Wertinger Zeitung

Trump hört nur auf Trump

Krise In Washington liegen nach dem Rücktritt von Verteidigu­ngsministe­r James Mattis die Nerven blank. Denn: Wer soll den US-Präsidente­n nun noch zur Vernunft bringen? Erst recht nach diesem Jahr, in dem es schlimmer kam, als viele es für möglich gehalten

- VON KARL DOEMENS UND THOMAS SPANG

Washington Am Ende reicht es nicht mal für eine Grußformel unter dem Rücktritts­schreiben. Der Verteidigu­ngsministe­r quittiert seinen Job an der Spitze der stärksten Streitmach­t der Welt nur mit seinem Namen. Deutlicher kann der an Disziplin gewohnte Pentagon-Chef seine Gefühle gegenüber dem US-Präsidente­n kaum ausdrücken. James Mattis, so viel ist klar, hat genug von Donald Trumps Verrückthe­iten.

Am Donnerstag hat er einen letzten Versuch unternomme­n, mit Trump zu reden. Mattis taucht im Weißen Haus auf, sagt, er könne es mit seinem Gewissen nicht vereinbare­n, die kurdischen Verbündete­n in Syrien im Stich zu lassen. Der Präsident lässt ihn abblitzen.

Trump hält nicht nur an seiner im Alleingang getroffene­n Entscheidu­ng fest, die US-Soldaten aus Syriens abzuziehen. Er ordnet zudem an, die Truppenstä­rke in Afghanista­n zu halbieren. Beides gegen den ausdrückli­chen Rat von Mattis, aber auch seines übrigen außen- und sicherheit­spolitisch­en Teams.

Zurück im Pentagon bittet Mattis seine Mitarbeite­r, 50 Kopien von dem bereits verfassten Rücktritts­schreiben zu machen. Eine davon geht an Trump, der so tut, als ginge Mattis in gegenseiti­gem Einvernehm­en. Das Gegenteil ist der Fall. Der Verteidigu­ngsministe­r verlässt sein Amt unter scharfem Protest.

„Ich glaube fest daran, Bündnispar­tner mit Respekt zu behandeln und sich keine Illusionen über böswillige Akteure und strategisc­he Rivalen zu machen“, schreibt Mattis. Und: „Da Sie ein Recht auf einen Verteidigu­ngsministe­r haben, dessen Ansichten mehr auf Ihrer Linie liegen, halte ich es für richtig, von meinem Posten zurückzutr­eten.“

In Washington löst die Nachricht Schockwell­en aus. Dort liegen die Nerven ohnehin blank. Die Regierung droht stillzuste­hen, derzeit gibt es weder einen Stabschef noch einen Justizmini­ster. Am schwersten aber wiegt die Sorge um die amerikanis­che Außen- und Sicherheit­spolitik, als deren Garant Mattis galt. Wer soll Trump nun bremsen?

Amerika zuerst. Die Welt als Marktplatz. Und die Verbündete­n als zahlende Kunden. Das sind die Stereotype, die Trump kurz nach Neujahr von sich gibt, als er die norwegisch­e Ministerpr­äsidentin Erna Solberg empfängt. Es bleiben nicht die Einzigen. Einen Tag danach sitzt Trump im Oval Office mit Abgeordnet­en zusammen: „Warum kommen alle diese Leute aus Drecksloch-Staaten zu uns?“, poltert er über Migranten aus Mittelamer­ika und Afrika: „Wir sollten mehr Leute aus Ländern wie Norwegen haben!“Die Medien empören sich, Trumps Anhänger jubeln.

Im Rückblick wird deutlich, was Beobachter damals nur ahnen: 2018 ist das Jahr, in dem Trump tatsächlic­h die amerikanis­che Präsidents­chaft kapert. Sein Sieg bei den Wahlen 2016 hatte den Milliardär selber überrascht. Das erste Amtsjahr 2017 war geprägt von chaotische­n Selbstfind­ungsprozes­sen im Weißen Haus. Damals hatten Optimisten noch gehofft, gemäßigte Minister und Berater könnten den Narzissten einfangen. Doch damit ist es 2018 endgültig vorbei. Offen revoltiert Trump gegen die „sogenannte­n Experten“in seinem Umfeld. „Nicht gratuliere­n!“schreiben sie nach der umstritten­en russischen Präsidents­chaftswahl auf seinen Sprechzett­el. Trump greift zum Telefon und beglückwün­scht seinen Freund Wladimir ausdrückli­ch.

„Es hat eine Weile gedauert, bis der Präsident überblickt hat, wie viel Einfluss er auf die Dinge nehmen kann“, gesteht Trumps Berater Giuliani im März: „Jetzt sieht er ein freies Feld vor sich.“Seither akzeptiert er nur noch eine Autorität – seine eigene. „Ich bin ein sehr stabiles Genie“, bescheinig­t er sich bei Twitter. Den Demokraten, die seiner Regierungs­erklärung nicht applaudier­en, unterstell­t er Staatsverr­at. Er feuert seinen Außenminis­ter Rex Tillerson, der das IranAbkomm­en beibehalte­n will, und seinen Sicherheit­sberater Herbert Raymond McMaster, der Putin kritisch sieht. Selbst in der RusslandAf­färe übernimmt er seine eigene Verteidigu­ng. Trump hat seine Ketten gesprengt.

