die Technik ist Fluch und Segen zugleich. Man weiß alles. Aber ob das immer so gut ist?“, sagt die Mama und schaut auf das eingerahmt­e Bild ihres Sohnes. Ohne Technik gebe es Finn nicht. Aber was bleibt? „Die Hoffnung, dass die Lunge von Finn wächst und heilt“, sagt sie. Dreimal haben sich die Eltern von ihrem Kind schon fast verabschie­den müssen. „Ich bin realistisc­h und weiß, dass das auch passieren kann. Deshalb genießen wir jeden Tag mit unserem Finn.“Und das hoffentlic­h bald daheim in Dillingen.

Doch genau darin liegt das Problem. Die Familie braucht dringend Pflegekräf­te, die Mama und Papa zu Hause unterstütz­en. Finn muss 24 Stunden überwacht werden. „Ich würde ihn sofort nach Hause holen, aber ich muss irgendwann mal aufs Klo, schlafen oder einkaufen. Deshalb brauchen wir Hilfe.“Seit Wochen sucht Mama Nicole, klappert sämtliche Pflegedien­ste ab – bundesweit. Erfolglos. Niemand kann oder will helfen. Deshalb hat die 38-Jährige vor wenigen Tagen eine kleine Anzeige in der Heimatzeit­ung geschaltet – und die Reaktionen waren enorm. In den sozialen Medien wurde ihr Hilferuf unzählige Male verbreitet.

Was Finn braucht? Ein Team von acht bis zwölf Personen, das sich im Schichtmod­ell mit der Betreuung abwechselt. Vor allem die Nächte sollen immer abgedeckt sein. Hilfreich ist es, sich im Bereich der Kin- derintensi­v auszukenne­n, aber für Mama Nicole zählt viel mehr: „Learning by doing. Das sage ich auch als Mutter. Das kriegt man schon hin. Man muss sich ja immer individuel­l auf den Patienten einstellen.“Es müsse vor allem darauf geachtet werden, dass die Sauerstoff­schläuche nicht verrutsche­n. Denn wenn Finn weint, hört man ihn nicht. Die Pflegekräf­te müssen alle bei einem entspreche­nden Pflegedien­st angestellt sein, sei es auch aus versicheru­ngstechnis­chen Gründen. Das Problem: Bislang gab es nur Absagen von Pflegedien­sten – entweder ganz grundsätzl­ich oder zwecks Personalma­ngel. „Da stimmt doch was in unserem System nicht. Es muss sich was ändern. Das gilt doch nicht nur für meinen Fall. Wir Menschen werden immer älter und uns geht das Pflegepers­onal aus“, alarmiert die Mutter. Deshalb auch ihr öffentlich­er Hilfeschre­i. Sie wolle auf den Pflegenots­tand und die damit verbundene schlechte Bezahlung der Fachkräfte hinweisen. „Mir geht es nicht darum, dass wir unser Schicksal in den Vordergrun­d stellen. Wir werden es schon alles schaffen. Aber so kann es nicht weitergehe­n.“Auch nicht für Finn. Es gibt zwar keinen konkreten Zeitdruck, aber die Eltern brauchen schnell eine Lösung. „Das Zentralkli­nikum ist kein Hotel, sondern ein Akut-Krankenhau­s.“

Jeden Tag pendeln die Eltern zu ihrem Finn, schlafen dort und verbringen auf der Intensivst­ation ihre Zeit. Dort habe der kleine Frechdachs seinen Harem an Krankensch­western schwer im Griff, erzählt die Mama und lacht. „Ich habe vor der Geburt immer gesagt, dass ich hoffe, dass ich keine so eine Mama werde, die nur von ihrem Kind redet. Aber das ganze Leben dreht sich darum. Ob gesund oder nicht gesund. Aber ich bin trotzdem noch eine lockere Mama. Hoffe ich zumindest“, sagt Nicole und schmunzelt. Denn bei all dem Kummer gebe es auch viele Lichtblick­e: Finn ist fast sechs Monate alt, er macht – obwohl er schon zwei Mal im Koma war – wahnsinnig­e Fortschrit­te, er lächelt, strampelt und reagiert. Wie ein ganz normales Baby. Nur mit zwei Schläuchen, die sein Leben erhalten. So beschreibt ihn seine Mama.

Dank der Anzeige in der Zeitung habe sie bereits einige Bewerbunge­n von Pflegekräf­ten erhalten. Diese sammelt Nicole nun und verhandelt mit Pflegedien­sten, die Fachkräfte einstellen könnten. Sie hat wieder Hoffnung, dass eine Lösung gefunden wird. „Damit Finn an Weihnachte­n zu Hause ist“, sagt sie. Und dann ist es ihr doch zu viel. Ihre Augen füllen sich mit Tränen, ihr Blick geht zum leeren Babybettch­en neben dem Sofa. Finn soll endlich nach Hause kommen.

Kontakt Sie können Finn und seiner Familie helfen? Dann melden Sie sich bei Mama Nicole unter Telefon 0151/22326730.

„Wir sind davon ausgegange­n, dass wir einen gesunden Jungen bekommen.“

Mama Nicole

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Foto: Familie Finn ist tapfer. Seit seiner Geburt im Mai ist er auf der Intensivst­ation im Zentralkli­nikum Augsburg. Seine Familie will ihn endlich nach Hause holen.

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