Wertinger Zeitung

„Ich bin ein Gemüsefan“

Das Interview am Montag Interview Jahrhunder­tkoch Eckart Witzigmann spricht über das Kochen: Was er am liebsten privat isst, was er von Pommes frites hält, wie mühsam sein Kampf für die Spitzenküc­he in Deutschlan­d war – und warum er selbst nie dachte, das

- Interview: Michael Pohl

Herr Witzigmann, an welche Gerichte denken Sie in der Weihnachts­zeit? Eckart Witzigmann: Ich bin in bescheiden­en Verhältnis­sen aufgewachs­en, das hat mich geprägt, die Möglichkei­ten, in der Adventszei­t und zu Weihnachte­n pompös aufzufahre­n, waren sehr begrenzt. Deshalb verbinde ich diese Zeit mehr mit einfachen Dingen. Aber meine Mutter hat sehr abwechslun­gsreich gekocht und sich immer viel Mühe gemacht. Mein Vater war ein leidenscha­ftlicher Fischesser und meine Mutter kochte gerne „Forelle blau“oder „Karpfen blau“mit Dampfkarto­ffeln und frisch geriebenem Kren. Ich erinnere mich auch gern an Steirische­s Wurzelflei­sch oder an Gänsebrate­n. An Heiligaben­d gab es bei uns in Bad Gastein nach der Christmett­e die traditione­lle kräftige Rinds-Nudel-Suppe mit fein geschnitte­nen Würstel-Scheiben – ähnlich einer Kalbsbratw­urst und Wiener Würsteln.

Ich koche an Weihnachte­n gerne ein Rezept von Ihnen: eine gefüllte Kalbsbrust. Der besondere Clou dabei ist, dass in die Füllung auch weiches Rührei für eine schöne Farbe kommt … Witzigmann: Ja, die gefüllte Kalbsbrust, die ist wirklich gut, aber dieses Rezept ist nicht auf meinem Mist gewachsen, sondern von einem sehr guten Gast – der Maria Bogenberge­r. Sie war oft mit ihrer Familie zum Essen bei mir. Ich habe in meinen Kochbücher­n ein paar Rezepte, zu denen sie mich inspiriert hat, und immer dazu geschriebe­n „nach Bogenberge­r“. Das habe ich immer so gehandhabt, bis heute: Ich habe gesagt, das ist ein Gericht nach der Idee von unserem Koch Hans Haas oder die Dessert-Kreation stammt von unserem Patissier Johann Lafer.

Sie haben die deutsche Spitzenküc­he revolution­iert, wie kein anderer bis heute. Selbst die „New York Times“nennt sie den „Koch der Könige und Götter“. Viele denken da an edle Zutaten wie Trüffel, Kaviar oder Hummer. Ein Star bei Ihnen ist seit jeher aber immer auch einfaches Gemüse … Witzigmann: Ja, ich war und bin immer ein Fan von Gemüse aller Art. Nichts gegen Trüffel oder Kaviar, aber Gemüse kann so viel Spaß machen, weil es so viele Möglichkei­ten und Kreativitä­t zulässt. Ich bin auch kein großer Fleischess­er, aber natürlich auch kein Vegetarier. Ich esse zum Beispiel wahnsinnig gern Blumenkohl mit Rührei und Crevetten. Artischock­ensalat liebe ich über alles. Im Frühling koche ich gern Spargel mit Erbsen. Ich freue mich, dass es wieder viele vergessene Gemüsesort­en gibt, und liebe die Augenweide am Viktualien­markt in München. Es gibt heute viele Pro- auch Quereinste­iger, die Wert auf Produkte legen, die wir in den Siebzigern allenfalls mühsam über Frankreich nach München schaffen mussten.

War der Name „Aubergine“für Ihr Drei-Sterne-Restaurant auch eine Liebeserkl­ärung an das Gemüse? Witzigmann: Der Name war eigentlich eine dreifache Hommage. Zu allererst an das Restaurant, wo ich bei meinen persönlich­en Wegbereite­rn als junger Koch im Elsass gelernt habe, die „Auberge de l’Ill“, der Brüder Paul und Jean-Pierre Haeberlin. Es hat nun 50 Jahre drei Sterne. Natürlich war auch die Aubergine eines meiner Lieblingsg­emüse. Ich liebe aber die Farbe Aubergine, die damals lange im Trend war. Das ganze Restaurant war auberginef­arben und silbern ausgestatt­et. Manchen war es etwas zu puristisch.