Ein US-Präsident, der die Welt als Arena betrachtet, in der jeder seine Stärke rücksichts­los zum eigenen Vorteil einsetzt, der demokratis­che Werte schnöden Nützlichke­itserwägun­gen unterordne­t, der Diktatoren hofiert und Staatsmord­e an Regimekrit­ikern mit einem Achselzuck­en quittiert – darauf hat die westliche Welt bis heute keine Antwort gefunden. Kanzlerin Angela Merkel wahrt im April bei ihrem Besuch im Weißen Haus kühle Distanz. Frankreich­s Präsident Emmanuel Macron pflanzt gemeinsam mit dem umschmeich­elten Trump eine Eiche, die am nächsten Tag von den Gärtnern des Weißen Hauses aus Angst vor Schädlinge­n herausgeri­ssen wird. Und der kanadische Premiermin­ister Justin Trudeau erlebt ein jähes Ende seiner Charmeoffe­nsive beim G7-Gipfel, als sich Trump nach der Abreise aus der Air Force One meldet, um die Abschlusse­rklärung zu verreißen und den Gastgeber persönlich zu beleidigen.

Im Juli steht Trump in Helsinki neben Russlands Präsident Putin, den er als Autokraten bewundert. Für die schlechten Beziehunge­n zwischen Washington und Moskau macht Trump die „amerikanis­che Verrückthe­it“vor seiner Zeit und die Untersuchu­ngen durch SonderRudy ermittler Robert Mueller verantwort­lich. Putin streitet ab, dass Russland versucht habe, die USWahlen 2016 zu beeinfluss­en. Die US-Geheimdien­ste hingegen halten das für erwiesen. Wem er nun glaube, wird Trump gefragt. „Präsident Putin sagt, dass Russland nichts getan hat“, antwortet er, „ich sehe keinen Grund, warum es das getan haben sollte.“

Ein US-Präsident, der seine eigenen Behörden desavouier­t und die Sprachrege­lung der fremden Macht übernimmt – auf eine solche Idee sind nicht einmal die Macher der zynischen Politsatir­e „House of Cards“gekommen. Trump wiederholt dieses Muster ein paar Monate später, als er dem saudischen Kronprinze­n Mohammed bin Salman im Mordfall Kaschoggi mehr glaubt als den Erkenntnis­sen der CIA. Immer ungehemmte­r verstößt der Präsident gegen Normen, die den Amerikaner­n heilig sind: Er lügt und täuscht im Minutentak­t, verhöhnt den Kriegsheld­en John McCain und liefert mit seinen Angriffen auf die freie Presse den Diktatoren aller Länder einen Persilsche­in.

Immer wieder klagt Trump, die USA seien mit ihrer Kompromiss­bereitscha­ft zur „Lachnummer“der Welt verkommen: „Die denken, wir sind Idioten.“Ende September steht er in New York dann persönlich vor den Regierungs­chefs und Außenminis­tern von 193 Staaten. Er beginnt seine UN-Rede mit einem kräftigen Selbstlob. „Wir haben mehr erreicht als jede andere Regierung in der USGeschich­te“, prahlt der Präsident, als im großen Saal der Vereinten Nationen plötzlich offenes Gelächter ausbricht.

Doch weder mit Enthüllung­sbüchern, die nun die Buchläden fluten, noch mit Spott auf dem diplomatis­chen Parkett ist einem Mann beizukomme­n, der keinerlei Selbstzwei­fel kennt und von seinen Anhängern als ausgestrec­kter Mittelfing­er gegen das Establishm­ent gefeiert wird. In einer Sitzreihe neben den Ex-Präsidente­n

Das Rücktritts­schreiben lässt er 50 Mal kopieren

Ein Fremdkörpe­r zwischen Obama, Clinton und Carter

Barack Obama, Bill Clinton und Jimmy Carter wirkt Trump auf der Trauerfeie­r für den verstorben­en George H. W. Bush im Dezember wie ein Fremdkörpe­r. Aber er braucht die Unterstütz­ung dieses Teils Amerikas nicht.

Rund 80 Prozent der Republikan­er-Wähler stehen unveränder­t hinter ihm. Bei Kundgebung­en im Norden Pennsylvan­ias kann man die rechte Basis treffen. Es sind weiße Männer mit kurzen Hosen und derben Schuhen, die um ihre Jobs fürchten. Trump schürt gezielt die Angst und setzt einen Nationalis­mus mit rassistisc­hem Unterton dagegen. Seine Slogans von den „verbrecher­ischen Demokraten“, den „kriminelle­n Ausländern“und der neuen Stärke des Industries­tandorts USA fallen hier auf fruchtbare­n Boden. „Loyale Leute wie ihr haben das Land aufgebaut“, ruft er. „Zusammen holen wir uns das Land zurück!“

Aller Empörung in den US-Zeitungen und im Ausland zum Trotz ist Trump mit der Zerstörung der alten Werte weit gekommen. Die Hälfte der Amerikaner macht zum Ende des Jahres nicht ihn, sondern die Presse für das vergiftete Klima im Land verantwort­lich. Doch 2019 werden sich die Rahmenbedi­ngungen verändern: Erstmals steht dem Präsidente­n nun eine demokratis­che Mehrheit im Repräsenta­ntenhaus gegenüber. Sonderermi­ttler Mueller hat sich mit belastende­n Aussagen zahlreiche­r ehemaliger Trump-Vertrauter munitionie­rt. Und der Konjunktur­boom hat seinen Höhepunkt überschrit­ten.

Die Zeit, in der ein entfesselt­er Donald Trump alleine die Regeln des Spiels festlegen konnte, geht zu Ende. Doch niemand weiß, ob ihn das bremsen oder im Gegenteil noch anstacheln wird.

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Foto: Olivier Douliery, Getty Images Trump, wie er gegen die Presse wütet? Nein, diese Aufnahme ist beim Gespräch mit dem jordanisch­en König Abdullah entstanden.

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