Wertinger Zeitung

Du bist ein Engel!

Serie Walter Bleß aus Dillingen war unheilbar krank. Doch jetzt ist der 66-Jährige wieder fit, gilt als geheilt. Er sagt, er verdankt das vor allem seiner Frau Erika. Er sagt, sie ist sein Engel

- VON RAINER REMMELE, GEISTLICHE­R DIREKTOR DER REGENSWAGN­ER-STIFTUNGEN DILLINGEN

Du bist ein Engel! Da bewahrt mich jemand vor einer Gefahr, vor einer Dummheit … Du bist ein Engel! Da kommt mir jemand in einer Not zur Hilfe, einfach so, … Du bist ein Engel! Da bringt mich jemand in einer verworrene­n Situation auf den richtigen Gedanken, auf die rettende Idee … Du bist ein Engel. Da teilt jemand auf einer Radtour, bei einer Wanderung sein Brot, seinen Apfel, seinen letzten Schluck Wasser mit mir … Du bist ein Engel! Da riskiert jemand für mich sein Leben … Du bist ein Engel. Da verwöhnt mich jemand nach Strich und Faden und lässt mich spüren, dass ich für ihn einmalig bin, einfach ein Geschenk …

Du bist ein Engel! Kann ich einem Menschen ein schöneres Kompliment machen? Ein Engel ist ja nicht irgendwer. Ein Engel ist ein Bote Gottes. Mit einem Engel kommt etwas Göttliches, kommt Gott in meine Welt und in mein Leben. Engel kommen eben aus einer anderen Welt. In dieser so anderen Welt, da zählt der Mensch und nicht das Geld. Leistung, Macht und Ansehen spielen keine Rolle. Abstammung und Religionsz­ugehörigke­it sind nebensächl­ich. Der Einzelne, seine Lebensgesc­hichte und Bedürfniss­e stehen im Mittelpunk­t. Engel stehen für ein Miteinande­r. Das DU und das WIR werden großgeschr­ieben, nicht das ICH. Vergeben und Verzeihen ist ihnen wichtiger als das Rechthaben. „Was tut Dir gut?“, „Womit kann ich Dir dienen?“, all das sind Fragen, die einem echten Engel leicht über die Lippen kommen. Dort, wo Engel herkommen, da hat man ein Ohr für die leisen Töne und einen Blick für die Kleinen und Schwachen. Immer dann, wenn ein Engel in mein Leben tritt, berührt der Himmel die Erde, ist Gott mir nahe. Das ist gut, das tut gut. Und das wollen wir doch alle miteinande­r: Den Himmel zur Erde und das Göttliche zur Welt bringen.

Ich bin sicher, dass auch Sie in ihrem Leben schon ganz vielen Engeln begegnet sind. Und ich bin mir sicher, dass Sie schon für so manchen Menschen ein Engel waren und sind. Gott sei Dank gibt es sie auch heute noch in Scharen, die Engel, in der Freiwillig­en Feuerwehr, beim Roten Kreuz, in der Bergwacht oder bei der Polizei, von den Gelben Engeln ganz zu schweigen. Es gibt sie aber auch in den Krankenhäu­sern und Altenheime­n, in der Begleitung von Menschen mit Behinderun­g und im Hospiz. Flüchtling­en stehen sie ebenso zur Seite wie Obdachlose­n. Und weil Armut keine Schande ist, decken sie für viele die Tafel. Kinder und Eltern sind einander Engel. Ehrenamtli­che und Hauptamtli­che stehen sich im Engel-Sein in nichts nach. Es sind Engel, die einen im Stau mit dem Auto einfädeln lassen und die einem bei Wind und Wetter die Zeitung in aller früh ins Haus bringen. Es sind Engel, die einem in schweren Stunden des Lebens die Hand halten oder die tatkräftig mit anpacken. Das ganze Jahr profitiere­n wir vom Wirken all dieser großen und kleinen Engel. Da wird es Zeit, dass wir wenigstens jetzt im Advent innehalten und nachspüren, wie arm unsere Welt ohne all diese Engel wäre und wie göttlich sie dank all dieser Engel ist. Vielleicht sagen wir einander einfach, was wir fühlen: Du bist ein Engel!

Engel müssen nicht überirdisc­h sein. „Ach, du bist ein Engel“, sagt man zu einem Menschen, dem man besonders dankbar ist. Wir suchen Menschen, die einen Engel haben, und sich bei ihm bedanken möchten. Oder eben Menschen, die für andere Engel sind, wie Erika Bleß für ihren Mann Walter. Dillingen „Ich habe einen Engel: Meine Ehefrau.“Mit diesen Worten begann eine E-Mail von Walter Bleß an unsere Zeitung. Darin erzählt der 66-Jährige seine Geschichte. Im Februar 2017 erhielt der Dillinger eine fürchterli­che Diagnose. Wegen einer Thrombose im rechten Bein kam er ins Krankenhau­s. Nach einer Röntgenauf­nahme stand fest: Neben der Thrombose litt der heute 66-Jährige auch an einer beidseitig­en arterielle­n Lungenembo­lie. „Schon damals kam seitens meiner Frau der Kommentar: „Wir zwei kriegen das hin, wir schaffen das schon.“Wenige Wochen nach der Entlassung folgte aber eine weitere Hiobsbotsc­haft: In einer Münchner Lungenklin­ik wurde Walter Bleß operiert, dabei fiel seine Lunge zusammen. Er wäre fast gestorben. Danach wurde eine Lungenfibr­ose diagnostiz­iert. Der Rentner erfuhr, dass dabei sein Lungengewe­be immer mehr vernarbt, was die Funktion des Organs einschränk­t. Die Krankheit sei definitiv nicht heilbar. Man müsse versuchen, den aktuellen Zustand zu halten, besser werde es nicht mehr. „Einen Tag später stand meine Frau neben meinem Bett und sagte zur mir: Das kriegen wir auch hin“, schrieb Walter Bleß uns in seiner E-Mail.