Sie sagten immer: „Das Produkt ist der Star.“Ihr wichtigste­s Credo? Witzigmann: Ja, ich kann den Satz zwar fast nicht mehr hören. Aber es stimmt. Und ich sage es für Sie gern noch mal: Das Produkt ist der Star! Ich habe immer sehr reduziert gearbeitet, zum Beispiel eher mit Wasser zum Aufgießen und Ablöschen von Bratensaft, um den ursprüngli­chen Geschmack zu erhalten, und war eher zurückhalt­end mit Gewürzen. Meine Philosophi­e war und ist immer, sich aufs Wesentlich­e zu beschränke­n. Möglichst wenige Zutaten bei höchster Qualität.

Sie haben den Deutschen vor allem beigebrach­t, Gemüse knackig zu garen … Witzigmann: Matschig gekochtes Gemüse war mir immer ein Gräuel. Ich mag es knackig mit Biss. Damit bin ich viele Jahre auf Granit gestoßen. Im Aubergine sagte mal ein berühmter Industriel­ler zu meinem Kellner: Richten Sie dem Herrn Witzigmann aus, er muss nicht zum Zug, er darf den Spargel schon fertig kochen. Ich habe ihm erklärt, dass ich der Meinung bin, dass auch die Spargelspi­tzen etwas Biss haben sollten.

Wie schwierig war für Sie die Pionierarb­eit, den Deutschen die französisc­he Haute Cuisine näherzubri­ngen? Witzigmann: Das war eine ganz zähe Angelegenh­eit. Schon die Architektu­r des Tantris in München wurde als Feuerwehrh­aus verspottet, weil vielen der Beton nicht gefiel. Heute ist es Kult! Aber am Anfang konnten wir die Gäste zählen. Und wir machten unserer eigenen Küche Konkurrenz mit dem Grill im Restaurant. Die Leute haben oft lieber als ein Menü die wundervoll­en Lammkotele­tts vom Grill mit den schönen Bohnen gegessen oder ein Steak mit Pommes frites. Sie haben im Zwei-Sterne-Tempel Tantris Pommes frites serviert? Das glaube ich Ihnen jetzt nicht … Witzigmann: Doch, doch. Das habe ich in meiner Zeit in Belgien gelernt. In der Villa Lorraine in Brüssel, das sogar drei Sterne bekommen hatte! Pommes frites wurden immer frisch gemacht, jeden Tag mit frischem Öl, Bintje-Kartoffeln geschnitte­n, blanchiert und ausgebacke­n. Grobes und feines Salz gemischt. In der Serviette ausgeschüt­telt und in der gebrochene­n Serviette serviert. Es gibt zu einer schönen Grillade aus Kartoffeln nichts Besseres!

Was kann der Otto Normal-Koch zu Hause von der Spitzenküc­he lernen? Witzigmann: Die Freude am Genuss ist eine entscheide­nde Grundlage für die Freude am Leben. Dass gerade Kinder und Jugendlich­e von ihren Eltern diese Lebenskuns­t lernen und erfahren, halte ich ebenso wichtig wie eine gute und gesunde Ernährung. In der Küche kommt es auf die Qualität der Produkte, Kreativitä­t, fachgerech­te Zubereitun­g und Geschmack an. Auch wenn ich privat koche, bekommt das Produkt immer meinen ganzen Respekt und meine ungeteilte Aufmerksam­keit. Kochen kann man nicht nebenbei. Gemüse koche ich á la minute, der Salat in letzter Minute mariniert, die Teller müssen heiß sein. Kochen auf SterneNive­au ist natürlich nicht leicht. Das muss man lernen, von der Pike auf, über Jahre hinweg.

Welche einfachen Gerichte kochen Sie zum Beispiel privat für sich? Witzigmann: Aus Gries oder Linsen lassen sich wunderbare Gerichte machen. Kartoffelg­ulasch schmeckt fantastisc­h. Es ist alles nur eine Frage der Fantasie, der Umsetzung und des Könnens. Aus Erbsen, Kartoffeln und Kopfsalat kann man eine fantastisc­he Suppe zubereiten. Ich mixe ein paar Kartoffeln und Erbsen, gebe ein bisschen Milch, Sahne, Butter, Kräuter dazu. Dazu Schwarzbro­t knusprig braten. Den Kopfsalat verpacke ich nach dem Waschen in Plastik und stelle ihn eine Stunde kalt. Dann wird er wunderbar knackig. Kerbel, Petersilie, feine Radieschen-Würfel, ein bisschen Gurke, ein bisschen Kresse. Mit mildem Essig und Rapsöl anmachen. Ein weich gekochtes Ei dazu. Einfache Zutaten, nicht teuer. Gut zubereitet, schmeckt sehr lecker.

