Der Papst fühlt mit: Priester und Zuhörer sollen bei der Predigt nicht mehr leiden müssen
Das ist die mächtigste Geschichte der Welt. Also nicht diese hier, aber die, um die es geht. Man kann sie in drei Worten erzählen: Gott wird Mensch! Aber drei Worte, die reichen nur selten. Vor allem nicht für eine Geschichte von dieser Wucht. Vor allem nicht an Weihnachten. Weil es dann nach dieser Geschichte ein großes Bedürfnis gibt, eine Sehnsucht, von der in deutschen Kirchen an all den anderen Tagen des Jahres oft wenig zu spüren ist.
Es bleiben dem Pfarrer etwa acht Minuten. So lange dauert in etwa eine Predigt in der katholischen Kirche, in der evangelischen ein paar Minuten länger. Zeit für 800 bis etwa 1500 Wörter. Die Deutung des Evangeliums. Was also packt man da rein? Wie erklärt man die bekannte Geschichte jedes Jahr aufs Neue? So, dass nicht nur ein schön samtiges Weihnachtsgefühl, sondern auch der eine oder andere Gedanke hängen bleibt… muss ja vielleicht fürs ganze Jahr reichen. Gott wird Mensch. Und? Das Gespräch darüber wird sich zwei Stunden hinziehen …
Pfarrer Bernd Weidner, Ende vierzig, nie weit vom nächsten Lachen entfernt, wird Sätze sagen wie: „Ich bin nicht nett, weil Jesus war auch nicht nett.“Oder: „Wir versammeln uns ja nicht unterm Regenbogen, sondern unterm Kreuz.“Kein Wohlfühlweihnachtsprediger, so viel steht fest. Er kann es auch schon mal in den Ohren klingen lassen. Bevor er die Herzen weitet… Weihnachten eben. Was er auch sagen wird: Nein, es wird nicht langweilig. „Dass Gott Mensch wird, das ist eine so rahmensprengende Vorstellung, so großartig, verwirrend. Sich mit dieser Frage auseinanderzusetzen, kann nicht langweilig werden.“Alle Jahre wieder.
Es wird seine 24. Weihnachtspredigt sein. Seine erste aber vor der neuen Gemeinde. Seit Jahresanfang betreut Weidner die Pfarreiengemeinschaft Augsburg OberhausenBärenkeller. Das ist heute so. Ein Pfarrer, viele Gemeinden, dennoch immer weniger Schäfchen. Die Sache mit dem Bedürfnis und der Sehnsucht eben. Vor neuem Publikum, da könnte er also eigentlich eine Weihnachtspredigt der letzten Jahre rausholen, ein wenig aktualisieren, es würde vermutlich keiner merken. „Das Motiv ist ja immer das gleiche“, sagt Weidner. Aber um Himmels willen, das tut er selbstverständlich nicht!
Was also wird er diesmal in den acht Minuten sagen. Um es kurz zu machen: Er weiß es noch nicht! Zumindest nicht an diesem grauen Wintertag, an dem man sich mit ihm im Pfarrbüro St. Peter und Paul trifft. Drinnen Baustelle, weil gerade renoviert wird, draußen ebenso. Er schaut direkt in die Baugrube neben dem Josefinum, eine der größten Geburtskliniken Deutschlands im Übrigen. Und im Laufe des Gesprächs wird er ein bisschen vor sich hinsinnierend zur Frage kommen, wenn Jesus Christus wiedergeboren werden würde, wo das dann wäre. Oberhausen, einer der ärmsten Stadtteile Augsburg, oder Dom? Er glaubt: eher Oberhausen.
Aber zurück. Es kommt immer ein bisschen auf den Advent an, sagt er. Wie vollgepackt der ist. Wie viel Zeit bleibt. Aber spätestens in der Woche vor Weihnachten beginne er, sich Gedanken zu machen, zwei Tage vorher setze er sich dann an den Schreibtisch. Also heute! Also kann er auch noch nichts sagen über die Weihnachtspredigt 2018. Er verspricht aber, einem die Predigten der letzten Jahre zu schicken. Gespeichert alle auf dem Server des Bistums. In der E-Mail schreibt er dann: „Überdosis Weihnachten. In der Fülle vielleicht nicht einfach zu verkraften.“Mal sehen.
