„Nun machen Sie mal ein geistreiches Gesicht“
Zeitgeschichte 1986 ließ sich der Ex-Bundeskanzler Helmut Schmidt vom Maler Bernhard Heisig in der DDR porträtieren. Ein Coup mit deutsch-deutschem Hintersinn. Die Stasi war alarmiert
Augsburg Anfang Juli 1986 empfängt der DDR-Maler Bernhard Heisig einen besonderen Gast in seinem Leipziger Atelier. Es ist Helmut Schmidt, ehemals Kanzler der Bundesrepublik Deutschland. Mit seiner Frau Loki und einigen Journalisten ist er über die innerdeutsche Grenze gekommen, um Heisig Modell zu sitzen. Ein Porträt soll entstehen für die Galerie der Kanzlerbildnisse im Bonner Kanzleramt. Es ist ein hochsommerlicher Tag. Heisigs Frau schenkt Getränke aus an die im Garten weilenden Sicherheitsbegleiter Schmidts – Männer aus dem Westen wie aus dem Osten. Denn die Aufpasser von der Stasi sind bei dem ungewöhnlichen Treffen natürlich auch mit dabei.
Helmut Schmidt – an diesem Sonntag wäre er 100 Jahre alt geworden – war in jenem Sommer seit knapp vier Jahren nicht mehr Kanzler. Ein Jahr nach seinem Machtverlust war er gebeten worden, einen Maler für das Porträt zu benennen, das die Reihe der Kanzlerbildnisse fortsetzen sollte. Die Galerie im Kanzleramt, in der bereits die Porträts von Konrad Adenauer (gemalt von Hans Jürgen Kallmann), Ludwig Erhard und Kurt Georg Kiesinger (jeweils Günter Rittner) sowie Willy Brandt (Oswald Petersen) hingen, war eine Initiative Schmidts während seiner Zeit als Kanzler gewesen. Zeitlebens war der Hamburger ein Freund der Künste – eine Haltung, die er nicht auf sein Privatleben beschränkte, sondern ihr auch im Amt Ausdruck verlieh, etwa durch die Veranstaltung öffentlicher Ausstellungen im Kanzleramt. Kunst, davon war Schmidt überzeugt, „führt Menschen über Grenzen zueinander“.
Weshalb er Heisig als Maler für sein Kanzlerporträt auserkoren hatte, darüber hat Schmidt sich nie geäußert. Kristina Volke, die zur Geschichte dieses Bildnisses ein zeitwie kunsthistorisch lesenswertes Buch vorgelegt hat, mutmaßt, dass die Idee ursprünglich nicht von Schmidt stammte, sondern in der Ständigen Vertretung der Bundesrepublik geboren worden sein könnte. Diese pflegte ausgiebig Kontakt zu DDR-Künstlern.
Schmidt, der ein erklärtes Faible für die Maler des deutschen Expressionismus hegte, musste sich von Heisig, der den bildnerischen Gestus eines Dix und Beckmann fortführte, ebenso angezogen fühlen wie von dessen Themen, die immer wieder um die deutsche Geschichte kreisten. Nicht weniger wichtig aber dürfte dem früheren SPD- Kanzler gewesen sein, dass sich mit dieser grenzüberschreitenden Aktion ein Zeichen im festgefahrenen Dialog der beiden deutschen Staaten setzen ließe.
Dass die Wahl Schmidts aber genau auf diesen Maler fiel, war aus westdeutscher Sicht eine heikle Angelegenheit. Bernhard Heisig, 1925 in Breslau geboren, galt als „Staatskünstler“. Ausgebildet in jenen Nachkriegsjahren, als die Doktrin des „sozialistischen Realismus“im Osten Deutschlands brutal durchgesetzt wurde, war er – seit 1948 SEDMitglied – in vorderste Hochschulund Verbandsämter gelangt und hatte zahlreiche Staatsauszeichnungen erhalten. Stets war er ein loyaler Bürger der DDR. Die Notwendigkeit des sozialistischen deutschen Staates ergab sich für ihn als Konsequenz aus Faschismus und Krieg.
Geschichtsbewusstsein kennzeichnet auch seine Malerei, in der der bekennende Realist Heisig jedoch alles andere als konforme Positionen vertrat. Mit ihren wiederkehrenden Zerstörungsszenarien liefen die Bilder der Verherrlichungsprogrammatik der Funktionäre zuwider. In der Folge handelte sich Heisig, der zusammen mit Wolfgang Mattheuer, Willi Sitte und Werner Tübke als einer der Väter der „Leipziger Schule“gilt, durchaus auch Rügen der Kulturbürokratie ein – bis hin zur Abberufung als Rektor der Leipziger Hochschule.
Als Schmidt sich auf Heisig festgelegt hatte, fragte die Ständige Vertretung nicht nur beim Maler bezüglich der Annahme des Auftrags an, sondern wendete sich zugleich an Erich Honecker – wohl wissend, dass ein solches Vorhaben nur mit allerhöchstem Segen in die Tat umgesetzt werden könne. Auf Bonner Seite ist der Amtsschimmel lange Zeit mit der devisenrechtlichen Abwicklung der Honorarfrage beschäftigt. Mit 40 000 D-Mark Honorar handelt es sich bei Schmidts Porträt um das bis dahin teuerste Kanzlerbildnis.
In jeder Phase des Projekts hatte der ostdeutsche Staatssicherheitsapparat ein lebhaftes Interesse für die Kunst-Kooperation mit dem Klassenfeind: Als Schmidt wieder abgereist war aus Leipzig, wird Heisig ausgiebig von der Stasi befragt. Mehr als ein Jahrzehnt später, Deutschland ist längst wiedervereint, zitiert der Spiegel genüsslich aus den Akten, was der Maler über den hohen Besuch aus dem Westen ausplauderte. Unter anderem habe Schmidt sich über seinen Nachfolger Kohl lustig gemacht.
Am Morgen nach dem gemeinsamen Abendessen wird weitergearbeitet in Bernhard Heisigs Atelier. Die Atmosphäre ist locker; Schmidt zieht die Schuhe aus, entlockt einem herumliegenden Flügelhorn ein paar Töne. Heisig fertigt weitere Skizzen an und fordert sein Modell auf: „Nun machen Sie mal ein geistreiches Gesicht!“Als der Ex-Bundeskanzler im Oktober desselben Jahres erneut nach Leipzig kommt, um sich für das definitive Kanzlerbild zu entscheiden, stehen vier Gemälde zur Auswahl. Schmidt wählt ein Porträt, das der Künstler stark umgearbeitet hat und das den Staatsmann in dem für Heisig typischen flirrenden Farbauftrag in neugierig-gespannter Sitzposition und mit Zigarette in der rechten Hand zeigt.
Heisig hätte damals einem anderen Bild den Vorzug gegeben, einem, das Schmidt in die Umgebung des Ateliers stellt. Diesen „Atelierbesuch“hat später der Kunstsammler Peter Ludwig erworben. Einige Wochen nach Schmidts Wahl wird das Kanzlerporträt im Rahmen einer kleinen Feier offiziell in Bonn übergeben. Heute hängt es, mittlerweile auch in Gesellschaft der Bildnisse von Helmut Kohl (Albrecht Gehse) und Gerhard Schröder (Jörg Immendorff), in der Kanzlergalerie im neuen Kanzleramt in Berlin – historisch gewordenes Bildzeugnis der Idee Helmut Schmidts, mithilfe der Kunst deutsch-deutsche Grenzen zu überwinden.
Das Honorar belief sich auf 40 000 D-Mark