Wie Trump seine Gegner glücklich macht
Analyse US-Truppen ziehen sich aus Syrien zurück. Verteidigungsminister geht
Tunis Gedacht war der vormittägliche Twitter als Weihnachtsgeschenk des Weißen Hauses an die Soldatenfamilien. Am Ende jedoch verblüffte der elektronische Mehrzeiler Freund und Feind. Die USTruppen kommen heim, der „Islamische Staat“ist besiegt, der Einsatz in Syrien beendet, deklamierte Donald Trump in der Woche vor Heiligabend. Derweil versuchte das Pentagon frenetisch, dem einsamen Vorstoß seines obersten Feldherrn die Spitze zu nehmen. Doch der will im Nahen Osten nicht mehr den Polizisten spielen. Jetzt sollten beim Kämpfen mal andere ran, twitterte Trump an seine Kritiker in den eigenen Reihen. Am Donnerstag kurz vor Mitternacht wurde zudem bekannt, dass Donald Trump seinen Verteidigungsminister James Mattis auswechselt. Mattis werde Ende Februar das Kabinett verlassen, kündigte Trump bei Twitter an.
Außenminister Heiko Maas (SPD) nimmt angesichts des Rückzugs aus Syrien kein Blatt vor den Mund: „Es besteht die Gefahr, dass diese Entscheidung dem Kampf gegen IS schadet und die erreichten Erfolge gefährdet.“Der IS sei zwar zurückgedrängt, aber die Bedrohung sei noch da. „Nach wie vor gibt es Strukturen im Untergrund, sind die Terroristen im Osten Syriens aktiv.“
Die negativen Folgen für das strategische Ansehen der Vereinigten Staaten in der nahöstlichen Unruheregion nimmt der US-Präsident damit bewusst in Kauf. Die europäischen Verbündeten protestieren entsetzt. Die kurdischen Mitkämpfer, die bislang unter hohen Verlusten das militärische Rückgrat gegen die Terrormiliz bildeten, fühlen sich verraten. Trumps Lieblingsfeind Teheran frohlockt. Eine Konfrontation mit der US-Armee auf syrischem Boden braucht die Islamische Republik nicht mehr zu fürchten. Auch bei der syrischen Nachkriegsordnung haben Iran, Türkei und Russland künftig freie Hand. Entsprechend großzügig fiel das Lob von Kremlchef Wladimir Putin aus. Das Weiße Haus ließ lediglich mitteilen, kein einziger Dollar werde für den Wiederaufbau fließen, solange Assad an der Macht sei.
Der IS allerdings bleibt durch Trumps Entscheidung auf Jahre eine unkalkulierbare Gefahr. Seine fähigsten Gegner, die kurdischen Brigaden, werden sich nach dem Twitter-Tiefschlag aus Washington schon bald in ihre nordöstlichen Heimatgebiete zurückziehen, um dort dem türkischen Nachbarn Recep Tayyip Erdogan die Stirn zu bieten. Die halb-autonome kurdisch-syrische Führung könnte versuchen, der drohenden Invasion Ankaras mit einem nationalen Pakt mit Baschar al-Assad zu begegnen. Dann wehen syrische Regimefahnen bald wieder auf den kurdischen Rathäusern und Polizeistationen. Und der Diktator von Damaskus müsste im kommenden Jahr nur noch die letzte Rebellenenklave Idlib zurückerobern, um sein Land wieder völlig unter Kontrolle zu bekommen. Diese Großoffensive, die weitere hunderttausend Syrer zu Flüchtlingen machen könnte, befürworten auch die Iraner. Ihren Revolutionären Garden überlässt Trump jetzt ebenfalls das syrische Schlachtfeld, eine Entwicklung, die vor allem Israels Führung beunruhigt.
Ohne eine schlagkräftige kurdisch-amerikanische Truppenpräsenz auf dem ehemaligen Territorium des „Islamischen Kalifates“werden die ISKommandos bald ihr Comeback angehen. Die Zahl der IS-Kämpfer in Syrien beziffer- te das Pentagon kürzlich auf 14000, kaum weniger als die 17000 im Nachbarland Irak, wo die Terrormiliz längst wieder offen in Erscheinung tritt. Kidnappings, falsche Straßensperren und Bombenanschläge häufen sich. 75 Terroraktionen registrieren die irakischen Behörden derzeit pro Monat, das sind mehr als während der Schlussphase des „Islamischen Kalifates“im Jahr 2016. Lokale Politiker werden ermordet, um Chaos zu säen und den Wiederaufbau der Wirtschaft zu torpedieren.
Immer mehr Extremisten mischen sich unter die Bevölkerung, verbreiten Angst und Schrecken – vor allem nachts. Insofern ist die nächste Runde im Krieg gegen die Gotteskrieger in Syrien und im Irak nur eine Frage der Zeit. Und dann müssten auch die Amerikaner wieder auf dem Schlachtfeld erscheinen. Doch die kampfstarken Kurden werden sich wohl nicht noch einmal vor den Karren von Donald Trump spannen lassen.