Wie riecht Weihnachten? Welchen Duft haben Sie in der Nase, wenn Sie an Weihnachten denken? Riecht Weihnachten für uns nicht nach Bratapfel und Tannengrün, nach Plätzchen und Glühwein, nach Zimt, Anis, Lebkuchen oder Weihnachtsgans? Und jetzt überlegen Sie mal, wie Weih- nachten wohl für Josef, Maria und das Jesuskind gerochen hat? Der beißende Geruch von Blut und Schweiß und Schafstall. Da war nichts vom Weihnachtsduft in jedem Raum.
So hat er 2005 begonnen. Das Jahr, in dem das Land eine Kanzlerin und einen deutschen Papst bekam. Irre lang her. Aber das ist eine Predigt, an die er sich erinnert. Der Idee wegen. Die Vorstellung ist ja auch zu schön: Wie sich die Menschen das Wohnzimmer an Weihnachten mit Schafsköttel-Raumspray beduften. Und es reicht tatsächlich, diese eine kleine Komponente in der großen Inszenierung zu ändern, und schon fühlt sich Weihnachten anders an. Rauer.
Weidner ist ein Entromantisierer. Er mag die klebrige Gefühlspaste nicht, die dick übers Fest gestrichen wird. Die Art von Berührtheit, die allein durch Glockenklang und Lichterglanz entsteht. Was Weidner aber während der Christmette unbedingt möchte: „Eine Berührtheit, die nicht sentimental ist, sondern existenziell.“Er sagt: „Wenn der Mensch, das Gefühl hat, dass er auf seine Sehnsüchte von Gott eine Antwort bekommt, dann ist viel passiert. Das würde mich freuen.“
Wie kommt man jetzt aber über „Schafscheiß“zur Frohen Botschaft? Predigerhandwerk oder, wenn man so sagen will, -kunst. Er hat dann damals schon die Frage gestellt, ob diese weihnachtliche Emotionswoge, die bis in den November hineinschwappt, nicht total daneben sei? Und hat sie dann selbst mit Nein beantwortet.
Es gibt zwar schon vieles, was mir am heutigen Weihnachtstrubel nicht gefällt. Aber wenn wir heute Weihnachten feiern, dann geht es nicht darum, die Ereignisse von damals nachzuspielen. Das christliche Weihnachten ist keine Reality-Show. Wir spielen es nicht nach, wie es sich anfühlt, vor 2000 Jahren in einem Stall ein Kind bekommen zu haben, damit wir dann einen möglichst realistischen Eindruck haben. Nein, wenn wir Christen Weihnachten feiern, dann feiern wir, was die Geburt Jesu für uns bedeutet. Und das ist etwas zutiefst Emotionales. Etwas, was den gläubigen Menschen, aber nicht nur ihn, zutiefst und zuinnerst berührt…
Der gläubige Mensch. Noch immer gehören etwa 55 Prozent der Deutschen einer der beiden großen christlichen Kirchen an. Das kann man schreiben. Aber sicher nicht, dass 55 Prozent der Deutschen regelmäßig in die Kirche gehen. Einmal pro Woche gerade noch etwa fünf Prozent. In einer anderen Zeitung stand einmal der schöne Satz: „Wenn ein Stadion nur einmal im Jahr ausverkauft ist, macht dann nicht die Mannschaft, die darin spielt, etwas verkehrt?“Anderes, großes Thema. Nur muss man den Satz eigentlich aktualisieren: Mittlerweile ist das Stadion mancherorts sogar am Heiligen Abend nicht ausverkauft. Aber wenn wenigstens immer Weihnachten wäre …
Manchmal packt die Pfarrer landauf, landab deswegen die Wut. Dann scheren sie in der Christmette ihre Schäfchen, die so selten kommen. Die nicht mehr mitsingen können bei den Advents- und Weihnachtsliedern. Oder bestenfalls die erste Strophe. Die durch die Liturgie stolpern. Und vielleicht zwischendurch auf die Uhr schauen, wann denn nun die Lichter ausgehen und „Stille Nacht“angestimmt werden darf. Gerne auch die Traditions-, Weihnachts-, Saison- oder Folklore-Christen genannt, wobei alle Bezeichnungen nach nicht ganz vollwertig klingen. So nach halber Christ. Bernd Weidner packt bei der Christmette eher die Freude. Darü- ber, dass die Sehnsucht zumindest an Weihnachten da ist. „Schön zu erleben“, sagt er und: „Platzende Kirchen könnte ich öfter haben.“In seiner Predigt 2014 hieß es:
Gott hat bei aller Hinwendung zu dieser Welt und zum Menschen Platz gelassen für den Zweifel. Und ich nehme an, dass nicht wenige Zweifler heute, an Weihnachten, unter uns sind. Schön, dass Sie auch da sind!
