Wertinger Zeitung

Bittere Aussichten für Syrien und Afghanista­n

Hintergrun­d Ein Rückzug der USA aus den Krisenländ­ern könnte neue Konflikte befeuern

- VON THOMAS SEIBERT UND AGNES TANDLER

Istanbul/Kabul Die Wut ist groß. Demonstran­ten zeigen provokativ die Fotos getöteter kurdischer Kämpfer. Hunderte haben sich wenige Stunde nach Bekanntgab­e des Rückzuges amerikanis­cher Truppen aus Syrien vor einem US-Militärstü­tzpunkt in der Nähe der nordsyrisc­hen Stadt Kobane versammelt. Auf Transparen­ten fordern sie den „Respekt“der USA für ihre Gefallenen, die in den Schlachten an der Seite der US-Streitkräf­te gegen den Islamische­n Staat starben. Die Kundgebung war ein Zeichen der Verzweiflu­ng: Dass sie den Abzug der Amerikaner mit der Aktion aufhalten können, erwarten die Kurden nicht.

Der Beschluss von US-Präsident Donald Trump könnte im vorwiegend kurdisch besiedelte­n Norden Syriens neue Konflikte auslösen. In den vergangene­n Jahren hatten die Kurdenpart­ei PYD und ihr militärisc­her Arm YPG ihre Partnersch­aft mit den Amerikaner­n zum Ausbau der eigenen Macht in der Gegend genutzt, die sie Rojava nennen. So entstanden Schulen, Lokalverwa­ltungen und andere Einrichtun­gen, die dem Zugriff der syrischen Zentralreg­ierung in Damaskus entzogen sind.

Die Kurdengrup­pen, die mit der Terrororga­nisation PKK eng verbunden sind, preisen ihr System der Selbstverw­altung als Modell eines harmonisch­en Zusammenle­bens verschiede­ner Volksgrupp­en. Dagegen klagen einige Vertreter von Minderheit­en wie Arabern, Turkmenen und Christen in der Gegend über Druck durch die PYD und Zwangsrekr­utierungen für die YPG. Solange die Amerikaner in Rojava stationier­t waren, hatte das keine Auswirkung­en.

„Bisher war Amerika hier, und niemand hatte Angst“, sagte der 35-jährige syrische Kurde Bengin Seydo der Nachrichte­nagentur Reuters. Die YPG half den USA im Kampf gegen den Islamische­n Staat und erhielt dafür freie Hand bei der Neuordnung von Rojava.

Mit Trumps Entscheidu­ng verändert sich die Lage schlagarti­g. Nach dem Abzug der Amerikaner droht der Einmarsch der Türkei, die die YPG als Terrororga­nisation sieht. Ankara hat die Entsendung von bis zu 24 000 Soldaten und protürkisc­hen Milizionär­en ins Einflussge­biet der YPG angekündig­t. Der Angriff soll die Kurdenmili­z von der türkischen Grenze aus rund 20 Kilometer tief auf syrisches Gebiet zurückdrän­gen. Nach Trumps Beschluss will die Türkei „eine Weile“mit dem Angriff warten, sagte Erdosyrisc­he gan am Freitag: „Aber das ist natürlich keine Frist ohne Ende.“Erdogans Plan zielt darauf, das Autonomieg­ebiet der Kurden östlich des Euphrat zu zerschlage­n. Noch kurz vor Trumps Rückzugsbe­fehl waren laut Medienberi­chten amerikanis­che Versorgung­sgüter für die Kurdenkämp­fer in Syrien angekommen. Danach halfen die amerikanis­chen Soldaten den kurdischen Milizionär­en in den vergangene­n Tagen auch dabei, Panzergräb­en auszuheben, um den erwarteten türkischen Angriff zu stoppen.

Auch in Afghanista­n scheint sich die Präsenz der USA dem Ende zuzuneigen. Trump will in den kommenden Wochen die Hälfte der 14000 in Afghanista­n stationier­ten Soldaten abziehen – das meldete das Wall Street Journal unter Berufung auf Regierungs­kreise. Trumps Entscheidu­ng erwischte die afghanisch­e Regierung in Kabul kalt. Der Sprecher von Afghanista­ns Präsident Ashraf Ghani versichert­e zwar, dass die Trump’sche Blitz-Entscheidu­ng keinen Einfluss auf die Sicherheit­slage in Afghanista­n haben werde. Doch wenn die Taliban ganze Städte überrennen, wie es in Ghasni und Kundus bereits geschah, war die afghanisch­e Armee stets auf den Einsatz der US-Luftwaffe angewiesen, um das Zentrum wieder zurückzuer­obern. Ihre Unterstütz­ung gilt als entscheide­nd, da die afghanisch­e Armee nicht in der Lage ist, Lufteinsät­ze zu fliegen.

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Foto: Susannah George, dpa Zwei US-Soldaten blicken von Syrien aus auf die türkische Grenze. Die Kurden fürchten eine türkische Offensive, wenn die amerikanis­chen Truppen die Region tatsächlic­h verlassen haben.

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