Wertinger Zeitung

Warum Rudolf W. mit 80 Jahren noch Taxi fuhr

Unglück Er gilt als zuverlässi­g und bessert sich seine Rente auf. Doch dann verursacht er als Geisterfah­rer auf der A 95 einen schweren Unfall

- VON JÖRG HEINZLE

Augsburg Eine Streifenka­rte für Bus und Bahn steckt jetzt in der Brusttasch­e seines karierten Hemds. Autofahren wird Rentner Rudolf W., 80, wohl nie wieder. Dabei hat er einen großen Teil seines Lebens in Autos verbracht. Er war Augsburgs dienstälte­ster Taxifahrer. 58 Jahre lang saß er am Steuer von Taxis, galt dabei als absolut zuverlässi­g. Und dann das. An einem Montagaben­d im November, bei einer Kurierfahr­t zum Starnberge­r See, fährt er versehentl­ich auf die falsche Seite der Autobahn A 95 auf. Sein Wagen kracht in zwei Autos. Alle Fahrzeuge haben danach nur noch Schrottwer­t. Ein Sprecher der Polizei sagt später, es grenze an ein Wunder, dass bei diesem Unfall niemand gestorben ist.

Vier Wochen danach sitzt Rudolf W. in der Kanzlei seines Rechtsanwa­lts Michael Weiss. Sie schauen sich seine Akte an. Er wird darin als Beschuldig­ter bezeichnet. Weil er den Unfall verursacht hat, läuft ein Strafverfa­hren gegen ihn. Äußerlich ist Rudolf W. ruhig. Er ist aufmerksam, schaut mit wachen Augen auf die Dokumente. Doch in seinem Inneren ist er aufgewühlt. Er will sich entschuldi­gen bei den Opfern des Verkehrsun­falls. „Es tut mir leid, viel mehr als nur leid“, sagt er. Seine Stimme wird dabei brüchig. Schwer verletzt wurde niemand bei dem Zusammenst­oß. Die Insassen der beiden anderen Autos, ein 37-jähriger Mann und eine 51 Jahre alte Frau aus München, erlitten laut Polizei mittelschw­ere Verletzung­en.

Sein Berufslebe­n als Taxifahrer ist durch den Geisterfah­rer-Unfall jäh zu Ende gegangen. Rudolf W. macht sich da keine Illusionen. Er war gerne Taxifahrer. Er arbeitete auch in seinem Alter noch, um die bescheiden­e Rente aufzubesse­rn. 800 Euro erhält er monatlich. Allein die Wohnung in einem Mehrfamili­enhaus in Pfersee koste rund 500 Euro, sagt er. Mit dem Taxifahren verdiente er knapp 600 Euro im Monat dazu. Stünde er alleine da, hätte er ein Problem. Weil seine Ehefrau Walburga, 81, auch Rente bezieht, geht es trotzdem noch.

So wie Rudolf W. geht es zahlreiche­n Rentnern in Augsburg. Im Durchschni­tt bekam ein Rentner im Jahr 2017 in Bayern 1141 Euro pro Monat aus der gesetzlich­en Rentenvers­icherung ausbezahlt. Was man dabei wissen muss: Nicht alle Rentenempf­änger haben gleich lange einbezahlt. Und auch Teilzeitkr­äfte bekommen weniger Rente. Das alles senkt den Durchschni­tt. Die Zahlen für Augsburg zeigen, dass es bei immer mehr Rentnern knapp zugeht.

Rudolf W. fühlte sich noch fit genug zum Taxifahren. Im Frühjahr 2017 bestand er den Gesundheit­stest, den Taxifahrer regelmäßig absolviere­n müssen. Eine Altersgren­ze für Taxifahrer gibt es nicht.

Die Polizei vermutet direkt nach dem Unfall, der 80-Jährige habe sich in einem Zustand der Unterzucke­rung befunden und sei deshalb verwirrt gewesen. Sein Anwalt Michael Weiss glaubt daran nicht. Es gebe dafür „keinerlei medizinisc­he Anhaltspun­kte“, sagt er. Der Anwalt geht von einem „Augenblick­sversagen“aus. Auch Rudolf W. schildert es so. Er habe die Adresse nicht gefunden, die er bei seiner Kurierfahr­t ansteuern sollte. Deshalb habe er einen Mann nach dem Weg gefragt. Der habe ihm geraten, kurz über die Autobahn zu fahren. Es war bereits dunkel, nach 21 Uhr. Warum er nicht merkte, dass er in die falsche Richtung fährt, kann sich Rudolf W. nicht erklären. Dann kamen ihm Autos entgegen – und es krachte. Die Polizei war da schon alarmiert. Die Taxizentra­le hatte die Polizei gerufen, weil sie Rudolf W. schon am Nachmittag zurück in Augsburg erwartet hatte. Als die Zentrale den Fahrer angefunkt habe, habe er „keine sinnigen Angaben“machen können, steht im Bericht der Verkehrspo­lizei. Der Unfallort liegt auf der A95 zwischen den Anschlusss­tellen Seeshaupt und Wolfratsha­usen. Laut Polizei war das Taxi vor dem Zusammenst­oß mit etwa 150 Stundenkil­ometern unterwegs.

Anwalt Michael Weiss hofft, dass Rudolf W. nicht auch noch bestraft wird. Er leide ohnehin unter den Folgen des Unfalls. Der Anwalt hat deshalb beantragt, das Verfahren gegen den Taxifahrer einzustell­en – wegen geringer Schuld. Im Gegenzug ist Rudolf W. dazu bereit, freiwillig seinen Führersche­in abzugeben. Das schmerze den leidenscha­ftlichen Taxifahrer ohnehin mehr als eine Geldstrafe, steht in einem Brief des Rechtsanwa­lts an die zuständige Staatsanwä­ltin.

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Foto: Jörg Heinzle Taxifahrer Rudolf W., 80, mit seinem Anwalt Michael Weiss.

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