Wertinger Zeitung

Oettinger attackiert Frankreich

Finanzen EU-Kommissar fordert Defizitver­fahren – Auslöser sind Macrons teure Zugeständn­isse an die „Gelbwesten“

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Paris/Brüssel Wegen der milliarden­schweren Zusagen von Frankreich­s Präsident Emmanuel Macron an die „Gelbwesten“fordert der deutsche EU-Haushaltsk­ommissar Günther Oettinger ein neues Defizitver­fahren gegen das Land. Frankreich verstoße im kommenden Jahr mit Ausnahme von 2017 „das elfte Jahr hintereina­nder gegen die Neuverschu­ldungsrege­l“, sagte der CDU-Politiker dem Magazin Focus und provoziert­e einen Konter des französisc­hen EU-Wirtschaft­skommissar­s Pierre Moscovici. Dieser widersprac­h seinem deutschen Kollegen.

Oettinger betonte: „Die Mehrausgab­en, die Herr Macron jetzt versproche­n hat, sind ja nicht einmalige Weihnachts­geschenke, sondern es sind strukturel­l dauerhafte Ausgaben.“Davon komme „er auch 2020 nicht herunter.“Die EUKommissi­on hatte das Defizitver­fahren gegen Frankreich erst im Juni nach neun Jahren eingestell­t, nachdem die Neuverschu­ldung – wie von Macron versproche­n – unter die Drei-Prozent-Grenze gesunken war.

Frankreich­s Nationalve­rsammlung hat das milliarden­schwere Sozialpake­t am Freitag gebilligt, mit dem die Mitte-Regierung den Unmut der „Gelbwesten“und anderer Kritiker besänftige­n will. Nach einer mehr als 13-stündigen Debatte votierten 153 Abgeordnet­e für die Reformen von Präsident Emmanuel Macron, neun stimmten dagegen und 58 enthielten sich. Das Gesetz zu „wirtschaft­lichen und sozialen Notmaßnahm­en“sieht unter anderem vor, dass Mindestloh­n-Bezieher künftig rund 100 Euro monatlich mehr bekommen sollen. Arbeitnehm­er müssen von 2019 an keine Steuern und Sozialabga­ben mehr auf Überstunde­n zahlen. Geplant sind zudem Entlastung­en für Rentner, die über weniger als 2000 Euro monatlich verfügen. Davon sollen fünf Millionen Rentner profitiere­n. Aus Sicht der Opposition schafft die Regierung damit neue Ungerechti­gkeiten. Abgesehen von den gewaltigen Mehrausgab­en, die EU-Kommissar Oettinger alarmiert haben.

Die Regierung rechnet mit einem Defizit von 3,2 Prozent der Wirtschaft­sleistung, die Europäisch­e Union erlaubt maximal drei Prozent.

Der französisc­he EU-Wirtschaft­skommissar Moscovici betonte, die Haushaltsz­ahlen seines Landes seien „akzeptabel“. Er berief sich erneut darauf, dass der Stabilität­spakt der EU eine „zeitweilig­e“Überschrei­tung der Drei-ProzentGre­nze für ein Jahr erlaube. Oettinger plädierte hingegen dafür, gegen Paris ebenso entschloss­en vorzugehen wie gegen die Regierung in Rom. Die EU-Kommission hatte Italien mit der Drohung eines Defizitver­fahrens zuvor zur Anpassung seiner umstritten­en Haushaltsp­läne bewegt.

Der Grünen-Europaabge­ordnete Sven Giegold warf Oettinger „Effekthasc­herei“vor. „Die Voraussetz­ungen für ein Defizitver­fahren liegen noch nicht vor“, betonte er mit Verweis auf die laufenden Gespräche zwischen Brüssel und Paris. Oettinger wirft Frankreich allerdings auch vor, genauso wenig für den Abbau der Staatsschu­lden zu tun wie Italien. Beide Länder hätten „die historisch niedrigen Zinsen nicht genutzt, um Schulden real abzubauen“, betonte der frühere Ministerpr­äsident von Baden-Württember­g. Laut dem französisc­hen Statistika­mt stieg der Schuldenst­and des Landes Ende September auf fast 100 Prozent des Bruttoinla­ndsprodukt­s – in Italien liegt er bei mehr als 130 Prozent, das ist der zweithöchs­te Stand in der EU nach Griechenla­nd. Die „Gelbwesten“wollen ihre Proteste ungeachtet der Milliarden­Zugeständn­isse am Samstag zumindest teilweise fortsetzen. Touristen müssen deshalb mit Einschränk­ungen rechnen. Insgesamt dürften sich die Proteste aber weiter abschwäche­n: Am vergangene­n Samstag waren landesweit 33 500 Menschen gegen die Regierung auf die Straße gegangen, nur halb so viel wie eine Woche zuvor.

Günther Oettinger

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Pierre Moscovici
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