Es gab im Übrigen in diesem Jahr eine Predigt, die eine Milliarde Menschen weltweit gehört haben. Aber vor allem deswegen, weil sie das Drumherum nicht verpassen wollten. Die große Show. Und die dann hingerissen waren. Berührt. Sie handelte von der Kraft der Liebe und wurde so kraftvoll vorgetragen, dass es der Queen fast den Hut vom Kopf gefegt hätte. „Wir wurden von einer Liebes-Kraft geschaffen. Und unsere Leben wurden und sind geschaffen, um in dieser Liebe gelebt zu werden“, predigte volltönend der amerikanische Bischof Michael Bruce Curry bei der Hochzeit von Prinz Harry und Meghan Markle. Um sich danach aber von einigen Kritikern anhören zu müssen, er habe dem Brautpaar die Show gestohlen. Auch der beste Prediger kann es nicht allen recht machen.
Ein bisschen besser geht es in vielen Fällen aber schon. Im Jahr 2015 kam jedenfalls Papst Franziskus zu diesem Schluss und ließ deswegen einen 150-seitigen Leitfaden herausgeben. „In Bezug auf diesen wichtigen Dienst gibt es viele Beschwerden, und wir dürfen unsere Ohren nicht verschließen“, erklärte der Papst und bekannte, wie traurig er darüber sei, dass Priester und Zuhörer oft leiden müssen, „die einen beim Zuhören, die anderen beim Predigen.“Wobei ja schon die ersten Prediger nicht immer Rücksicht auf ihr Publikum nahmen. In der Apostelgeschichte, Kapitel 20, wird ein Zwischenfall während einer Predigt von Apostel Paulus erwähnt. Da sank ein junger Mann in den Schlaf, „weil Paulus so lange redete… und fiel hinunter vom dritten Stock.“Alle hielten den Armen für tot. Paulus aber warf sich über ihn und sprach: „Macht kein Getümmel, denn es ist Leben in ihm.“Dann predigte er weiter... Unmöglich heute!
Dass der eine oder andere schon bei acht Minuten leidet, merkt Pfarrer Weidner daran, dass die Husterei beginnt. Das Geraschel. Wenn die Menschen anfangen wegzuschauen. „Du siehst es an den Blicken.“An Weihnachten kann es aber auch einfach daran liegen, dass der Tag schon zu voll war. Und beim guten Essen das eine oder andere Gläschen Wein getrunken wurde. „Die Menschen sind dann oft schon ein bisschen müde.“Also muss die Predigt eigentlich noch ein bisschen besser sein! Origineller. Mitreißender. Bruce-Curry-hafter. Aber der Papst sagt auch: Bitte keine Unterhaltungsshow!
Deutschland sucht mehr denn je! Deutschland sucht den Superstar. Deutschland sucht das Super-Model. Deutschland sucht das Super-Talent. Deutschland sucht den Super-Irgendwas. Ich weiß nicht, was sie alles suchen. Aber sie suchen und suchen …
So begann Weidner seine Predigt vor neun Jahren, 2009. Auch das gefühlt ewig lang her. Heidi Klum war da noch mit Sänger Seal verheiratet. Aber gesucht wird munter weiter – demnächst zum Beispiel Germanys Next Topmodel zum 13. Mal. Über die Castingshows, die Erniedrigungen, denen sich die Kandidaten und Kandidatinnen aussetzen, kam Weidner dann auf die Kirche zu sprechen. Ein weiter Sprung.