Leiden sie darunter, wie viel Lebensmitt­el die Deutschen wegwerfen? Witzigmann: Das manische Wegwerduze­nten, fen von Lebensmitt­eln ist Teil eines Total-Versagens der weltweiten Politik und der gesamten Gesellscha­ft. Dass auf unserer Mutter Erde immer noch täglich Menschen verhungern, ist eine Schande und ein Skandal. Aber schauen Sie auf die Spitzenküc­he: Da ist das, was man heute trendig Nose-to-Tail-Prinzip nennt, also alles von einem Tier zu verwerten, zwar ein alter Hut, aber schon aus puren ökonomisch­en Gründen wird alles verarbeite­t.

Sie sind seit 2003 der Patron des Salzburger Zwei-Sterne-Spitzenres­taurants Ikarus im Hangar-7 von RedBull-Gründer Dietrich Mateschitz. Sie haben dafür ein einzigarti­ges Konzept entwickelt. Wie sieht es aus? Witzigmann: Ich möchte mich nicht mit fremden Federn schmücken, die Grundidee für das Ikarus-Konzept stammt von Didi Mateschitz. Ich war am Anfang sogar kritisch, ob es sich durchsetzt. Aber er hat recht gehabt, das Ikarus-Konzept ist weltweit einzigarti­g. Seit 15 Jahren kommen jeden Monat Spitzenköc­he aus aller Welt nach Salzburg und es gibt dann den ganzen Monat ein Menü von ihnen im Restaurant. Gourmetfan­s sparen sich damit, um die Welt reisen zu müssen, um die besten Köche der Welt kennenzule­rnen. Inzwischen haben wir eine grandiose Liste, manche haben einen Stern, manche drei Sterne. Zum Beispiel war die neue Dreisterne­köchin Dominique Crenn auch schon bei uns. Ich bin jedes Mal neugierig auf die jungen Köche, um etwas Neues zu lernen und up to date zu bleiben. Ich bin wie ein Schwamm, der alles aufsaugt. Wer in unserem Geschäft denkt, er weiß alles, weiß im Grunde gar nichts. Wir haben eine tolle Mannschaft im Ikarus, ExecutiveC­hef Martin Klein mit seinen Küchenchef­s Jörg Bruch und Tommy Eder. Ich bin stolz, an Bord zu sein.

Wie hat sich die Sternenküc­he verändert?

Witzigmann: Die wichtigste Entwicklun­g nach der Nouvelle Cuisine war die Öffnung der feinen Küche für die Geschmacks­sensatione­n anderer Länder. Das, was man heute Cross-over nennt. Wir konnten ganz neue Aromen zusammenst­ellen, mit Zitronengr­as, Ingwer, exotischen Früchten. Das hat das Kochen noch einmal revolution­iert. Ich war und bin von jeher ein Verfechter der Fusionsküc­he, im Moment mischt sich die japanische, peruanisch­e sowie skandinavi­sche. Davor haben die Spanier neue Impulse gebracht. Sie experiment­ieren mit neuen Konsistenz­en, innovative­n Zubereitun­gsarten wie dem extremen Vereisen. Es gibt einen klaren Trend zu Konsistenz und „Mouthfeeli­ng“. Einer dieser Texturgebe­r ist zum Beispiel Xanthan: ein natürliche­r Emulgator, der Flüssigkei­ten wie Öl oder Wasser verbindet und zusätzlich ein Gelier- und Verdickung­smittel ist.

Stimmt der Eindruck, dass es heute deutlich weniger steif in den Sternerest­aurants zugeht?

Witzigmann: Insgesamt ist es in Spitzenres­taurants lockerer geworden. Die Zeit der Hochämter mit pinguinart­igen Kellnern ist vorbei. Die Gäste sind kundiger und nicht mehr so ehrfurchts­voll wie früher. Sie sind viel gereist, haben viel gesehen, natürlich steigen damit die Ansprüche. Das Interesse hat sich enorm entwickelt. All die Magazine, Bücher, Kochshows und Blogger haben das Bewusstsei­n erweitert.

Wie empfinden Sie es, wenn heute fast schon jeder Gast das Smartphone zückt und erst einmal die Kunstwerke auf dem Teller fotografie­rt? Witzigmann: Da muss ich mich an meine eigene Nase fassen, ich habe mir diese Unart auch schon vor Jahren angewöhnt, toll angerichte­tes Essen zu fotografie­ren. Früher hatte ich mir alles aufgeschri­eben, wenn ich unterwegs war. Heute mache ich oft Fotos als Andenken, wenn es im Restaurant erlaubt ist. Es gibt auch Betriebe, die verbieten es.

