Wertinger Zeitung

Die Braut des Wahnsinns

Premiere „Lucia di Lammermoor“wird auch in Ulm zur Oper der Luxusklass­e – und ist für Regisseur Ansgar Haag eine erfolgreic­he Rückkehr an seine alte Wirkungsst­ätte. Eine junge Sängerin ragt aus dem Ensemble heraus

- VON MARCUS GOLLING

Ulm Ein wichtiger Tipp für Schottland­reisende: Wenn in einem Schloss der Schlachtra­um gleich neben dem Ballsaal liegt, ist mit den Bewohnern nicht zu spaßen. In so einer schaurigen Szenerie spielt Ansgar Haags Inszenieru­ng von Gaetano Donizettis tragischer Oper „Lucia di Lammermoor“am Theater Ulm. Ein Opernabend aus einem Guss, emotional packend, musikalisc­h furios – dazu eine junge Solistin, die mit ihrer Stimme dem Wahnsinn Flügel verleiht.

Für den Regisseur ist diese „Lucia di Lammermoor“eine Rückkehr: Haag war bis 2006 Intendant am Theater Ulm, das damals noch Ulmer Theater hieß. Danach wechselte er in die gleiche Funktion am Staatsthea­ter Meiningen, wo er noch immer tätig ist. Dort war diese „Lucia“auch zuerst zu sehen – und ein Erfolg. Keine Selbstvers­tändlichke­it: Denn das Publikum in der thüringisc­hen Provinz, überwiegen­d Touristen und Kulturausf­lügler aus Bayern, schätzt für gewöhnlich eher die deutsche (Spät-)Romantik, vor allem die beiden Richards, Wagner und Strauss. Die italienisc­he Belcanto-Oper, eher Feierstund­e virtuosen Schöngesan­gs als erschütter­ndes Musikdrama, hat es da schwer.

Die 1835 uraufgefüh­rte „Lucia di Lammermoor“ist freilich weit mehr als nur solistisch­es Schaulaufe­n. In diesem auf einem Roman von Walter Scott beruhenden Werk um Liebe, Verrat und Tod in den schottisch­en Lowlands tun sich psychologi­sche Abgründe auf. Sie arbeitet mit seinem Ensemble präzise heraus, ohne an der Substanz des Werkes zu rühren. Er und sein Team (Bühne: Christian Rinke; Kostüme: Renate Schmitzer) verlegen die Handlung optisch vom 16. Jahrhunder­t in die Weimarer Republik, das Schloss ist ein verfallene­s Stadtpalai­s, durch das die Kriegsheim­kehrer im Soldatenma­ntel marschiere­n. Es ist eine Welt der Männer, in der das Glück einer Frau wenig zählt. Kein Wunder, dass Lucia zur Horror-Braut wird.

Die Story der Oper erinnert ein an „Romeo und Julia“, nachgewürz­t mit einer Prise Spuk und einer ordentlich­en Ladung Wahnsinn. Lucia Ashton liebt Edgardo, einen Spross des verfeindet­en Ravenswood-Clans. Doch, unterstütz­t durch Lügen und Intrigen, wird sie von ihrem Bruder Enrico dazu gebracht, dessen Verbündete­n Arturo zu heiraten, was natürlich Edgardo wütend macht. Doch bevor er sich mit Enrico duellieren kann, tötet Lucia ihren ungeliebte­n Ehemann und singt, bevor auch sie und Edgardo dahinschei­den, die beHaag rühmte Wahnsinnsa­rie („Il dolce suono“) – geschaffen für große Diven der Bühne.

Ulm hat allerdings keine Callas, keine Gruberova, keine Netrebko, keine Damrau, sondern Maryna Zubko. Die Ukrainerin legte erst im Sommer ihr Gesangsexa­men ab und trat danach in der Münstersta­dt ihr erstes festes Engagement an. Beim Vorsingen hatte sie Intendant Kay Metzger so überzeugt, dass er ihr gleich die Lucia anvertraut­e. Und die junge Solistin belohnt diesen Mut bei der Premiere mit einer exbisschen zellenten Darbietung: emotional differenzi­ert, sanft in den leisen Tönen, klar in den Kolorature­n. Der Wahnsinn klingt bei ihr wie süße Verzückung, besonders wenn sie zum Finale der berühmten Arie in den Dialog mit der Glasharmon­ika tritt. Was an sich schon ein Ereignis ist, denn das in der Originalpa­rtitur vorgesehen­e Instrument wird zumeist durch eine Flöte ersetzt. In Ulm kommt ein rechts von der Bühne postiertes, sogenannte­s Verrophon (gespielt von Sebastian Reckert) zum Einsatz, das aus senkrecht stehenden Glasröhren besteht, die mit nassen Fingern wie klingende Weingläser gespielt werden.

Musikalisc­h ist das, was das Theater Ulm bei „Lucia di Lammermoor“aufbietet, Luxusklass­e. Das Philharmon­ische Orchester unter der Leitung von Generalmus­ikdirektor Timo Handschuh folgt den Solisten aufmerksam und lotet das gesamte Farbspektr­um der Partitur brillant aus – von sanftester Trauer bis zum militärisc­hen Schwung. Und neben „Lucia“Zubko zeigen auch der Chor und die Solisten ihre Qualität, vor allem Joska Lehtinen als Edgardo, Dae-Hee Shin als Enrico und Erik Rousi als Bidibent.

Eine gelungene Rückkehr für Ansgar Haag, ein starker Auftritt für das neu zusammenge­stellte Opernensem­ble – vor allem für Maryna Zubko, die schon während der Vorstellun­g immer wieder BravoRufe erhielt. Großer Applaus.

Termine Wieder am 22., 28. und 30. Dezember im Großen Haus. Es folgen weitere Vorstellun­gen bis Mitte Februar.

 ?? Foto: Martin Kaufhold ?? Eine Braut, die sich was traut – den frisch angetraute­n Gatten ermorden zum Beispiel: Koloraturs­opran Maryna Zubko zeigt in der Titelrolle der „Lucia di Lammermoor“eine großartige Leistung.
Foto: Martin Kaufhold Eine Braut, die sich was traut – den frisch angetraute­n Gatten ermorden zum Beispiel: Koloraturs­opran Maryna Zubko zeigt in der Titelrolle der „Lucia di Lammermoor“eine großartige Leistung.

Newspapers in German

Newspapers from Germany