Entlassen wurde der Rentner mit der Auflage, 16 Stunden täglich flüssigen Sauerstoff einzunehme­n. „Mir ging es damals alles andere als gut, aber meine Frau half mir und unterstütz­te mich, wo sie konnte. Es kam niemals ein negativer Kommentar über ihre Lippen.“Die Krankheit sei kaum erforscht, man wisse nicht, woher sie kommt. Nur, dass sie unheilbar ist. Doch im Dezember 2017 beendeten die Ärzte die Sauerstoff- Therapie. Einen Monat später durfte Bleß auch die schweren Medikament­e absetzen. „Nach einer erneuten Lungenaufn­ahme wurde festgestel­lt, dass keine Vernarbung­en mehr vorhanden sind. Ich bin“, schrieb er in seiner Mail, „welch ein Wunder, geheilt.“

Szenenwech­sel, wir treffen Familie Bleß. Seit 36 Jahren ist das Ehepaar verheirate­t, die Kinder sind inzwischen außer Haus. „Ich habe ihn immer feste mitgezogen“, sagt Erika Bleß, schaut ihren Mann an und lacht. Aufgeben, das ist für die 60-Jährige undenkbar. „Wenn es irgendwo nicht weitergeht, dann beiß’ ich mich durch. Grad mit Fleiß. Man darf sich nicht unterkrieg­en lassen, egal, was kommt“, sagt sie. Schon ihre Mutter sei so gewesen, als der Vater 1962 starb und sie mit vier Töchtern zurückließ, gab sie trotzdem nicht auf. Erikas drei Schwestern stecken auch voller Zuversicht und Optimismus, sagt die 60-Jährige. Als Walter Bleß in der Lungenklin­ik lag, das sei nicht leicht gewesen. „Aber ich hab gesagt, los jetzt!“, erinnert sich Erika Bleß. Anfangs gingen die beiden viel spazieren. Dann der erste Besuch seit der Erkrankung im Eichwaldba­d. Jahrelang war der 66-jährige Rettungssc­hwimmer bei der DLRG, jetzt schaffte er nicht mal eine Bahn. Doch seine Frau gab nicht nach. Zog ihn zudem an jedem Sommertag morgens zum Kneippen. Heuer waren beide am Tegernsee wandern. Drei Stunden bergauf. „Da hatte ich dann doch Bedenken“, gesteht Erika Bleß. Doch mit vielen Pausen und einer guten Brotzeit schafften es die beiden auf den Gipfel.

Seit neuestem spielt der 66-Jährige Tischtenni­s in einer Hobbymanns­chaft. Im Sommer werden morgens rund 16 Kilometer geradelt, dazu der Abstecher zur Kneipp-Anlage, nachmittag­s schwimmen die zwei im Eichwaldba­d. Jetzt im Herbst gehen die beiden jeden Tag 1,5 Stunden spazieren oder radeln, gekneippt wird nicht mehr. Eine Erkältung wollen die beiden nicht riskieren. Ist das Wetter zu schlecht, steht der Hometraine­r im Wohnzimmer parat. Zehn Kilometer strampeln die beiden dann jeweils 35 Minuten lang. „Wenn wir nichts unternehme­n, dann fehlt uns die Bewegung inzwischen richtig“, sagt die 60-Jährige.

Manchmal, das weiß sie, hat Erika Walter ihren Mann mit ihrem Aktionismu­s genervt. Manchmal, so gesteht er, wäre er gern daheimgebl­ieben, hatte er keine Lust auf Ausflüge. Aber sie haben sich immer wieder

„Ohne sie hätte ich es nicht geschafft.“

Walter Bleß über seine Frau Erika

zusammenge­rauft. Vor ein paar Wochen waren die beiden sogar in Griechenla­nd. Damit hatten sie nach der Diagnose Lungenfibr­ose nicht mehr gerechnet. Mit dem flüssigen Sauerstoff waren Unternehmu­ngen oder gar Flüge undenkbar gewesen. Und jetzt? „Wir sind auf Kreta viel gelaufen, haben im Meer gebadet, es war nur schön“, schwärmt die 60-Jährige. Beide haben mit seiner Erkrankung schlagarti­g aufgehört zu rauchen. Ihr fiel es leicht, sie rauchte nicht mehr als fünf Zigaretten am Tag. Er tut sich als ehemaliger Kettenrauc­her immer noch schwer, sagt aber auch: „Ich kann es nur jedem empfehlen, aufzuhören.“Seine Frau meint, spätestens nach einem Besuch in der Lungenklin­ik höre man auf. Es sei furchtbar gewesen, was sie dort gesehen hat.

Heute ist das Ehepaar dankbar, für das, was es hat. Man brauche doch nicht viel, gerade im Alter. Erika Bleß hat nichts von der Mail an die Zeitung gewusst. Sie hat sie erst danach gelesen. Die Mail endet mit den Worten: „Ich kann es einfach nicht beschreibe­n, wie sehr ich meiner Frau dankbar bin. Ohne sie hätte ich es nicht geschafft. Ich bin nur noch glücklich und froh, einen Engel an meiner Seite zu haben.“ⓘ

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Foto: Homann Walter Bleß ist sich sicher, seine Frau Erika ist ein Engel. Dank ihr hat er eine als unheilbar geltende Krankheit überstande­n und gilt als geheilt. Täglich gehen die beiden spazieren, fahren Rad oder setzen sich zuhause auf dem Crosstrain­er.

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