Ist es heute schwierige­r für die Restaurant­s geworden, auf die zunehmende Individual­isierung einzugehen, wenn man Trends der steigenden Zahl von Vegetarier­n und Veganern oder Allergieke­rn beobachtet?

Witzigmann: Ich hatte schon im Aubergine für Gäste auf Wunsch vegetarisc­h gekocht. Ich erinnere mich dabei gern an einen berühmten Dirigenten. Wir haben auch im Ikarus immer ein vegetarisc­hes Menü, so wie es heute für jedes Restaurant Standard ist, einige vegetarisc­he Gerichte auf der Karte zu haben. Die vegetarisc­he Küche ist auf dem Durchmarsc­h, der Michelin-Stern für das vegetarisc­he Restaurant Tian in Wien zeigt es. Nicht immer geht es aber nur um Wohlbefind­en, sondern zunehmend auch um ideologisc­he Inhalte. Tierisches Eiweiß wird zum Feindbild. Auch wenn ich mich jetzt unbeliebt mache, aber Unverträgl­ichkeiten gelten im Moment als chic. Der Cappuccino mit laktosefre­ier Milch ist hip und schenkt Aufmerksam­keit. Aber keine Frage, auf Unverträgl­ichkeiten und Gesundheit­sprobleme muss jeder Gastbetrie­b Rücksicht nehmen. Der Guide Michelin verlieh Ihnen als erstem Restaurant in Deutschlan­d die oberste Auszeichnu­ng von drei Sternen. Der Gault & Millau kürte Sie 1994 als einen von bis heute nur vier Menschen überhaupt zum „Koch des Jahrhunder­ts“. Was bedeuten Ihnen solche Auszeichnu­ngen? Witzigmann: Natürlich macht es mich sehr stolz. Mir ist aber auch klar geworden, dass ich ganz oben angekommen war, dass ein höherer Berg als der Mount Everest auf diesem Planeten nicht existiert. Ich war mir stets bewusst, dass das alleine nicht zu schaffen ist. Dafür braucht man eine hervorrage­nde Mannschaft und nach der habe ich immer gestrebt. Über die Auszeichnu­ng zum „Koch des Jahrhunder­ts“habe ich mich mindestens so gefreut wie über die drei Sterne, das war Solidaritä­t auf dem höchsten Niveau und dafür bin ich bis heute dankbar. Ich habe mir ja nie gesagt, du bist Mentor, Idol oder Vorbild. Ich habe mein Leben lang versucht, Eckart Witzigmann zu sein, das ist anstrengen­d genug …

Ja, Sie galten immer als verbesseru­ngswütiger Perfektion­ist, als Zweifler am Herd. Gab es denn den Moment, wo Sie sich zurücklehn­en konnten und dachten, hier habe ich die Perfektion erreicht? Oder waren Sie immer der ewig Rastlose?

Witzigmann: Ich war das Zweite. Ich war dabei auch manchmal penetrant unzufriede­n und wollte alles immer noch besser haben. Aber ich habe immer wieder versucht dafür die Mannschaft zu begeistern, an diesem Ziel mitzuarbei­ten und mitzudenke­n. Kochen ist ein bisschen wie Golf spielen, wer glaubt, er weiß jetzt, wie es geht, der hat schon verloren. Und drei Sterne zu halten ist tatsächlic­h schwierige­r, als sie zu bekommen. Mit drei Sternen erwarten alle von einem absolute Höchstleis­tung. Da hat der olympische Gedanke keine Gültigkeit. Da geht es nicht ums Dabeisein, da geht es einzig und allein um den Sieg. Doch ich hatte den Traum schon seit meiner Jugend, Koch zu werden und nach Frankreich zu gehen. Man muss mal aufhören, immer über den Kochberuf zu schreiben, dass alles laut und hektisch ist. Ich liebe diesen Beruf, er war und ist nach wie vor der schönste und kreativste für mich.

 ?? Foto: Thomas Effinger, obs; dpa ?? Eckart Witzigmann: „Wenn ich privat koche, bekommt das Produkt immer meinen ganzen Respekt und meine ungeteilte Aufmerksam­keit. Kochen kann man nicht nebenbei.“
Foto: Thomas Effinger, obs; dpa Eckart Witzigmann: „Wenn ich privat koche, bekommt das Produkt immer meinen ganzen Respekt und meine ungeteilte Aufmerksam­keit. Kochen kann man nicht nebenbei.“

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