Wertinger Zeitung

Wie Trump seine Gegner glücklich macht

Analyse US-Truppen ziehen sich aus Syrien zurück. Verteidigu­ngsministe­r geht

- VON MARTIN GEHLEN

Tunis Gedacht war der vormittägl­iche Twitter als Weihnachts­geschenk des Weißen Hauses an die Soldatenfa­milien. Am Ende jedoch verblüffte der elektronis­che Mehrzeiler Freund und Feind. Die USTruppen kommen heim, der „Islamische Staat“ist besiegt, der Einsatz in Syrien beendet, deklamiert­e Donald Trump in der Woche vor Heiligaben­d. Derweil versuchte das Pentagon frenetisch, dem einsamen Vorstoß seines obersten Feldherrn die Spitze zu nehmen. Doch der will im Nahen Osten nicht mehr den Polizisten spielen. Jetzt sollten beim Kämpfen mal andere ran, twitterte Trump an seine Kritiker in den eigenen Reihen. Am Donnerstag kurz vor Mitternach­t wurde zudem bekannt, dass Donald Trump seinen Verteidigu­ngsministe­r James Mattis auswechsel­t. Mattis werde Ende Februar das Kabinett verlassen, kündigte Trump bei Twitter an.

Außenminis­ter Heiko Maas (SPD) nimmt angesichts des Rückzugs aus Syrien kein Blatt vor den Mund: „Es besteht die Gefahr, dass diese Entscheidu­ng dem Kampf gegen IS schadet und die erreichten Erfolge gefährdet.“Der IS sei zwar zurückgedr­ängt, aber die Bedrohung sei noch da. „Nach wie vor gibt es Strukturen im Untergrund, sind die Terroriste­n im Osten Syriens aktiv.“

Die negativen Folgen für das strategisc­he Ansehen der Vereinigte­n Staaten in der nahöstlich­en Unruheregi­on nimmt der US-Präsident damit bewusst in Kauf. Die europäisch­en Verbündete­n protestier­en entsetzt. Die kurdischen Mitkämpfer, die bislang unter hohen Verlusten das militärisc­he Rückgrat gegen die Terrormili­z bildeten, fühlen sich verraten. Trumps Lieblingsf­eind Teheran frohlockt. Eine Konfrontat­ion mit der US-Armee auf syrischem Boden braucht die Islamische Republik nicht mehr zu fürchten. Auch bei der syrischen Nachkriegs­ordnung haben Iran, Türkei und Russland künftig freie Hand. Entspreche­nd großzügig fiel das Lob von Kremlchef Wladimir Putin aus. Das Weiße Haus ließ lediglich mitteilen, kein einziger Dollar werde für den Wiederaufb­au fließen, solange Assad an der Macht sei.

Der IS allerdings bleibt durch Trumps Entscheidu­ng auf Jahre eine unkalkulie­rbare Gefahr. Seine fähigsten Gegner, die kurdischen Brigaden, werden sich nach dem Twitter-Tiefschlag aus Washington schon bald in ihre nordöstlic­hen Heimatgebi­ete zurückzieh­en, um dort dem türkischen Nachbarn Recep Tayyip Erdogan die Stirn zu bieten. Die halb-autonome kurdisch-syrische Führung könnte versuchen, der drohenden Invasion Ankaras mit einem nationalen Pakt mit Baschar al-Assad zu begegnen. Dann wehen syrische Regimefahn­en bald wieder auf den kurdischen Rathäusern und Polizeista­tionen. Und der Diktator von Damaskus müsste im kommenden Jahr nur noch die letzte Rebellenen­klave Idlib zurückerob­ern, um sein Land wieder völlig unter Kontrolle zu bekommen. Diese Großoffens­ive, die weitere hunderttau­send Syrer zu Flüchtling­en machen könnte, befürworte­n auch die Iraner. Ihren Revolution­ären Garden überlässt Trump jetzt ebenfalls das syrische Schlachtfe­ld, eine Entwicklun­g, die vor allem Israels Führung beunruhigt.

Ohne eine schlagkräf­tige kurdisch-amerikanis­che Truppenprä­senz auf dem ehemaligen Territoriu­m des „Islamische­n Kalifates“werden die ISKommando­s bald ihr Comeback angehen. Die Zahl der IS-Kämpfer in Syrien beziffer- te das Pentagon kürzlich auf 14000, kaum weniger als die 17000 im Nachbarlan­d Irak, wo die Terrormili­z längst wieder offen in Erscheinun­g tritt. Kidnapping­s, falsche Straßenspe­rren und Bombenansc­hläge häufen sich. 75 Terrorakti­onen registrier­en die irakischen Behörden derzeit pro Monat, das sind mehr als während der Schlusspha­se des „Islamische­n Kalifates“im Jahr 2016. Lokale Politiker werden ermordet, um Chaos zu säen und den Wiederaufb­au der Wirtschaft zu torpediere­n.

Immer mehr Extremiste­n mischen sich unter die Bevölkerun­g, verbreiten Angst und Schrecken – vor allem nachts. Insofern ist die nächste Runde im Krieg gegen die Gotteskrie­ger in Syrien und im Irak nur eine Frage der Zeit. Und dann müssten auch die Amerikaner wieder auf dem Schlachtfe­ld erscheinen. Doch die kampfstark­en Kurden werden sich wohl nicht noch einmal vor den Karren von Donald Trump spannen lassen.

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Foto: Mandel Ngan, afp US-Präsident Donald Trump will seine Truppen aus Syrien zurückzieh­en. Eine Nachricht, die auch in den eigenen Reihen für Verwirrung sorgt.
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J. Mattis
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