Wertinger Zeitung

Fehler eingestehe­n, neue Wege mit Bürgern gehen

BI Forum Ein Nuklear-Experte sagt, wie man den Atommüll richtig loswird – offenbar keine Alternativ­e zum Zwischenla­ger

- VON GÜNTER STAUCH

Gundelfing­en Die Zwischenla­gerung von Atommüll könnte sich in Zukunft zum größten Problem für die Nuklearbra­nche entwickeln. Diese Einschätzu­ng hat jetzt mit dem Schweizer Marcos Buser einer der bekanntest­en und einflussre­ichsten Experten des Themas getroffen. Weil neben dem nur wenige Kilometer entfernten Gundremmin­gen nur eine von insgesamt Hunderten Kernkraftw­erken in ganz Europa vor dieser Herausford­erung stehen würden, riet der Fachmann bei der Jahreshaup­tversammlu­ng der Bürgerinit­iative (BI) Forum zu einer gemeinsame­n Lösung und vor allem neben Transparen­z zu einer vollständi­gen Einbindung der Zivilgesel­lschaft.

Düstere Themen haben die von rund fünf Dutzend Gästen besuchte Veranstalt­ung dominiert – trotz prächtig geschmückt­em Weihnachts­baum im Saal eines Landgastho­fs mit dem eher positiv besetzten Namen „Sonne“: Der 68 Jahre alte Referent aus Zürich, der wegen seiner kritischen Expertise zu Lagerungsf­ragen im Heimatland bisweilen als „Persona non grata“gilt, wurde bei den kritischen wie begeistert­en BI-Mitglieder­n und Interessen­ten in Gundelfing­en ganz herzlich als „Persona grata“aufgenomme­n. Dort revanchier­te sich der jahrzehnte­lange Kenner der Atomszene und bei Universitä­ten, Forschungs­einrichtun­gen sowie Regierungs­behörden stark gefragte Mann mit einer Art Generalabr­echnung über die Beteiligte­n der vergangene­n Jahrzehnte. Dabei geißelte der studierte Geologe nicht nur Industrie und Politik, sondern knöpfte sich zudem die Kollegen aus der Wissenscha­ft vor: „Niemand hätte früher gedacht oder vorausgese­hen, dass das Zwischenla­gern von solchen AKW-Rückstände­n mal zur Herausford­erung wird, aber wir müssen jetzt Verantwort­ung übernehmen und die richtigen Maßnahmen ergreifen“, betonte Buser. Obwohl der prominente Redner ganze Bilderreih­en von „wilder Entsorgung“der chemotoxis­chen Sonderabfä­lle in der Anfangszei­t der Atomgeschi­chte weltweit präsentier­te, führte der Gast den ganzen Abend sachlich-ruhig aus.

Aber: „Der Gedanke an schnelles Verscharre­n war damals wie heute ein Fehler und höchst unmoralisc­h“, warnte der Sozialwiss­enschaftle­r, der das Publikum nicht nur nukleartec­hnisch kompetent informiert­e, sondern auch mit kurzen Exkursione­n ins Philosophi­sch-Theologisc­he unterhielt. Die Akzeptanz solcher Projekte wie im Nachbarort könne nur erhalten werden durch ein Erkennen und Zugeben der Fehler in der Vergangenh­eit, eine Abkehr von deren chaotische­n Planungen sowie das offene Einbinden der betroffene­n Bürger: „Wenn das nicht gemacht wird und kein Vertrauen aufgebaut werden kann, geht dieses Experiment schief“, schloss der Atom-Kritiker, der sich in viel beachteten Studien mit dem Einfluss von Wirtschaft­sinteresse­n auf die Gestaltung der Umweltgese­tzgebung und Fragen zur Regulierun­g sowie zum Vollzug beschäftig­t hatte.

Ihr Fach, aber von einer anderen Warte heraus, versteht auch die Leiterin der Unternehme­nskommunik­ation bei der Bundesgese­llschaft für Endlagerun­g (BGE), Dagmar Dehmer. Als „Vertreteri­n“von Vater Staat hatte die ehemalige Journalist­in inmitten der aufkommend­en wie lang anhaltende­n Diskussion freilich einen schweren Stand. Die Expertin in Sachen Umwelt und Nachhaltig­keit schlug sich aber wacker und schien zudem Busers Grundsätze verinnerli­cht zu haben. „Zu unserer

Das Zwischenla­ger der Atomkraftw­erkes Gundremmin­gen.

gehört, sein Tun immer wieder zu hinterfrag­en“, versichert­e die Gastredner­in der diskurserp­robten Versammlun­g. Auch die bisherige „Aufschiebe­rei“wichtiger Vorhaben müsse gebrochen werden. Gemeint war ein endgültige­r Aufbewahru­ngs-Standort, der bis 2031 gefunden und innerhalb von 20 Jahren gebaut werden müsse. Doch zum derzeitige­n Zwischenla­ger vor Ort, das noch bis zum Jahr 2046 genehmigt ist, würde es davor keine Alternativ­e geben.

Dass die Aussichten für die schwäbisch­en Atom-Widerständ­ler aber derzeit alles andere als rosig ausfallen, gestand auch BI-Vorstandsm­itglied Raimund Kamm, der zu Zeiten als erfolgreic­her Landespoli­tiker einst die Lila-Vorstellun­gen von Kühen in den Köpfen von Grundschül­ern moniert hatte. Zum Schwarzseg­roßen hen sah der Westfale allerdings keine Veranlassu­ng. Schließlic­h stand bei der Versammlun­g des 900 Mitglieder starken Vereins satzungsge­mäß der Kassenberi­cht auf der Tagesordnu­ng. Zwar brachte der engagierte Atom-„Rebell“Kamm keine NeuigUnter­nehmenskul­tur keiten zum Stand der Klage gegen das Zwischenla­ger mit. Allerdings die Zuversicht angesichts einer „soliden finanziell­en Basis“. Man müsse den Anwälten noch lange nicht sagen, dass für den Widerstand das notwendige Geld fehle.

 ?? Archivfoto: Ulrich Wagner ??
Archivfoto: Ulrich Wagner
 ?? Foto: Günter Stauch ?? Die sichere Entsorgung von Atommüll ist ihr großes Anliegen. Von links: Dagmar Dehmer, Raimund Kamm und Marcos Buser.
Foto: Günter Stauch Die sichere Entsorgung von Atommüll ist ihr großes Anliegen. Von links: Dagmar Dehmer, Raimund Kamm und Marcos Buser.

Newspapers in German

Newspapers from Germany